Und im zweiten Gebührenbeitrag 2023 dann noch etwas zum Adhäsionsverfahren, nämlich der LG Osnabrück, Beschl. v. 05.09.2022 – 18 KLs 5/22. Der behandelt dann erneut die Frage der Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung. Und das LG Osnabrück entscheidet – wie in meinen Augen häufig – gegen den Pflichtverteidiger und für die Staatskasse/den Bezirksrevisor.
Der Rechtsanwalt war dem Verurteilten in einem Verfahren mit dem Vorwurf des besonders schweren Raubes u.a. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 15.02.2020 beantragte der Geschädigte, den Angeklagten im Wege des Adhäsionsverfahrens zur Zahlung eines Schmerzensgeldes zu verurteilen. Im Hauptverhandlungstermin vom 15.07.2021 schlossen der Angeklagte und der Geschädigte A einen entsprechenden Vergleich. Der Angeklagte hat weder einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Schmerzensgeldklage gestellt, noch hat er beantragt, die Verteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren zu erstrecken. Auch von Amts wegen erfolgte keine Erweiterung der bereits erfolgten Pflichtverteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren.
Nach Beendigung des Verfahrens hat der Pflichtverteidiger die Festsetzung seiner gesetzlichen Vergütung beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die geltend gemachte Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG für das Adhäsionsverfahren in Höhe von 98,- EUR nebst Umsatzsteuer und eine Einigungsgebühr in Höhe von 49,-EUR nebst Umsatzsteuer nicht festgesetzt. Dagegen die Erinnerung zum LG, das – zumindest teilweise – falsch entschieden hat:
„Die Zuständigkeit der Kammer folgt aus § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG. Mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache obliegt die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG dem Einzelrichter.
Die Erinnerung ist in der Sache nicht begründet. Zwar ist für die Teilnahme am Adhäsionsverfahren eine Gebühr angefallen. Der Beschwerdeführer kann deren Erstattung in-dessen nicht aus der Landeskasse beanspruchen. Prozesskostenhilfe gemäß § 404 Abs. 5 StPO, § 114 ZPO ist dem Angeklagten mangels entsprechender Antragstellung nicht bewilligt worden, so dass ein Gebührenanspruch des Verteidigers gegen die Landeskasse hieraus ausscheidet. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass der Erinnerungsführer dem Angeklagten als Verteidiger bestellt worden war.
Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung – automatisch – Prozesskosten-hilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist umstritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. u.a. OLG Rostock Beschluss vom 15.6.2011 – I Ws 166/11, BeckRS 2011, 18598; OLG Köln Beschluss vom 29.6.2005 – 2 Ws 254/05, BeckRS 2005, 7953; OLG Hamm Beschluss vom 31.5.2001 – 2 [s] Sbd. 6¬87/01, BeckRS 2001, 5826; OLG Schleswig NStZ 1998, 101; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 4; jeweils m.w.N.), wird andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. OLG Dresden Beschluss vom 27.3.2013 – 3 Ws 2/13, BeckRS 2013, 22042; KG Beschluss vom 24.6.2010 – 1 Ws 22/09, BeckRS 2011, 2650; OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 114 Ls.; MüKoStPO/Grau, 2019, § 404 Rn. 8; v. Heintschel-Heinegg/Bockemühl in Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, 2020, § 404 Rn. 29; Schöch in Satzger/Schlucke-bier/Widmaier, StPO, 4. Aufl., § 404 Rn. 19; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141 – 4147 Rn. 41, jeweils m.w.N.).
Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang nicht einheitlich entschieden: Während der 6. Strafsenat die Auffassung vertritt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst (BGH NJW 2021, 2901), hat der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 08.12.2021 – 5 StR 162/21 (BeckRS 2021, 40545) dargelegt, dass die Beiordnung des Verteidigers für das Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und damit einen entsprechenden Antrag unter Beifügung einer Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse voraussetzt (§ 405 Abs. 5 Satz 1 StPO i. V. mit § 117 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Letzterer Ansicht schließt sich die Kammer – im Einklang mit der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg (vgl. Beschluss vom 22.04.2010 – 1 Ws 178/10, BeckRS 2010, 11888) – an. Danach wird die Vertretung im Adhäsionsverfahren von der Pflichtverteidigerbestellung nicht erfasst….“
Den Rest schenke ich mir hier. Das sind die Argumenten, die wir aus einer Vielzahl falscher Entscheidungen, kennen. Insoweit nichts Neues.
