Und zum Tagesschluss dann noch das AG Dortmund Urt. v. 11.10.2022 – 729 OWi-262 Js 1751/22-110/22.
Das AG hat eine Rentnerin wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Bußgeldkatalog sieht für den vom AG festgestellten Verstoß in 11.3.7 eine Regelgeldbuße von 320,00 EUR und ein Fahrverbot von 1 Monat vor.
Das AG hat „angesichts der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse und von der Betroffenen dargestellter erheblicher Erhöhungen der derzeitigen Lebenshaltungskosten, insbesondere der Energiekosten“ die Geldbuße auf 200,00 EUR abgesenkt.
Es hat aber das Regelfahrverbot festgesetzt und führt dazu aus:
„Umstände, die ein Absehen vom Regelfahrverbot hätten nahelegen können, waren nicht erkennbar und wurden auch nicht weiter geltend gemacht. Der Verteidiger regte zwar im Rahmen der Hauptverhandlung die Verdopplung der Geldbuße gegen ein Absehen vom Fahrverbot an. Die Betroffene erklärte jedoch darauf, dass sie dann lieber für die Zeit eines Fahrverbotes laufe aber nicht so viel für einen derartigen Verstoß zahlen wolle. Die Anwendung des § 4 Abs. 4 BKatV hat das Gericht daher dem Betroffenenwillen entsprechend ausgeschlossen. Etwaige Härten wurden seitens der Betroffenen nicht geltend gemacht. Insbesondere schieden diese auch deshalb aus, weil der Ehemann der Betroffenen selbst Führerscheininhaber ist und die Betroffene erklärte, bei Bedarf könne er sie fahren. Überdies sind Rentner*innen ebenso wie etwa Arbeitslose und natürlich auch Beamt*innen grundsätzlich in keinster Weise auf die Existenz einer Fahrerlaubnis zwingend angewiesen.“
Dazu: Die Fahrverbotsentscheidung lässt sich so vertreten, sie ist zumindest von OLG-Rechtsprechung gedeckt. Zwingend ist sie nicht, zumindest dürfte es auf den Einzelfall ankommen – wie immer.
Aber – schon wieder Mecker 🙂 – bei dem letzten Satz in o.a. Zitat habe ich dann doch Bauchschmerzen. Zunächst die Formulierung: „in keinster Weise“. „Kein“ kann man nicht steigern, „Null“ bleibt „Null“. Weniger geht m.E. nicht.
Und: Was sollen die „*“ bei „Rentner*innen“ und bei „Beamt*innen“? Muss das sein? Wenn man damit anfängt, sind die Urteile bald unlesbar. Zudem: Hätte es dann nicht auch „Arbeitslos*innen“ oder „Personen ohne Arbeit“ heißen müssen? Wenn schon, denn schon.
Ich habe mir übrigens erlaubt, beim Einstellen der Entscheidung auf meiner Homepage den entsprechenden amtlichen Leitsatz zu „begradigen“.
Gegenderte Urteile bzw. Entscheidungen sollten ein absoluter Revisionsgrund sein.
Abgesehen von der Genderung halte ich den letzten Satz in dem Zitat für grundsätzlich in keinster Weise richtig. Es gibt Rentner, deren Lebenssituation einen Verzicht auf ein Auto kaum zulässt. Klar kann man von ihnen verlangen, dann eben so zu fahren, daß sie die Fahrerlaubnis nicht gefährden, aber wenn das das einzige Kriterium wäre, könnte man sich auch sonst alle Erwägungen zum Absehen von einem Fahrverbot sparen. Und auch Arbeitslose, die Arbeit suchen, können dazu auf eine Fahrerlaubnis angewiesen sein. Sei es, weil sie in einem Beruf suchen, der das verlangt, oder weil sie abseits wohnen und sonst per Anhalter zu Bewerbungsgesprächen fahren müssen. Warum sieht sich das Gericht zu einer so allgemeingültigen wie falschen Feststellung veranlaßt? Es sollte sich nicht zu Fragen äußern, die für den Fall ersichtlich ohne Belang sind und lediglich der Ventilation persönlicher Befindlichkeiten dienen.
Hatte ich doch auch schon geschrieben, dass es auf den Einzelfall ankommt. Warum das AG dieses Sendungsbewusstsein hat, kann ich Ihnen nicht sagen 🙂
Zumindest dem Gender-Lesbarkeitsproblem kann man mit technischer Hilfe gut begegnen, z.B. mit Binnen-I-be-gone (https://addons.mozilla.org/de/firefox/addon/binnen-i-be-gone/ für Firefox, aber auch für andere Browser verfügbar). Oft ermöglicht es erst, einen Text richtig zu lesen, und die Qualität der Umsetzung ist schon sehr hoch.