Raub III: Bewaffnete Wegnahme eines Mobiltelefons, oder: Wurde das Messer „verwendet“?

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Und dann stelle ich als dritte Entscheidung noch das BGH, Urt. v. 27.04.2022 – 5 StR 18/22 – vor. Das LG hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln verurteilt. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„1. Im Rahmen einer heftigen und lautstarken Diskussion mit dem Geschädigten am frühen Abend des 3. Februar 2021 an einer Straßenbahnhaltestelle zog der Angeklagte ein ungefähr 30 Zentimeter langes Küchenmesser und hielt es zunächst versteckt. Während des Streits nahm er es vor seinen Körper, woraufhin der Geschädigte zurückwich und verstummte. Der Angeklagte versuchte mehrfach, dem Geschädigten dessen Mobiltelefon aus der Hand zu reißen. Der Geschädigte konnte das Telefon jedoch zunächst festhalten. Letztlich gelang es dem Angeklagten, dem Geschädigten das Gerät zu entreißen, um es für sich zu behalten. Anschließend flüchtete er. Das Messer und das Mobiltelefon wurden wenig später bei der Durchsuchung seines Zimmers unter der Bettwäsche gefunden. Nachdem der Angeklagte auf ein Polizeirevier gebracht worden war, wurden in seiner Jackentasche 0,22 Gramm Cannabis sichergestellt.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten nicht wegen besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt, weil nicht zu klären gewesen sei, ob der Angeklagte das Messer bei der Wegnahme des Mobiltelefons „noch verwendete“. Ein Augenzeuge habe zwar beobachtet, dass der Angeklagte während des Streits ein Messer hielt. Nachdem der Angeklagte es vor seinen Körper genommen hatte, habe er es aber nicht mehr gesehen. Eine Augenzeugin habe zwar die Wegnahme, nicht aber das Messer wahrgenommen. Da sich der – für die Strafkammer nicht greifbare – Geschädigte in seiner polizeilichen Vernehmung hierzu nicht geäußert habe, sei zugunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass er das Messer bei der Wegnahme „nur noch weiter mit sich geführt, aber nicht verwendet“ habe.

Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil hatte Erfolg:

„….Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht standhält ( § 261 StPO ), soweit es sich nicht von einem Verwenden des Messers bei der Tat im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu überzeugen vermocht hat.

1. Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht Zweifel an dem Vorliegen eines den Angeklagten belastenden Sachverhalts (hier: Verwirklichung eines Qualifikationstatbestandes) nicht zu überwinden vermag. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2021 – 5 StR 127/21 mwN).

2. Diesen Maßstäben genügt die Beweiswürdigung der Strafkammer nicht. Sie ist widersprüchlich und offenbart, dass das Landgericht überspannte Anforderungen an die tatgerichtliche Überzeugungsbildung gestellt hat.

a) Seine Zweifel an einem Verwenden des Messers bei der Tat hat das Landgericht auch darauf gestützt, dass sich der Geschädigte, der in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden konnte, in seiner (früheren) Vernehmung „hierzu nicht geäußert“ habe. Dies ist indes nicht damit in Einklang zu bringen, dass der Geschädigte bei seiner polizeilichen Vernehmung unmittelbar nach der Tat angegeben hat, der Angeklagte habe ihm das Mobiltelefon entrissen und das Messer schräg nach unten gehalten, wodurch er sich bedroht gefühlt habe. Beides ist nicht ohne weiteres miteinander vereinbar und hätte daher weiterer Erörterung bedurft. In diesem Punkt waren die Angaben des Zeugen – ausweislich der Urteilsgründe – auch „konstant“, sodass jedenfalls insoweit der Verweis der Strafkammer auf einen „sich … wechselhaft einlassenden Geschädigten“ nicht verfängt.

b) Die Strafkammer hat an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt. Denn es sind keine tatsächlichen Umstände ersichtlich, dass der Angeklagte, der dem Geschädigten im Rahmen des Streits nach den insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen das Messer vorgehalten hatte, die von dem Messereinsatz ausgehende drohende Wirkung bei der sich ohne jede Zäsur anschließenden Wegnahme des Mobiltelefons nicht aufrechterhalten, sondern für den Geschädigten ersichtlich beendet haben könnte. Dies gilt umso mehr, als selbst der Angeklagte ein solches Geschehen nicht behauptet hat. Es ist aber weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2021 – 5 StR 127/21 mwN).“

Und weil der BGH so „nett“ ist, gibt es noch ein wenig kostenlose Fortbildung:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

….

b) Die Abfassung der Urteilsgründe gibt Anlass, darauf hinzuweisen, dass die Beweiswürdigung keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen soll, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2017 – 3 StR 145/17 ). Den gesetzlichen Anforderungen ( § 267 1 Satz 2 StPO ) an eine aus sich heraus verständliche Beweiswürdigung genügt es, klar und bestimmt die für die Überzeugungsbildung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte im Rahmen einer strukturierten, verstandesmäßig einsichtigen Darstellung hervorzuheben. Als Ergebnis einer wertenden Auswahl des Tatgerichts zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem ist das Beweisergebnis daher nur so weit zu erörtern, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist. Eine Dokumentation des Ermittlungsverfahrens und der Beweisaufnahme ist damit ebenso wenig angezeigt wie die Angabe eines Belegs für jede Feststellung, mag diese in Bezug auf den Tatvorwurf auch noch so unwesentlich sein (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2020 – 2 StR 380/19 , NStZ-RR 2020, 259 [BGH 02.04.2020 – 1 StR 28/20] mwN).

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