Anzumerken ist: Soweit die Kammer der Auffassung ist, „dass mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache …. die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG“ dem Einzelrichter obliege, kann man nur den Kopf schütteln. Meint man das wirklich ernst bei einer der immer noch/leider wieder höchst umstrittenen Fragen im anwaltlichen Gebührenrecht? Allein der Umstand, dass der entscheidende Einzelrichter zwei gegensätzliche BGH-Beschlüsse zitiert und OLG-Rechtsprechung sowohl für die eine als auch für die andere Auffassung anführt, zeigt m.E., dass das falsch ist. Da ist dann noch nicht berücksichtigt, dass zahlreiche weitere OLG-Entscheidungen sich mit der Frage befassen. Warum die Sache dann keine grundsätzliche Bedeutung haben soll, erschließt sich nicht. Eine (nachvollziehbare) Begründung gibt das LG dann auch lieber nicht.
In der maßgeblichen Streitfrage ist in den letzten Jahren viel hin und her geschrieben worden. Man, zumindest ich, hatte gehofft, dass nach der auch vom LG angeführten Entscheidung des 6. Strafsenats des BGH die Problematik erledigt und sich die richtige Auffassung, die von einer Erstreckung ausgeht, durchsetzen würde. Aber leider gefehlt, weil der 5. Strafsenat des BGH in seinem Beschluss v. 8.12.2021 meinte, anders entscheiden zu müssen, ohne sich allerdings mit einem Wort mit der Entscheidung des 6. Strafsenats auseinanderzusetzen, mit Ausnahme des Hinweises, dass eine Anrufung des Großen Senats nicht erforderlich sei. Auf diesen Zug des 5. Strafsenats springt nun das LG auf, wobei es allerdings außer acht lässt, dass es inzwischen weitere obergerichtliche Rechtsprechung gibt, die die Rechtslage ebenso gesehen hat wie der 6. Strafsenat (vgl. BGH, Urt. v. 30. 6.2022 – 1 StR 277/21, NStZ-RR 2022, 336; OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.1.2022 – 1 Ws 108/21 (S), AGS 2022, 211).
Ich erspare mir, noch einmal im Einzelnen darzulegen, warum die Auffassung des 5. Strafsenats des BGH und des LG Osnabrück falsch ist. Die Argumente insoweit sind ausgetauscht. Die Argumentation des LG wird auch nicht dadurch richtiger, dass man auf alte/frühere Rechtsprechung des OLG Oldenburg aus dem Jahr 2010 (!) verweist. Denn woher will das LG wissen, ob das OLG diese Auffassung heute noch immer vertritt oder ob es nicht wie das OLG Brandenburg, das früher auch die andere Auffassung vertreten hat (vgl. OLG Brandenburg AGS 2009, 69 = StRR 2009, 3 [Ls.]), die „Seite wechselt“ und sich dem 1. und 6. Strafsenat des BGH anschließt.
Was nun? Nun, man kann auf der Grundlage dieser alten/neuen Rechtsprechung dem Verteidiger nur weiter empfehlen, in den Fällen, in denen ein Adhäsionsantrag gestellt wird, nach wie vor durch entsprechende Anträge auf Klarstellung und/oder Erweiterung der Pflichtverteidigerbestellung zu drängen, damit dann im Vergütungsfestsetzungsverfahren der Einwand der Staatskasse: Die Pflichtverteidigerbestellung umfasst das Adhäsionsverfahren nicht, ausgeschlossen ist. Es nutzt nichts, sich auf der BGH-Rechtsprechung auszuruhen und darauf zu vertrauen, dass diese zum eigenen Gunsten angewendet werden wird. Der vorliegende Fall zeigt, dass das ein Fehlschluss sein kann, der erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge haben kann. Hier waren es wegen eines offenbar nur geringen Gegenstandswert nur knapp 150 EUR, die dem Verteidiger verloren gegangen sind, ggf. kann es sich aber auch um sehr viel höhere Beiträge handeln.
Zutreffend ist es allerdings, dass das LG eine Einigungsgebühr nicht festgesetzt hat. Insoweit hätte in der Tat eine ausdrücklich PKH-Bewilligung erfolgen müssen. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob das LG überhaupt erkannt hat, dass das aufgrund einer andern Argumentation richtig ist (OLG Jena AGS 2009, 587; OLG Nürnberg StraFo 2014, 37).