In der dritten Entscheidung des Tages, dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.05.2022 – IV-2 RBs 75/22 –, geht es auch noch einmal um die Nachholung von Verfahrensrüge, allerdings im Rechtsbeschwerdeverfahren. Aber da ist die Problematik ähnlich wie in der Revision.
Hier hatte das AG Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen gewährt. Das OLG untersucht u.a. die Frage, ob es als Rechtsbeschwerdegericht daran gebunden ist. Der Verteidiger hatte bei Einlegung der Rechtsbeschwerde beantragt, ihm nach Fertigstellung des Protokolls (erneut) Akteneinsicht zu gewähren. Die richterliche Verfügung zur Gewährung der Akteneinsicht wurde nicht ausgeführt. Am letzten Tag der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist hat der Verteidiger dann die Begründungsschrift eingereicht. Zugleich hat er auf den nicht erledigten Antrag auf Akteneinsicht hingewiesen und „bereits jetzt um Wiedereinsetzung im Hinblick auf die Frist zur Rechtsbeschwerdebegründung und Fristerstreckung von 4 Wochen nach Erhalt der Akteneinsicht“ gebeten.
Das AG hat Wiedereinsetzung gewährt, sich dabei aber ohne nähere Bestimmung und Begründung auf folgende Beschlussformel beschränkt:
„Dem Betroffenen wird auf seine Kosten (§§ 46 OWiG, 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.“
Das OLG untersucht u.a., ob es daran gebunden ist. Die Antwort – eie häufig: Ja, aber:
„Der Beschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 7. März 2022 hat keinen bestimmten Regelungsgehalt und ist gegenstandslos.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass über einen Wiedereinsetzungsantrag das Gericht entscheidet, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 46 Abs. 1 StPO), hier also das Rechtsbeschwerdegericht. Denn der Wiedereinsetzungsantrag betrifft die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist allerdings an die Entscheidung gebunden, wenn das (insoweit unzuständige) Amtsgericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt hat (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 49; OLG Hamm BeckRS 2011, 29517; Cremer in: BeckOK, StPO, 42. Edition 2022, § 46 Rdn. 5).
Vorliegend enthält der Beschluss über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand indes keine bestimmte Regelung, so dass die Entscheidung ins Leere geht und inhaltlich keine Bindungswirkung entfaltet.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Nachholung einzelner Verfahrensrügen kann ausnahmsweise dann erfolgen, wenn dem Verteidiger trotz angemessener Bemühungen vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist keine Akteneinsicht gewährt wurde und nach Fristablauf Verfahrensrügen nachgeschoben werden, die ohne Aktenkenntnis nicht begründet werden konnten. In einem solchen Ausnahmefall ist für jede Verfahrensrüge darzulegen, dass der Verteidiger durch die fehlende Akteneinsicht an einer ordnungsgemäßen Begründung gehindert war (vgl. BGH NStZ 1997, 45; OLG Zweibrücken wistra 2001, 277).
Zudem ist die Nachholung der versäumten Handlung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO zwingende Voraussetzung für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. BGH BeckRS 1988, 3434 = wistra 1989, 68 ; OLG Düsseldorf [1. Senat für Bußgeldsachen] VRS 67, 53 = JMBl NW 1984, 95; BayObLG BeckRS 1995, 11028; OLG Jena BeckRS 2018, 42958; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 45 Rdn. 11).
Daran fehlte es hier. Das (unzuständige) Amtsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf den verfrühten Antrag des Verteidigers vorab ohne jeglichen Bezug auf eine bestimmte Verfahrensrüge gewährt. Zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 7. März 2022 war schon ungewiss, ob die danach gewährte Akteneinsicht dem Verteidiger überhaupt Anlass zur Nachholung einer oder mehrerer Verfahrensrügen geben würde. Erst recht war deren Inhalt nicht absehbar, so dass sich nicht beurteilen ließ, ob der Verteidiger durch die fehlende Akteneinsicht an einer ordnungsgemäßen Begründung gehindert war.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die ohne konkreten Bezug auf eine gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO nachgeholte Handlung vorab ins Ungewisse gewährt wird und sich gleichsam als „Blankoscheck“ für die künftige Nachholung beliebiger Verfahrensrügen darstellt, ist dem Gesetz fremd und mangels Bestimmtheit gegenstandslos.“