HV I: Unterbrechung der Hauptverhandlung, oder: Wie berechnet sich die Unterbrechungsfrist?

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Heute dann mal ein Tag mit Entscheidungen, die mit der Hauptverhandlung zu tun haben, also StPO-Entscheidungen.

Zunächst der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.04.2021 – 1 Rv 36 Ss 217/21 –, der noch einmal zur Frist i.S. des § 229 StPO Stellung nimmt:

„Die Revision dringt mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 229 Abs. 1 StPO durch.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 31.03.2021 hierzu ausgeführt:

„Die Rüge, mit der ein Verstoß gegen § 229 Abs. 1 StPO geltend gemacht wird, ist zulässig erhoben und in der Sache begründet.

Die Hauptverhandlung vor der 9. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe fand im Zeitraum 07.08.2020 bis 19.11.2020 an insgesamt sieben Verhandlungstagen statt. Nach § 229 Abs. 1 StPO darf eine Hauptverhandlung bis zu drei Wochen unterbrochen werden. Die Fristen des § 229 StPO stellen keine Fristen im Sinne der §§ 42, 43 StPO dar. Bei der in § 229 Abs. 1 StPO normierten Unterbrechungsfrist handelt es sich um eine eigenständige „Zwischenfrist“, das heißt um einen zwischen zwei Verhandlungstagen eingeschobenen Unterbrechungszeitraum, in dessen Berechnung weder der Tag, an dem die Unterbrechung angeordnet wird, noch derjenige, an dem die Verhandlung fortgesetzt wird, einzurechnen ist (BGH, Beschluss vom 28.07.2020 – 6 StR 114/20; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26.05.2020 – 5 StR 65/20; BGH, Beschluss vom 24.09.2019 – 2 StR 194/19; BGH, Beschluss vom 29.11.2016 – 3 StR 235/16; BGH, Beschluss vom 18.02.2016 – 1 StR 590/15; BGH, Beschluss vom 20.03.2014 – 3 StR 408/13). Die Auslegung des § 229 Abs. 1 StPO ergibt, dass der Zeitraum von drei Wochen höchstens 21 Tage umfasst (BGH, Beschluss vom 28.07.2020 – 6 StR 114/20). Zwischen den Verhandlungstagen am 14.09.2020 (Montag) und 07.10.2020 (Mittwoch) liegen mehr als 21 Tage, da die Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO am Dienstag, 15.09.2020 zu laufen begann und am Montag, 05.10.2020 endete. Die Hauptverhandlung hätte daher spätestens am Dienstag, 06.10.2020 wiederaufgenommen werden müssen. Tatsächlich war die Hauptverhandlung jedoch erst nach einer mehr als dreiwöchigen Unterbrechung am Mittwoch, 07.10.2020 fortgesetzt worden.

Das Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 229 StPO kann nur in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden (BGH, Beschluss vom 28.07.2020 – 6 StR 114/20; BGH, Beschluss vom 26.05.2020 – 5 StR 65/20; BGH, Urteil vom 25.07.1996 – 4 StR 172/96; BGH, Urteil vom 05.02.1970 – 4 StR 272/68). Da solche besonderen Umstände vorliegend nicht ersichtlich sind, ist auf die Revision des Angeklagten die angefochtene Entscheidung mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe zurückzuverweisen.“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat mit folgender Bemerkung an:

