Und heute dann ein wenig Verkehrsrecht, und zwar zunächst der BayObLG, Beschl. v. 16.12.2022 – 202 StRR 110/22 – zu den Voraussetzungen für einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr durch Einwirkung auf ein Pferd.
Das AG hat die Angeklagten u.a. wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt. Das LG hat dann frei gesprochen. Die dagegen gerichteten Revisionen hatten keinen Erfolg.
Die Berufungskammer war von folgenden Feststellungen ausgegangen:
„Die beiden miteinander verheirateten Angeklagten und die Nebenklägerin sind Nachbarn. Am Nachmittag des 19.01.2021 ritt die Nebenklägerin auf ihrem Pferd auf der öffentlichen Gemeindestraße zwischen den Anwesen der Angeklagten und der Familie der Nebenklägerin. Der Nebenklägerin war aufgrund vorangegangener Vorfälle mit den Angeklagten bekannt, dass diese aufgrund einer langjährigen Nachbarschaftsstreitigkeit mit der Familie der Nebenklägerin immer wieder versuchen, die Pferde der Nebenklägerin beim Passieren ihres Grundstücks zu erschrecken. Aus diesem Grund hatte die Nebenklägerin ca. eine Minute vor Erreichen des Anwesens der Angeklagten die Kamera ihres Mobiltelefons eingeschaltet, um eventuelle Übergriffe auf sie oder ihr Pferd zu dokumentieren und – wie bereits wiederholt in der Vergangenheit – zur Anzeige zu bringen. Als sich die Nebenklägerin dem Haus der Angeklagten näherte, waren diese mit Schneeräumarbeiten beschäftigt. Während die Nebenklägerin an der Angeklagten vorbeiritt, warf diese mit der Schneeschaufel eine geringe Menge Schnee dem Pferd hinterher. Die Berufungskammer konnte nicht feststellen, ob das Pferd von dem Schnee getroffen wurde. Die von der Nebenklägerin gerittene Stute geriet hierdurch in eine gewisse Aufregung, konnte jedoch von ihr nach wenigen Sekunden unter Kontrolle gebracht werden. Zu einem Sturz oder einer Verletzung der Nebenklägerin kam es nicht. Auch die konkrete Gefahr eines Sturzes konnte nicht festgestellt werden. Dass die Angeklagte einen solchen Sturz und eine daraus resultierende mögliche Verletzung der Nebenklägerin gewollt oder zumindest billigend in Kauf genommen hätte, konnte die Berufungskammer ebenfalls nicht feststellen. Die Nebenklägerin und die Angeklagte gerieten daraufhin vor der Terrasse des Anwesens der Angeklagten in ein Streitgespräch, bei dem die Nebenklägerin die Angeklagte mehrfach erzürnt anschrie: „Mach nur weiter! Komm, noch ´ne Schippen!“ Der Angeklagte, der wenige Meter entfernt weiterhin Schnee von der Terrasse seines Anwesens geschoben hatte, ohne sich anfangs um die Nebenklägerin zu kümmern, warf nunmehr – durch das laute Schreien der Nebenklägerin provoziert – ebenfalls eine Schaufelladung Schnee in Richtung der Nebenklägerin und ihres Pferdes, worauf diese mit dem Ausruf „Ja, das hat ja wohl ein Nachspiel! Freu´ Dich schon mal!“ in ihr gegenüberliegendes Grundstück ritt. Eine Schreckreaktion des Pferdes durch das Verhalten des Angeklagten war nicht erkennbar. Die Berufungskammer ging auch nicht davon aus, dass der Angeklagte derartiges beabsichtigt oder zumindest billigend in Kauf genommen hatte. Ebenso wenig gelangte die Berufungskammer zu der Überzeugung, dass der Angeklagte einen Sturz und eine hieraus resultierende Verletzung der Nebenklägerin gewollt oder auch nur billigend in Kauf genommen hätte. Während des gesamten Vorfalls waren keine anderen Verkehrsteilnehmer auf der Straße unterwegs.“
Das BayObLG verneint sowohl die Strafbarkeit wegen eines vollendeten § 315b StGB als auch wegen eines versuchten § 315b StGB. Hier die Ausführungen zur Vollendung:
„b) Zutreffend hat die Berufungskammer eine Strafbarkeit wegen vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint. Denn nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fehlt es schon an einer vom Straftatbestand vorausgesetzten konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert, sodass es auf die weiteren Tatbestandsmerkmale nicht mehr ankommt.
aa) Eine konkrete Gefahr ist nur dann anzunehmen, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“ (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 06.07.2021 – 4 StR 155/21 = Blutalkohol 58, 328 [2021] = StV 2022, 26 = ZfSch 2021, 706 = BGHR StGB § 52 Abs 1 Entschluss, einheitlicher 2 = BGHR StGB § 315c Gefahr 2; 08.06.2021 – 4 StR 68/21 = NStZ-RR 2021, 251 = VRS 140, 258 [2021] = VRS 140, Nr 52; 17.02.2021 – 4 StR 528/20 = NStZ-RR 2021, 187; 06.08.2019 – 4 StR 255/19 = NStZ-RR 2019, 343 = VRS 137, 1 [2019] = VRS 137, Nr 1 = NZV 2020, 303; 20.03.2019 – 4 StR 517/18 = VerkMitt 2019, Nr 5 = NStZ 2020, 225).
bb) Gemessen hieran rechtfertigen die tatrichterlichen Feststellungen einen „Beinahe-Unfall“ in diesem Sinne nicht. Vielmehr hat das von der Nebenklägerin gerittene Pferd nach den Urteilsgründen auf die Schneewürfe nicht derart reagiert, dass von einem Beinahe-Unfall gesprochen werden könnte. Auf den von der Angeklagten mittels einer Schneeschippe in Richtung des Pferdes durchgeführten Wurf einer „geringen Menge Schnee“ geriet das Pferd zwar in eine „gewisse Aufregung“, konnte aber bereits nach wenigen Sekunden unter Kontrolle gebracht werden. Letzteres ist umso bemerkenswerter, als dies der Nebenklägerin offensichtlich ohne weiteres gelang, obwohl sie gleichzeitig das Geschehen mit der Kamera ihres Mobiltelefons aufzeichnete, was die Konzentration auf das Geschehen und die Kontrolle des Pferdes von vornherein erschwerte. Nach den Urteilsfeststellungen handelte es sich damit um eine ohne weiteres im Alltag zu erwartende Reaktion eines Pferdes, mit der jederzeit gerechnet werden muss, was aber noch keineswegs dazu führte, dass eine konkrete Gefährdung für Pferd, Reiterin oder sonstige Verkehrsteilnehmer, die ohnehin nicht zugegen waren, eingetreten wäre. Diese Einschätzung wird überdies durch das Verhalten der Nebenklägerin bestätigt, die nach den Urteilsfeststellungen die Angeklagten lautstark mit den Worten „noch ´ne Schippen“ sogar dazu aufforderte, ihr Verhalten zu wiederholen. Auf das Handeln des Angeklagten, der nach den Gründen des Berufungsurteils anschließend ebenfalls eine Schaufelladung Schnee in Richtung der Nebenklägerin und ihres Pferdes warf, reagierte das Pferd überhaupt nicht mehr. Nach den Urteilsfeststellungen ist damit in beiden Fällen allenfalls von einer abstrakten Gefahr, die sich theoretisch zu einer Verletzung hätte verdichten können, auszugehen, was aber für die Tatbestandserfüllung des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB gerade nicht genügt.“
Die restlichen Ausführungen bitte selbst lesen……