Und dann zum Wochenschluss der Kessel Buntes. Heute hier zunächst eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung, und zwar der VG Koblenz, Beschl. v. 19.05.2022 – 4 L 455/22.KO. Das VG nimmt Stellung zur Frage der Fahreignung in den Fällen einer Dauerbehandlung mit einem Arzneimittel, das als Wirkstoff Amphetamin enthält.
Das VG meint:
„Bei der Dauerbehandlung mit Arzneimitteln enthält die Anlage 4 FeV in Nr. 9.6.2 eine vorrangige Sondervorschrift. Danach scheidet eine Fahreignung aus, sofern eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß vorliegt.
Damit ist nach der Anlage 4 FeV die Fahreignung jedenfalls dann zu verneinen, wenn im Rahmen einer Dauerbehandlung Arzneimittel eingenommen werden, die als Wirkstoff Amphetamin enthalten und – wie hier – drogentypische Ausfallerscheinungen beim Fahrerlaubnisinhaber festgestellt werden.
b) Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV scheidet eine Fahreignung des Antragstellers aus. Er hat Amphetamin, eine im Betäubungsmittelgesetz (Anlage III (zu § 1 Abs. 1)) genannte – harte – Droge konsumiert. Dies ergibt sich aus dem toxikologischen Befund des Instituts für Rechtsmedizin in A. vom 22. Februar 2022. Danach wurde durch die Untersuchung der bei dem Antragsteller am 20. Januar 2022 entnommenen Blutprobe die Aufnahme von Amphetamin belegt. Schon der einmalige Konsum dieser Droge genügt für den Eignungsausschluss unabhängig davon, ob ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss des Betäubungsmittels geführt wurde (vgl. VGH BW, Beschluss vom 7. April 2014 – 10 S 404/14 –, juris, Rn. 5; OVG RP, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – 10 B 11303/21.OVG –, n.v., BA S. 2 f.). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Nr. 9.1 Anlage 4 FeV. Das Wort „Einnahme“ erfasst auch ein erstes bzw. einmaliges Konsumieren eines Rauschmittels. Ferner spricht die in Nr. 9 Anlage 4 FeV verwendete Systematik dafür, von einem einmaligen Konsum harter Drogen auf eine mangelnde Fahreignung zu schließen. Der Verordnungsgeber differenziert dort nach der Art der Drogen (Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes, Cannabis, andere psychoaktiv wirkende Stoffe) und dem Konsumverhalten (Einnahme, regelmäßig, gelegentlich, Abhängigkeit). Demnach genügt regelmäßig schon die einmalige Einnahme von Amphetamin zum Ausschluss der Fahreignung (vgl. OVG RP, Beschlüsse vom 16. Dezember 2021 – 10 B 11303/21.OVG –, n.v., BA S. 2 m.w.N.; und 25. Juli 2008 – 10 B 10646/08.OVG –, juris, Rn. 4), sofern keine Umstände vorliegen, welche ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Solche Umstände sind im Fall des Antragstellers nicht gegeben.
c) Die auf die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln abstellende Regelung in Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV führt zu keinem anderen Ergebnis. Sie rechtfertigt nicht den Schluss, dass die Fahreignung des Antragstellers trotz der Einnahme des amphetaminhaltigen Arzneimittels „Elvanse“ gegeben ist. Denn ihre Voraussetzungen liegen nicht vor.
Bei einer Dauerbehandlung mit einem betäubungsmittelhaltigen Arzneimittel i.S.v. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV ist zu prüfen, ob dessen Einnahme indiziert und ärztlich verordnet ist, es zuverlässig nach ärztlicher Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, und ob zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch die Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. für „Medizinal-Cannabis“ BayVGH, Beschluss vom 30. März 2021 – 11 ZB 20.1138 –, juris, Rn. 19, m.w.N.; Beschluss der Kammer von 2. September 2021 – 4 L 784/21.KO –, n.v., BA S. 4).
