Es ist heute mal wieder Zeit für einen „Pflichti“-Tag, den ich mit zwei Entscheidungen zum Verfahren, und zwar zur Frage des Zeitpunkts der Bstellung eröffne. Es geht um den Begriff der „Eröffnung des Tatvorwurfs“ im Sinn von § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO.
Das AG Hamburg hatte mit dem AG Hamburg, Beschl. v. 22.02.2022 – 163 Gs 259/22 – also shcon etwas älter, aber erst vor kurzem übersandt bekommen – die Bestellung eines Pflichtvertedigers abgelehnt. Begründung: Für die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist sowohl nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO bei Anträgen des Beschuldigten als auch in den Konstellationen, in denen kein Antrag gestellt wurde, nach § 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO Voraussetzung, dass dem Beschuldigten der Tatvorwurf eröffnet worden ist. Die Kenntniserlangung vom Tatvorwurf auf anderem Weg – wie in dem Vrefahren – sei nicht ausreichend.
Dagegen hat der Kollege Penneke, der mir die Beschlüsse geschickt hat, sofortige Beschwerde eingelegt. Das LG Hamburg richtet es dann im LG Hamburg, Beschl. v. 11.03.2022 – 613 Qs 7/22 – und ordnet bei, was zutreffend ist:
„b) Dem Beschuldigten war zu, diesem Zeitpunkt der Tatvorwurf auch bereits im Sinne des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO eröffnet.
Der Begriff der Eröffnung des Tatvorwurfs ist nicht so eng auszulegen, dass nur förmliche Mitteilungen über die Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens im Sinne von §§ 136, 163a StPO hinreichend sind (so aber Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage 2021, § 141 Rn. 3, nach dem unter der Eröffnung des Tatvorwurfs die förmliche Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens zu verstehen ist). Vielmehr genügt es für die Eröffnung des Tatvorwurfs, dass der Beschuldigte durch amtliche Mitteilung oder auf andere Weise als durch amtliche Mitteilung von dem Tatvorwurf gegen ihn in Kenntnis gesetzt worden ist (BeckOK StPO/Krawczyk, 42. Edition Stand 01.01.2022, § 141 Rn. 4).
Der Terminus „Eröffnung des Tatvorwurfs“ in § 141 StPO lässt eine solche Auslegung zu. Auf einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers kann geschlossen werden, da in den Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drucks. 19/13829, Seite 36) ausdrücklich auf die Richtlinie 2013/48/EU vom 22.10.2013 (Richtlinie über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls Bezug genommen wird. Nach Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie ist ihr Anwendungsbereich. erst ab demjenigen Zeitpunkt eröffnet, zu dem Verdächtige oder beschuldigte Personen von den zuständigen Behörden eines Mitgliedsstaates „durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig sind oder beschuldigt werden“. Ausreichend ist daher, dass der Beschuldigte in irgendeiner Form von amtlicher Seite mit dem Tatvorwurf konfrontiert worden ist (vgl. Landgericht Neubrandenburg, Beschluss vom 30.07.2021, BeckRS 2021, 28689; noch weitergehend auf die bloße tatsächliche Kenntnis des Beschuldigten abstellend: Landgericht Magdeburg, Beschluss vom 24.07.2020, BeckRS 2020, 21147).
Dies war hier der Fall. Unabhängig vom konkreten Wortlaut der Äußerungen des Sitzungsvertreters der Generalstaatsanwaltschaft stand in der Hauptverhandlung vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg der hiesige Tatvorwurf jedenfalls im Raum. Nachdem die Vorsitzende im Rahmen dieser Hauptverhandlung mitgeteilt hatte, dass der dortige Zeuge pp. – gegen den sich die hiesige Straftat richten soll – nicht erscheinen wolle und auch den Inhalt seiner Angaben bei der Polizei mitgeteilt hatte, erkundigte sich der Sitzungsvertreter ausweislich seines Vermerks vom 07.03.2022 im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, ob sich der Beschuldigte auch in dieser Sache von Rechtsanwalt pp. vertreten lassen werde. Dies ist bereits als hinreichende Konfrontation mit dem etwaigen Tatvorwurf anzusehen, sodass dahinstehen kann, ob die weitergehende Äußerung des Sitzungsvertreters, dass ein Verfahren gegen den Beschuldigten „in richtiger Weise“ eingeleitet worden sei, tatsächlich gefallen ist oder nicht.“