Und als zweite Entscheidung hier der KG, Beschl. v. 05.04.2023 – 4 ORs 17/23 – 161 Ss 30/23 – zu den Anforderungen an eine Verfahrensrüge bei Verstoß gegen Hinweispflicht.
„1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten, das Landgericht habe ihn entgegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO nicht auf die gegenüber der Anklageschrift veränderte Tatzeit hingewiesen, ist unzulässig.
a) Es kann dahinstehen, ob die Verfahrensrüge – wie die Generalstaatsanwaltschaft meint – unzulässig ist, weil nicht ausgeführt worden sei, ob der Angeklagte durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage hinreichend unterrichtet wurde und daher ein ausdrücklicher gerichtlicher Hinweis entbehrlich war (vgl. in diesem Sinne der 5. Strafsenat des BGH, NStZ 2019, 239; offengelassen vom 1. Strafsenat in NStZ 2020, 97, 99), oder ob nach der Neufassung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO durch das „Gesetz zur effektiven und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17. August 2017 (BGBl. I Seite 3202) ein solcher Vortrag nicht erforderlich ist, weil stets ein förmlicher Hinweis auf die Änderung der Sachlage erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 4 StR 272/21 – [juris]; NStZ 2019, 236 [3. Strafsenat]).
b) Denn die Verfahrensrüge ist unzulässig, weil der Angeklagte nicht entsprechend den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt hat, inwieweit die geänderte Tatzeit für sein Verteidigungsverhalten bedeutsam war.
Gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO besteht eine besondere Hinweispflicht auf eine veränderte Sachlage nur, wenn ein Hinweis zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift an die ständige Rechtsprechung angeknüpft, wonach eine Veränderung der Sachlage eine Hinweispflicht auslöst, wenn sie in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht (vgl. BT-Drucks. 18/11277, Seite 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14 – [juris-Rdn. 13]). Die durch den Bundesgerichtshof hierzu entwickelten Grundsätze (vgl. BGH NStZ 2015, 233, 234; NStZ-RR 1997, 72; Norouzi in MüKo/StPO, § 265 Rdn. 48 ff. mwN) wollte der Gesetzgeber kodifizieren, weitergehende Hinweispflichten hingegen nicht einführen (vgl. BGH NStZ 2020, 97; 2019, 239; Bartel in KK, StPO 9. Auflage, § 265 Rdn. 26). Nach der Gesetzesbegründung lösen „nur solche Veränderungen die Hinweispflicht aus […], die für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten bedeutsam sind“ (BT-Dr. 18/11277, Seite 36). Danach können Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, das Tatopfer, die Tatrichtung oder eine Person des Beteiligten bestehen (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 383; NStZ 2019, 239; 2015, 233, 234; BGHSt 56, 121, 123 ff.; 28, 196, 197 f.). Bezugspunkt der Prüfung ist die Frage, ob die Veränderung der Sachlage nach den Umständen des Einzelfalls einen für die Verteidigung wesentlichen Punkt betrifft (vgl. Arnoldi NStZ 2020, 99, 101; Bartel aaO). Ein Hinweis auf eine Veränderung der Tatzeit ist demnach insbesondere erforderlich, wenn der Angeklagte für die angeklagte Zeit ein Alibi vorbringt (vgl. BGH StV 2019, 818; NStZ-RR 2006, 213; NStZ 1994, 502).
Um dem Revisionsgericht die Prüfung eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO zu ermöglichen, muss der Revisionsführer gemäß § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999, 2001; BGH NStZ-RR 2013, 222; NJW 2007, 3010, 3011; 1995, 2047; BGHSt 29, 203; 21, 334, 340). Dazu zählt auch der Vortrag, inwieweit der Hinweis für die genügende Verteidigung des Angeklagten erforderlich war, wenn sich dies nicht von selbst versteht. Denn nur unter dieser Voraussetzung besteht – wie dargelegt – für das Gericht überhaupt die Rechtspflicht, einen Hinweis zu erteilen (vgl. BGH NStZ 2019, 239 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Januar 2022 – 5 RVs 4/22 – [juris-Rdn. 10]). Deshalb ist in ausreichender Weise vorzutragen, warum der Angeklagte durch das Unterlassen des Hinweises in seiner Verteidigung beschränkt war und wie er sein Verteidigungsverhalten nach erfolgtem Hinweis anders hätte einrichten können (vgl. BGH aaO; Urteil vom 25. März 1992 – 3 StR 519/91 – [juris Rdn. 15 ff.]).
Daran fehlt es hier. Der Angeklagte hätte als Revisionskläger vortragen müssen, wie er sich im Verfahren verteidigt hat, insbesondere ob und wie er sich eingelassen hat, und wie sich ein Hinweis auf die geänderte Tatzeit daher auf sein Verteidigungs- und/oder Einlassungsverhalten ausgewirkt hätte. Insbesondere hat er nicht vorgetragen, für die in der Anklageschrift genannte Tatzeit („gegen 18:15 Uhr“) in der Hauptverhandlung ein Alibi vorgetragen oder etwa dahingehende (Beweis-)Anträge gestellt zu haben. Er hat auch nicht ausgeführt, für die im Urteil festgestellte Tatzeit („gegen 16:45 Uhr“) ein Alibi gehabt zu haben. Bei dieser Sachlage genügt das Revisionsvorbringen, der Angeklagte hätte sich bei Kenntnis der genauen Tatzeit um weitere Entlastungszeugen kümmern können und auf der Plattform „Youtube“ nach entlastenden Videoaufnahmen suchen können, nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Senat kann auf Grundlage der Begründungsschrift nicht beurteilen, ob ein Hinweis auf die geänderte Tatzeit – was sich auch nicht von selbst versteht – für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten bedeutsam war und daher der unterbliebene förmliche Hinweis einen Verfahrensfehler begründet.“