Bei einer Dauerbehandlung mit amphetaminhaltigen Arzneimitteln sind diese Voraussetzungen noch enger zu fassen. Der Gesetzgeber geht – wie bereits dargelegt – bei der Einnahme „harter“ Drogen davon aus, dass wegen der Gefahr des Kontrollverlustes eine Fahreignung unabhängig davon auszuschließen ist, ob unter dem Drogeneinfluss ein Fahrzeug geführt wurde. Dass gerade Amphetamin im vorbezeichneten Sinne gefährlich ist, ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. B. bei der vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im Verfahren 7 A 10667/05.OVG durchgeführten Beweisaufnahme (Beschluss vom 4. Oktober 2005, juris, Rn. 3). Der in der mündlichen Verhandlung angehörte Gutachter vom Institut für Rechtsmedizin der C.-Universität A. hat im Einzelnen erläutert, dass Amphetamin eine erheblich stimulierende Wirkung habe. Es vermittele subjektiv den Eindruck besonderer Leistungs- und hoher Konzentrationsfähigkeit. Dieses subjektive Leistungsempfinden weiche aber erheblich von der objektiven Leistungsfähigkeit ab. Die Antriebssteigerung führe zudem zu einem ichbezogenen Denken, aufgrund dessen eigene Wünsche unabhängig von den Gegebenheiten der Umgebung durchgesetzt würden. Die gesteigerte Wachheit und der stimulierte Antrieb führten zu einer Inanspruchnahme von Leistungsreserven, die später nicht mehr zur Verfügung stünden. Dem schließe sich ein plötzlicher Leistungsabfall an, der nicht absehbar sei, so dass sich der Konsument auf ihn nicht einstellen könne.
Stellt eine Medikation mit amphetaminhaltigen Medikamenten nicht sicher, dass beim Patienten Ausfallerscheinungen in der genannten Art und Weise ausgeschlossen werden, führt dies aufgrund der damit verbundenen Gefahr des Kontrollverlustes zur Ungeeignetheit des Betreffenden zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Solche Ausfallerscheinungen lagen beim Antragsteller vor. Er hat ausweislich des Berichts der Polizeiinspektion D. im Zeitpunkt des Polizeieinsatzes am 20. Januar 2022 drogentypische Ausfallerscheinungen gezeigt. Die Polizeibeamten konnten gerötete/wässrige Augen und lichtstarre, geweitete Pupille feststellen. Der Antragsteller habe gezittert und sei unruhig gewesen. Damit lagen beim Antragsteller offensichtlich auf den Wirkstoff Amphetamin zurückzuführende drogentypische Beeinträchtigungen vor. Dies lässt den Schluss zu, dass sich der Antragsteller entweder nicht an die ärztlich verordnete Dosis gehalten hat – bereits dies würde nach den dargelegten Grundsätzen die Annahme von Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV ausschließen – oder die Verordnung nicht sicherstellt, dass die Einnahme des amphetaminhaltigen Medikaments zu Ausfallerscheinungen führt, welche die Gefahr der Teilnahme am Straßenverkehr durch den Antragsteller begründen.
Darüber hinaus spricht nach Aktenlage vieles dafür, dass der Antragsteller in dem dargelegten Zustand, also trotz der festgestellten Ausfallerscheinungen, einen Pkw geführt hat. Nach dem Polizeibericht trug er den Schlüssel für den Pkw, mit dem der Antragsteller und seine Begleitperson von der Polizei angetroffen worden waren, bei sich.
Zudem entspricht nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung die vom Antragsteller im Eilverfahren vorgelegte ärztliche Bescheinigung den genannten Anforderungen nicht. Dieser ist schon nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Erkrankung das Medikament „Elvanse“ verschrieben wird, sodass eine Indikation der Einnahme nicht dargelegt ist. Zudem fehlt es an Angaben dazu, wann das Medikament verschrieben worden ist und für welchen Zeitraum.
Vollkommen abwegige Entscheidung. Der Sachverständige A. von der C.-Universität wurde entweder missverstanden oder verfügt über keinelei Expertise zur relevanten Frage.
Wenn das Gericht schreibt, bei Amphetamin seien die Voraussetzungen „noch enger“ zu fassen und dabei eine Entscheidung zu Medizininal-Cannabis in Bezug nimmt, muss man sich schon am Kopf kratzen. Auch ohne persönliche Erfahrungen müsste einem Verwaltungsrichter mit FeV-Dezernat doch irgendwie schon mal zu Ohren gekommen sein, wie Cannabis und Amphetamin wirken.
