Und am ersten Tag des neuen Monats stelle ich Entscheidungen zum Umfang der Urteilsgründe (§ 267 StPO) vor.
Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 13.12.2021 – 204 StRR 560/21 – zum Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei der Verurteilung wegen Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 170 StGB). Die damit zusammenhängenden Fragen sind ein Dauerbrenner. Nicht selten haben die Revisionen gegen landgerichtliche Urteile, die wegen einer Verletzung der Unterhaltspflicht verurteilen Erfolg, weil die Urteile der Tatgerichte nicht ausreichend begründet waren. So auch hier das Urteil des AG, gegen das Berufung eingelegt worden ist, die beschränkt wurde. Aber das BayObLG sagt: Beschränkung ist/war nicht wirksam, das die Feststellungen des LG nichts ausreichen:
„1. Das Landgericht ist zu Unrecht von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch gemäß § 318 StPO ausgegangen und hat deshalb keine eigenen Feststellungen zum Schuldspruch getroffen. Dies hat das Revisionsgericht aufgrund der Sachrüge von Amts wegen zu prüfen, weil im Falle der Unwirksamkeit der Beschränkung die Berufungskammer als Tatsacheninstanz eigene Feststellungen zum Schuldspruch hätte treffen müssen (BayObLG, Beschluss vom 18.3.2021 – 202 StRR 19/21, juris Rn. 3).
a) Zwar ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch grundsätzlich zulässig. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen tatsächlicher oder rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so knapp sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen und die erstinstanzlichen Feststellungen deshalb keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts sein können (BayObLG, Beschluss vom 18.3.2021 – 202 StRR 19/21, juris Rn. 4, m.w.N.).
b) Das erstinstanzliche Urteil weist hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 Abs. 1 StGB derartige zur Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch führende Defizite auf.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Neumarkt bleibt schon der Schuldumfang unklar, sodass diese keine hinreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung durch das Berufungsgericht sein konnten. Die zur Nachvollziehbarkeit von Grund und Höhe der Berechnung erforderlichen Feststellungen zur Bedürftigkeit der Unterhaltsberechtigten und zur Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners sind im Strafurteil zu treffen. Fehlen – wie vorliegend – im amtsgerichtlichen Urteil mit konkreten Zahlenangaben versehene Darlegungen, die den Umfang der Unterhaltspflicht erkennen lassen, so ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (BayObLG, Beschluss vom 18.3.2021 – 202 StRR 19/21, juris Rn. 6, m.w.N.).
Die vorliegend zur Begründung der Unterhaltspflicht des Angeklagten erfolgte Bezugnahme auf das Schreiben des Landratsamtes Neumarkt – Kreisjugendamt – vom 26.1.2018, wonach der Unterhaltsanspruch von pp. im Tatzeitraum durchschnittlich 83 Euro betragen habe, ist, wie generell die Bezugnahme auf Aktenteile, gemäß § 267 Abs. 1 S. 1 StPO – von den Sonderfällen des § 267 Abs. 1 S. 3, Abs. 4 S. 1 StPO abgesehen – nicht statthaft. Soweit gebotene eigene Urteilsfeststellungen durch unzulässige Bezugnahmen ersetzt werden, fehlt es verfahrens-rechtlich an einer Urteilsbegründung und sachlich-rechtlich an der Möglichkeit der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (BGH, Urteil vom 20.1.2021 – 2 StR 242/20, juris Rn. 19, m.w.N.; Urteil vom 20.10.2021 – 6 StR 319/21, juris Rn. 10).
Die Feststellungen des Amtsgerichts lassen somit nicht nachvollziehbar erkennen, von welcher Bedarfshöhe es im Einzelfall ausgegangen ist. Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Bedürftigen, wobei für die Unterhaltsberechnung für Kinder Bedarfstabellen (vgl. Unterhaltsrechtliche Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland – SüdL, Stand 1.1.2018, Ziff. 11 – 14) berücksichtigt werden können, die jedoch im Urteil angegeben werden müssen (BayObLG, Beschluss vom 18.3.2021 – 202 StRR 19/21, juris Rn. 7), was nicht geschehen ist.
Im amtsgerichtlichen Urteil sind auch die erforderlichen hinreichenden Feststellungen zur Leistungsfähigkeit des Angeklagten unterblieben (BayObLG, Beschluss vom 18.3.2021 – 202 StRR 19/21, juris Rn. 8). Anhand der Mitteilung des jeweiligen monatlichen Nettoauszahlungsbetrags für die Monate Mai bis November 2018 lässt sich das unterhaltsrelevante Einkommen des Angeklagten und somit dessen Leistungsfähigkeit nicht nachvollziehen, weil insbesondere Feststellungen zu möglichem weiteren Einkommen, Vorsorgeaufwendungen, berufsbedingten Aufwendungen und anzuerkennenden Schulden fehlen (vgl. Ziff. 10.1, 10.2, 10.4 SüdL 2018; BayObLG, Beschluss vom 18.3.2021 – 202 StRR 19/21, juris Rn. 8).
Ebenso fehlen Feststellungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Kindesmutter. Zwar erfüllt gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch Pflege und Erziehung des Kindes. Allerdings kann im Rahmen einer gegebenenfalls gesteigerten Leistungspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB (auch) die Leistungsfähigkeit des anderen Elternteils von Bedeutung sein. Die erweiterte Unterhaltspflicht tritt nach § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB nämlich nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist. Dies kann auch der andere Elternteil sein, wenn er leistungsfähig i.S.d. § 1603 Abs. 1 BGB ist, d.h. wenn er neben der Betreuung des Kindes (§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB) auch dessen Barbedarf ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts tragen kann (BayObLG, Beschluss vom 18.3.2021 – 202 StRR 19/21, juris Rn. 8, m.w.N.).
Aufgrund des Bestehens der weiteren Unterhaltspflicht des Angeklagten gegenüber seinem Sohn pp. (seine Tochter pp. dürfte erst nach Ablauf des relevanten Tatzeitraums geboren sein, das genaue Geburtsdatum ist nicht festgestellt worden) kommt zudem ein sogenannter Mangelfall in Betracht, falls das nach Abzug des notwendigen Selbstbehalts verbleibende Einkommen nicht zur Unterhaltsleistung für die Kinder pp. und pp. ausgereicht und deshalb nur eine anteilige Unterhaltsleistung zu erfolgen hätte (Ziff. 24 SüdL 2018). Insoweit fehlen ebenfalls ausreichende Feststellungen. Im Falle einer solchen nur anteiligen Unterhaltspflicht für die genannten Kinder würde jedoch für die Monate Mai bis November 2018 der dem Angeklagten vorgeworfene Unterhaltsausfall für pp. von 83 Euro monatlich erheblich unterschritten werden.
c) Da es sich bei dem Umstand, ob und in welcher Höhe eine Unterhaltspflicht des Angeklagten bestand, um eine doppelrelevante Tatsache handelt, die sowohl für den Schuldspruch als auch als bestimmender Strafzumessungsgrund für den Rechtsfolgenausspruch von Bedeutung ist, haben die dargestellten Feststellungs- und Erörterungsdefizite zur Folge, dass die Berufungen nicht wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden konnten (BayObLG, Beschluss vom 18.3.2021 – 202 StRR 19/21, juris Rn. 6).“