Die zweite Entscheidung, der LG Aachen, Beschl. v. 01.04.2021 – 60 Qs 7/21 – nimmt noch einmal zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG Stellung.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den früheren Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Bandendiebstahls geführt. Der Rechtsanwalt war dem ehemaligen Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Mit der Anklageschrift wurde dem Angeklagten ein Einbruch in eine Tankstelle und die Entwendung von Tabakwaren im Wert von ca. 7.200,00 EUR zur Last gelegt. In der Anklageschrift heißt es: „Verbrechen des schweren Bandendiebstahls, strafbar gemäß §§ 244a Abs. 1, 25 Abs. 2, 74 StGB. Die sichergestellten und als Augenscheinobjekte aufgeführten Gegenstände unterliegen der Einziehung“. Das AG hat den ehemaligen Angeklagten auf Kosten der Landeskasse freigesprochen.
Der Verteidiger hat die Festsetzung von Wahlverteidigergebühren beantragt, und zwar u.a. auch eine 1,0 Verfahrensgebühr nach einem Gegenstandswert von 7.200,00 EUR nach Nr. 4142 VV RVG. Der Bezirksrevisor hat zu dem Antrag Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass es sich bei der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG um eine – zusätzliche – Verfahrensgebühr handle, die das Betreiben des Geschäfts u.a. im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz abgelten solle. Eine entsprechende Tätigkeit sei dem Akteninhalt jedoch nicht zu entnehmen. Die Gebühr sei daher abzusetzen. Darauf hat der Verteidiger erwidert, dass sich die Tätigkeit, die er im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz entfaltet habe, nicht unmittelbar aus dem Akteninhalt ergebe. Jedoch sei die Einziehung in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft enthalten. Auch wenn dies in der Anklageschrift nicht ausdrücklich beantragt worden sei, liege die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c StGB nahe. Hierüber habe er den ehemaligen Angeklagten pflichtgemäß belehrt und beraten.
Der Bezirksrevisor ist bei seiner Auffassung verblieben, ebenso der Verteidiger. Das AG hat die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht festgesetzt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG abzusetzen sei, da die Gebühr nur dann entstehe, wenn der Verteidiger eine Tätigkeit erbringe und nachweise, die auf die Abwendung des Verfalls gerichtet sei (unter Bezugnahme auf Burhoff, RVG, 2. Aufl. Nr. 4142 Rn. 15). Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor und seien von dem Verteidiger auch nicht dargelegt.
Der Verteidiger hat sofortige Beschwerde eingelegt. Das AG hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem LG vorgelegt. Das hat darauf hingewiesen, dass es die sofortige Beschwerde für begründet erachtet. Das Amtsgericht hat sodann den Gegenstandswert des Verfahrens gem. § 33 Abs. 1 VV RVG auf 7.200,00 EUR festgesetzt.
Der Beschluss des LG fasst die Rechtsprechung sehr schön zusammen. Hier die Leitsätze:
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In strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren besteht eine Abhilfemöglichkeit nicht. Ein gleichwohl erlassener Nichtabhilfebeschluss ist im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben (Anschluss an OLG Rostock, Beschl. v. 30. April 2018 – 20 Ws 78/18).
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Im zeitlichen Anwendungsbereich der §§ 73 ff. StGB i.d.F. des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) kommt es auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme für Entstehung der Gebühr nach Nr. 4142 RVG-VV nicht mehr an, vielmehr kann die Gebühr für alle Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB n.F. anfallen.
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Für den Anfall der Gebühr nach Nr. 4142 RVG-VV genügt jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dieser im Zusammenhang mit der Einziehung erbringt. Die Gebühr wird daher bereits durch die außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Es genügt insoweit, dass der Rechtsanwalt eine beratende Tätigkeit darlegt und anwaltlich versichert. Erforderlich ist darüber hinaus, dass im Zeitpunkt der Beratung eine Einziehung „in Betracht kam“ bzw. „nach Aktenlage geboten“ war, „ernsthaft in Betracht kam“ bzw. „nahelag“. Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen war oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt worden ist.
Die Frage ist ja, wie nun abgerechnet wird. In einem berichteten Fall stellt es sich wie folgt dar: StA beantragte im Plädoyer zusätzlich Einziehung, (Pflicht-)Verteidiger widerspricht und erklärt, dass der Mdt. nichts erlangt hat. Das Gericht verurteilt den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe und schließt sich betreffend der Einziehung der Verteidigung an. Im Nachgang erfolgt eine Abtretungserklärung des Verurteilten an den Verteidiger betreffend sämtlicher Ansprüche gegen die Staatskasse aus diesem Verfahren. Der Verteidiger rechnet das Verfahren als Pflichtverteidigung ab und betreffend der 4142 als Wahlverteidiger unter Beibringung der Abtretung. Der Bezirksrevisor stellt sich auf den Standpunkt, dass die 4142 Gebühr durch 49 RVG aufgrund der Pflichtvertetidigung begrenzt ist. Der Verteidiger beansprucht die Gebühren als Wahlverteidiger.
Ergänzung: Erstinstanzlicher Tenor: Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens. In der Revisionsinstanz, die StA ging nur wegen der Einziehungsentscheidung in Revision, dort unterklag die StA ebenfalls. Dortiger Tenor: Die Staatskasse hat die Kosten der von der Staatsanwaltschaft eingelegten
und rechtswirksam zurückgenommenen Revision gegen
das Urteil des Landgerichts vom xxx und die
den Angeklagten durch das Rechtsmittel entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 und 2 StPO).
Was hat die Frage jetzt mit dieser Entscheidung zu tun? :-).
Im Übrigen: Nach den berichteten Kostengrundentscheidungen kann der Angeklagte für die erste Instanz keine Auslagen geltend machen, da ist also auch nichts an den Verteidiger abzutreten. Die Revision hat er gewonnen. Da kann er seine notwendigen Auslagen geltend mache, also die Nr. 4130 VV RVG und auch die Nr. 4142 VV RVG. Auf die findet in dem Fall § 49 RVG keine Anwendung. Die Vorschrift gilt nur für die Pflichtverteidigergebühren. Die werden aber nicht geltend gemacht, sondern es geht um einen Auslagenanspruch des Angeklagten.
1. berechtigter Einwand. Den Freispruch hatte ich überlesen.
2. Die Antwort ist absolut nachvollziehbar und sicher richtig. Das Störgefühl entstand durch die Tatsache, dass in beiden Fällen (1. und 2. Instanz) betreffend der Einziehung „gewonnen“ wird aber der Gebührenunterschied (Gegenstandswert 7-stellig) enorm ist. Richtig wäre wohl gewesen, die Kostenentscheidung in 1. Instanz, wie im obigen Fall, mit der sofortigen Beschwerde anzugreifen um eine Kostentragung der Staatskasse betreffend der Einziehungsentscheidung zu erreichen.