Gegenstandswert der Verfassungsbeschwerde, oder: Bei 59,50 EUR im Ausgangsverfahren keine 35.370 EUR

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Und als zweite Entscheidung aus dem Gebührenbereich etwas zur Bemessung des Streitwertes in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, und zwar der VerfGH NRW, Beschl. v. 12.07.2022 – VerfGH 104/21.VB-2. Ergangen ist er in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren, in dem der VerfGH NRW durch den VerfGH NRW, Beschl. v. 21.06.2022 – VerfGH 104/21.VB-2 entschieden hat, den ich hier ja auch schon vorgestellt habe (vgl. Übergehen des wesentlichen Kerns des Vorbringens, oder: Rechtliches Gehör im Zivilverfahren).

Der Verfassungsgerichtshof hat der Verfassungsbeschwerde eines Klägers stattgegeben, mit der dieser sich gegen die teilweise Klageabweisung – es ging um einen Betrag von 59 EUR – in einem verkehrsrechtlichen Verfahren vor dem AG gewandt hatte. Der Verfassungsgerichtshof hat eine Verletzung des Klägers in seinem Recht auf rechtliches Gehör festgestellt, das angegriffene amtsgerichtliche Urteil im Umfang der Klageabweisung aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das AG zurückverwiesen. Der Bevollmächtigten des Klägers hat nunmehr die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren beantragt. Der Wert soll auf mindestens 35.370- EUR festgesetzt werden. Der VerfGH hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit auf (nur) 10.000 EUR festgesetzt:

„1. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 14 Abs. 1 RVG. Der Verfassungsgerichtshof folgt bei der Festsetzung des Gegenstandswerts nach diesen Vorschriften den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäben (vgl. grundlegend VerfGH NRW, Beschluss vom 18. Juni 2019 – VerfGH 2/19.VB-2, juris, Rn. 3 m. w. N. zur Rechtsprechung des BVerfG). Danach kommt es sowohl auf die subjektive als auch die objektive Bedeutung der Sache an. In diesem Zusammenhang hat auch der Erfolg einer Verfassungsbeschwerde Einfluss auf die Höhe des festzusetzenden Gegenstandswerts. Ferner sind der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Schließlich fließen die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers bei der Bemessung des Gegenstandswerts ein, soweit sie deutlich aus dem Rahmen fallen und dem Verfassungsgerichtshof mitgeteilt oder aufgrund des Gegenstands oder Verlaufs des Verfahrens offenbar werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 1989 – 1 BvR 1291/85, BVerfGE 79, 365 = juris, Rn. 14). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist der Mindestgegenstandswert des § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 RVG bei Verfassungsbeschwerden, die zwar Erfolg haben, aber in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinausgehen, nicht von überdurchschnittlicher Schwierigkeit sind, keinen großen Umfang haben und auch im Übrigen nicht mit außergewöhnlichen Umständen verbunden sind, regelmäßig zu verdoppeln (VerfGH NRW, Beschluss vom 18. Juni 2019 – VerfGH 2/19.VB-2, juris, Rn. 3).

2. Dies zugrunde gelegt, ist der in § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 RVG gesetzlich vorgesehene Mindestgegenstandswert auch hier lediglich zu verdoppeln (siehe für einen vergleichbaren Fall VerfGH NRW, Beschluss vom 14. September 2021 – VerfGH 137/20.VB-2, r+s 2021, 725 = juris, Rn. 22) und dem weitergehenden Antrag im Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 5. Juli 2022 nicht zu entsprechen.

Die subjektive Bedeutung der Verfassungsbeschwerde für den Beschwerdeführer ist in wirtschaftlicher Hinsicht als gering zu bewerten, weil sie nur einen Betrag von 59,50 Euro betrifft. Begrenzt wird die subjektive Bedeutung zudem durch den Inhalt der vom Verfassungsgerichtshof getroffenen Entscheidung. Er hat dem Beschwerdeführer den Betrag von 59,50 Euro nicht etwa zugesprochen, sondern das angegriffene Urteil im Umfang der Klageabweisung nur aufgehoben und die Sache insoweit an das Amtsgericht zurückverwiesen. Der weitere Gang des dortigen Verfahrens ist offen. Allerdings hatte die Verfassungsbeschwerde damit den vom Beschwerdeführer erstrebten Erfolg. Überdies hatte die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs für ihn rehabilitierende Wirkung. Die Verfassungsbeschwerde war auch im Umfang seiner Rüge einer eigenständigen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Anhörungsrügebeschluss vom 3. August 2021 begründet, mit dem ihm das Amtsgericht – zu Unrecht – ein prozessual unzulässiges Vorgehen vorgeworfen hatte.

In objektiver Hinsicht kommt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs entgegen den Ausführungen im Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 5. Juli 2022 keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu. Der Fall hat keine erstmals klärungsbedürftigen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Vielmehr hat der Verfassungsgerichtshof lediglich die bekannten Maßstäbe für eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör zur Anwendung gebracht. Soweit im Schriftsatz der Bevollmächtigten darauf hingewiesen wird, dass die Unfallschadensregulierung ein Massengeschäft sei und die im amtsgerichtlichen Verfahren umstrittenen Verbringungskosten – mit entsprechender wirtschaftlicher Bedeutung – massenhaft vor nordrhein-westfälischen Gerichten geltend gemacht würden, lässt sich hieraus für die objektive Bedeutung der Sache nichts ableiten. Über die einfach-rechtliche Frage der Ersatzfähigkeit von Verbringungskosten hat der Verfassungsgerichtshof nicht entschieden.

Soweit im Schriftsatz der Bevollmächtigten schließlich der erhebliche anwaltliche Arbeitsaufwand für das Verfassungsbeschwerdeverfahren hervorgehoben wird, fließt der Aspekt sorgfältiger anwaltlicher Arbeit in die Wertbemessung mit ein, rechtfertigt hier im Rahmen der Gesamtschau aber keine Anhebung des Gegenstandswerts über den verdoppelten Mindestwert hinaus. Zum einen war die Sache von nicht mehr als durchschnittlicher tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeit und auch vom Umfang her überschaubar. Zum anderen muss ungeachtet des anwaltlichen Aufwands stets die Bedeutung der Sache das ausschlaggebende Moment für die Wertfestsetzung bleiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 1989 – 1 BvR 1291/85, BVerfGE 79, 365 = juris, Rn. 12).

Da die Verfassungsbeschwerde auch im Übrigen nicht mit außergewöhnlichen Umständen verbunden war, erscheint in der gebotenen Gesamtschau die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 10.000,- Euro angemessen.“

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