Die Ausführungen, die dann in dem entsprechenden Absatz stehen, sind wahlweise haarsträubend oder losgelöst von der Sachlage. Der Satz, „Es vermittele subjektiv den Eindruck besonderer Leistungs- und hoher Konzentrationsfähigkeit.“ ist schon in sich widersprüchlich, weil ein „Eindurck von besonders hoher Konzentrationsfähigkeit“ kaum „vermittelt“ werden kann. Die Konzentrationsfähigkeit ist da oder sie ist nicht da. Niemand, der das nimmt, denkt sich, „Ach, jetzt kann ich mich aber gut konzentrieren! Klasse, da fahre ich doch mal 700 Kilometer!“
Der Satz, „Dieses subjektive Leistungsempfinden weiche aber erheblich von der objektiven Leistungsfähigkeit ab.“ ist hingegen schlicht abwegig. In Bezug auf die Konzentrationsfähigkeit (was beim KFZ-Fahren die Leistungsfähigkeit ist) wird sich keine wissenschaftliche Quelle finden lassen, nach der das nicht wirklich so wäre. Es hat schon Gründe, warum das Zeug von Kampfpiloten und Scharfschützen wie Tic-Tacs konsumiert wird.
Die Behauptung, „Die Antriebssteigerung führe zudem zu einem ichbezogenen Denken, aufgrund dessen eigene Wünsche unabhängig von den Gegebenheiten der Umgebung durchgesetzt würden.“ ist wohl kaum auf den in Rede stehenden Fall bezogen. Damit das passiert, müssen schon richtig ordentliche Mengen genommen werden. Wer solche Mengen nimmt, hat dann aber nicht das, was das Gericht als „typischen Drogenerscheiungen“ bezeichnet (Zittern, wässrige Augen usw.). Diese Erscheinungen treten – und das müsste ein Sachverständiger, wie er bestellt werden sollte, auch wissen – schon früh auf und sind gerade kein Zeichen für ein zu hohe Dosierung. Erst bei der zu hohen Dosierung lässt sich aber die Gefahr annehmen, von der das VG hier ausgeht. Das ist gerade nicht festgestellt. Im Übrigen liest es sich aber nicht so, als wäre der Betroffene kurz vor der Drogenpsychose angetroffen worden…
Auch der „plötzliche Leistungsabfall“ ist – wüsste der Richter, worüber er schreibt – nicht so, dass damit die Fahreigenschaften innerhalb weniger Minuten verloren gingen (und erst recht nicht so, dass dies vom Betroffenen unbemerkt bleibe).
Das alles ist nicht nur im tatsächlichen Bereich falsch, sondern auch im rechtlichen. Das Gericht vermengt hier den behaupteten Krankheitszustand mit der Einnahme. Das geht so nicht. Ein Erkrankter (mal unterstellt, es ging hier nicht um Narkolepsie, wofür das ohnehin nur off-label wäre) darf ein Fahrzeug bereits ohne Medikation führen. Mit Amphetaminmedikation wird er ein Fahrzeug deutlich sicherer führen können. Der Unterschied zu den Cannabis-Fälle besteht gerade darin, dass bei Cannabis die Medikation keinen Zustand behandeln soll, der die Fahrleistungen verschlechtert, sondern Schmerzen stillen soll. Das Cannabis wirkt dabei auch (negativ) auf die Fahrleistung. Bei Amphetamin ist es hingegen genau anders. Es soll einem Zustand abhelfen, der die Fahrfähigkeiten verringert.
Ebenso mangelhaft sind die Ausführungen zur ärztlichen Bescheinigung. Das ist nur auf BtM-Rezept verschreibungsfähig. Das nimmt niemand missbräuchlich im Sinne einer Überdosierung. Nicht weil das nicht missbraucht würde, sondern weil die verschreibungsfähige Menge schlicht keine Überdosiung hergibt. Wenn es in diesem Bereich Überdosierungen gibt, dann durch Einnahme nicht verschriebener Substanzen.
Langer Kommentar, aber manchmal wundert es mich doch, mit wie wenig Sachkunde manche Entscheidungen zu Stande kommen.
Und mich „wundert“ immer, wie schnell man doch anonym mit Begriffen wie „abwegig“ u.a. umgeht.