1. Der 1. Strafsenat des BGH hat in einem Beschluss vom 18.02.2016 (1 StR 590/15, BeckRS 2016, 5667) eine Unterbrechungsfrist von 22 Tagen unbeanstandet gelassen. Sollte es sich hierbei nicht nur – wie teilweise angenommen wird (LR-StPO/Becker, 27. Aufl. 2019, § 229 Rn. 6 [dort Fn. 31]; BeckOK StPO/Cirener, 39. Ed. 1.1.2021, StPO § 42 Rn. 2) – um einen Berechnungsfehler im konkreten Einzelfall gehandelt haben, würde der Senat der zugrunde gelegten Berechnungsmethode, die auf einer (analogen) Heranziehung des § 43 Abs. 1 StPO beruht (Gräbener, a.a.O., S. 516; so für die Zwischenfrist des § 217 Abs. 1 StPO auch: LR-StPO/Jäger, 27. Aufl. 2019, § 217 Rn. 3), nicht folgen. Gegen sie spricht insbesondere, dass es sich bei der Frist des § 229 Abs. 1 StPO nach allgemeiner Auffassung nicht um eine Frist nach §§ 42, 43 StPO, sondern um eine eigenständige Zwischenfrist handelt (BGH, Beschl. v. 26.05.2020 – 5 StR 65/20, juris Rn. 3; BGH, Beschl. v. 29.11.2016 – 3 StR 235/16; BGH, Beschl. 20.03.2014 – 3 StR 408/13; LR/Becker-StPO, 27. Aufl. 2019, § 229 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 229 Rn. 9). Dieser eigenständige Charakter zeigt sich insbesondere an § 229 Abs. 4 Satz 2 StPO, der eine dem § 43 Abs. 2 StPO entsprechende Regelung enthält. Dieser Vorschrift bedürfte es nicht, wenn es sich bei der Zwischenfrist des § 229 Abs. 1 StPO um eine Frist im Sinne § 43 StPO handeln würde, für die § 43 Abs. 2 StPO dann unmittelbar gelten würde. Hinzu kommt, dass die § 43 Abs. 1 StPO zugrunde liegende ratio legis, wonach der Tag des Fristbeginns nicht mitgezählt wird, bei § 229 Abs. 1 StPO nicht besteht: Die Regelung des § 43 Abs. 1 StPO will verhindern, dass es zu einer faktischen Fristverkürzung für einen Verfahrensbeteiligten dadurch kommt, dass das fristauslösende Ereignis (etwa die Verkündung eines Urteils im Fall der §§ 314 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO) in den Lauf eines Tages fällt. Ohne die Regelung des § 43 Abs. 1 StPO würde in diesem Fall – beispielsweise – die Frist zur Einlegung der Berufung/Revision regelmäßig weniger als die vom Gesetz zugebilligte volle Woche betragen. Diese Gefahr einer faktischen Fristverkürzung besteht im Rahmen des § 229 Abs. 1 StPO schon deshalb nicht, weil bei Berechnung der Zwischenfrist bereits nach dem Wortlaut dieser Vorschrift – und deshalb auch nach einhelliger Auffassung – weder der Tag, an dem die Unterbrechung angeordnet wird, noch derjenige, an dem die Verhandlung fortgesetzt wird, einzurechnen ist (so ausdrücklich auch BGH 1 StR 590/15, BeckRS 2016, 5667; allg. Meinung). Insoweit besteht kein Grund, die in jedem Fall ungeschmälerte Zwischenfrist von 21 (vollen) Tagen auf 22 Tage zu verlängern, zumal ein Zeitraum von 22 Tagen mit dem Verständnis von „drei Wochen“ im natürlichen Sprachgebrauch nicht vereinbar ist (vgl. etwa https://de.wikipedia.org/wiki/Woche und den dortigen Hinweis auf die Definition durch die Internationale Organisation für Normung in ISO 8601: Kalenderwochen haben 7 Tage). Im Übrigen steht auch der Gesetzeszweck des § 229 Abs. 1 StPO, das Gericht an eine möglichst enge Aufeinanderfolge der Verhandlungstage zu binden, damit die zu erlassende Entscheidung unter dem lebendigen Eindrucke des zusammenhängenden Bildes des gesamten Verhandlungsstoffes ergeht (BGH NJW 1952, 1149), einer extensiven Auslegung des § 229 Abs. 1 StPO entgegen.

Auch die Mehrheit der Strafsenate des BGH hält einen Unterbrechungszeitraum von mehr als 21 Tagen für unzulässig (BGH, Beschl. vom 28.07.2020 – 6 StR 114/20, juris Rn. 4-8; BGH, Beschl. v. 24.09.2019 – 2 StR 194/19, juris Rn. 4; BGH, Beschl. v. 26.05.2020 – 5 StR 65/20, juris Rn. 2-4; BGH, Beschl. v. 29.11.2016 – 3 StR 235/16, juris; anders noch der dritte Strafsenat im Beschl. v. 20.03.2014 – 3 StR 408/13, juris, wobei in diesem Fall wiederum eine fehlerhafte Fristberechnung im konkreten Einzelfall vorgelegen haben könnte – so der damalige Vorsitzende des 3. Strafsenats Becker in LR-StPO/Becker, 27. Aufl. 2019, § 229 Rn. 6 [dort Fn. 31]). Die vorgenannten Strafsenate des Bundesgerichtshofs legen somit die auch aus Sicht des Senats zutreffende Berechnungsweise zugrunde, wonach die maximale Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 1 StPO 21 und nicht 22 Tage beträgt.

2. Ein Beruhen kann ungeachtet der Überschreitung der zulässigen Höchstfrist um nur einen Tag nicht ausgeschlossen werden, zumal die gesamte Hauptverhandlung, die sich insgesamt über sieben Verhandlungstage erstreckte, auch im Übrigen nicht „verdichtet“ geführt wurde, sondern mehrfach durch Zeiträume von zwei und sogar drei Wochen unterbrochen war.

 

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