Im RVG-Bereich heute zunächst eine Entscheidung des BGH, die man einfach auch mit: Endlich, überschreiben könnte, nämlich den BGH, Beschl. v. 27.07.2021 – 6 StR 307/21. Mit dem Beschluss hat der BGH – nun hoffentlich endgültig – einen gebührenrechtlichen Dauerbrenner entschieden, bei dem die OLG seit Jahren heillos zerstritten sind. Entschieden worden ist nämlich die Frage, ob die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst. Das ist es zwischen den OLG immer wieder fröhlich hin und hergegangen. Der BGH hat sich nun der zutreffenden Auffassung angeschlossen, die davon ausgeht, dass die Pflichtverteidigerbestellung das Adhäsionsverfahren umfasst:
„Das Landgericht Dessau-Roßlau hat den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der das Urteil mit der Sachrüge angreifende Angeklagte beantragt, ihm für die Revisionsinstanz zur Verteidigung gegen den Adhäsionsantrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verteidigerin zu bewilligen. Der Antrag hat keinen Erfolg.
Auch soweit die Revision des Angeklagten betreffend die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden der Adhäsionsklägerin Aussicht auf einen Teilerfolg hat, steht dem Angeklagten keine Prozesskostenhilfe zu. Denn ihm ist bereits eine Pflichtverteidigerin beigeordnet. Diese Beiordnung erstreckt sich auf das Adhäsionsverfahren.
1. Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist umstritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 15. Juni 2011 – I Ws 166/11; OLG Köln, Beschluss vom 29. Juni 2005 – 2 Ws 254/05; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2001 – 2 [s] Sbd. 6-87/01; OLG Schleswig, Beschluss vom 30. Juli 1997 – 1 StR 114/97, NStZ 1998, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 143 Rn. 1; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 4; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 404 Rn. 21; Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 VV Rn. 21; HK-RVG/Kroiß, 8. Aufl., RVG VV 4141 Rn. 22; Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., VV 4143, 4144 Rn. 5, jeweils mwN), wird andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 27. März 2013 – 3 Ws 2/13; KG, Beschluss vom 24. Juni 2010 – 1 Ws 22/09; OLG Bamberg, Beschluss vom 22. Oktober 2008 – 1 Ws 576/08; NStZ-RR 2009, 114; MüKo-StPO/Grau, 2019, § 404 Rn. 8; KMR/von Heintschel-Heinegg/Bockemühl, StPO, Stand 2020, § 404 Rn. 29; SSW-StPO/Schöch, 4. Aufl., § 404 Rn. 19; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141 – 4147 Rn. 41, jeweils mwN). Der Bundesgerichtshof hat die Frage – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 2 StR 351/13).
2. Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst.
a) Ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 StPO, so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge (KK-StPO/Willnow, aaO).
Dies ergibt sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen – in der Regel untrennbaren – Verbindung zwischen der Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2001 – 3 StR 25/01, BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4). Die sich aus der strafprozessualen Verknüpfung von Tat und Anspruch resultierende Effizienz ist gerade Zweck des Adhäsionsverfahrens (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2001 – 2 [s] Sbd. 6 – 87/01). Auch der Gesetzgeber ist mit der Regelung der Nr. 4143 RVG-VV davon ausgegangen, dass die das Adhäsionsverfahren betreffende Gebühr ohne Weiteres dem „Pflichtverteidiger“ zusteht (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 228; siehe außerdem Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 VV, Rn. 21).
Die in zeitlicher und sachlicher Hinsicht umfassende Wirkung der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist überdies der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2128) neugefassten Vorschrift des § 143 Abs. 1 StPO zu entnehmen. Denn der Gesetzgeber hat die Richtlinie 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren (ABl. L 297 vom 4.11.2016, S. 1, „PKH-Richtlinie“) unter Beibehaltung des Systems der notwendigen Verteidigung in nationales Recht umgesetzt (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 2). Er hat eine Entscheidung gegen die „antragsbasierte Prozesskostenhilfe für Beschuldigte anstelle oder neben der notwendigen Verteidigung“ getroffen (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 4, 27), weil es „keine Vorteile mit sich bringen würde“. Daraus wird deutlich, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers im Strafverfahren kein Nebeneinander von Prozesskostenhilfe und notwendiger Verteidigung geben soll.
b) Die Vorschrift des § 404 Abs. 5 StPO, die die Beiordnung eines Rechtsanwaltes für den Angeschuldigten im Adhäsionsverfahren zulässt, gebietet keine andere Wertung, denn sie bleibt zumindest für die Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht vorliegen, von Bedeutung.“
Wie gesagt: Endlich, und: Ich habe es ja schon immer gesagt 🙂 .
Fazit: Es muss also jetzt – an sich – kein Erweiterungsantrag mehr gestellt werden. Aber: „An sich“. Denn Vorsicht ist die „Mutter der Porzellankiste“. Da man ja nie weiß, wie die OLG, die das bisher anders gesehen haben, reagieren und ob sie dem BGH folgen oder meinen, es besser zu wissen, sollte man in den Bezirken, in denen die OLG bisher anderer Meinung waren, nach wie vor einen Antrag stellen. Wenigstens in der nächsten Zeit. Sicher ist sicher.