Heute dann ein weiterer Tag mit Pflichtverteidigungsentscheidung. Da hat sich mal wieder einiges angesammelt. Das ist so viel, dass ich es thematisch wieder zusammen fassen muss.
Ich beginne den Tag mit zwei BGH-Beschlüssen zum Recht der Pflichtverteidigung. Und zwar einmal zur Frage eines weiteren Verteidigers und einmal zur Auswechselung.
Mit der Frage des weiteren Pflichtverteidigers befasst sich der BGH, Beschl. v. 13.04.2021 – StB 12/21. Das OLG hatte abgelehnt. Der BGH meint dazu:
„Daran gemessen ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht ist unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen davon ausgegangen, dass zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Hinzuziehung eines weiteren Verteidigers nicht erforderlich sei. Es handele sich um einen überschaubaren Verfahrensgegenstand mit in der Rechtsprechung vielfach entschiedenen Problemstellungen, dessen Bearbeitung durch einen Pflichtverteidiger ohne qualitative Einbußen für die Verteidigung der Angeklagten gewährleistet werden könne. Eine Überschreitung des dem Vorsitzenden des Tatgerichts zustehenden Beurteilungsspielraums oder etwaige Ermessensfehler sind weder nach der Aktenlage noch aufgrund des Beschwerdevorbringens ersichtlich.
Etwas anderes folgt nicht aus seinem Schreiben an die Angeklagte vom 10. Februar 2021, in dem er im Rahmen der ausstehenden Entscheidung, „ob […] ein weiterer (zweiter) Pflichtverteidiger beigeordnet werden soll“, um entsprechende Benennung gebeten hat. Vielmehr wird daraus deutlich, dass über die grundsätzliche Erforderlichkeit noch zu befinden ist. Soweit in der Beschwerdebegründung Bedenken gegen die bestellte Pflichtverteidigerin vorgebracht werden, betreffen diese im Ergebnis nicht die Notwendigkeit eines zusätzlichen Pflichtverteidigers, sondern die – bereits abschlägig beschiedene (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2021 – StB 9/21) – Frage nach einem Verteidigerwechsel gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO. Schließlich ist die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters (§ 192 Abs. 2 GVG) für die hier in Rede stehende Entscheidung ebenfalls nicht maßgeblich, da für die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Ergänzungsfalls (s. dazu BGH, Beschluss vom 2. November 2010 – 1 StR 544/09, juris Rn. 42) insbesondere in der Person eines beteiligten Richters liegende, für die Sicherung der Verteidigung indes nicht erhebliche Umstände in den Blick zu nehmen sein können, wie beispielsweise bevorstehender Ruhestand, Schwangerschaft, zu erwartende Versetzung oder Erkrankung (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. November 2005 – 2 BvR 1737/05, BVerfGK 6, 384, 394; vom 5. Oktober 2006 – 2 BvR 1815/06, BVerfGK 9, 306, 313; OLG Hamm, Beschluss vom 11. August 2016 – III-3 Ws 304-305/16, juris Rn. 36 mwN).“
Und dann der BGH, Beschl. v. 24.03.2021 – StB 9/21 – zur Auswechselung des Pflichtverteidigers. Auch der Antrag hatte keinen Erfolg:
„a) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, NStZ 2021, 60 Rn. 6 f. mwN). Insoweit kann zwar von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. November 2010 – III-1 Ws 290/10, NStZ-RR 2011, 48; OLG Braunschweig, Beschluss vom 6. September 2012 – Ws 268/12, StV 2012, 719; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 2. Juni 1972 – 2 Ws 195/72, MDR 1972, 799; weitergehend für eine Jugendliche OLG Köln, Beschluss vom 2. Februar 2007 – 2 Ws 51/07, StraFo 2007, 157). Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (KG, Beschluss vom 9. August 2017 – 4 Ws 101/17, juris Rn. 12; vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 – Vf. 107-IV-12 [HS], juris Rn. 11, 32 f.). Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein (s. BGH, Beschlüsse vom 30. September 2008 – 5 StR 251/08, NStZ 2009, 465; vom 18. Januar 2018 – 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84 mwN).
Daran gemessen ist nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen. Nach dem Vorbringen der Angeklagten hat die Pflichtverteidigerin sie nach der Festnahme am 28. Juli 2020 bis zum 16. Februar 2021 drei Mal – im August, September und Dezember 2020 – in der Untersuchungshaft besucht. Hinzu kommt, dass die Angeklagte selbst keinen weitergehenden Kontakt zu ihrer Verteidigerin aufgenommen oder einen solchen erbeten hat. Dass die Verteidigerin nach Zustellung der Anklageschrift im Januar 2021 nicht sofort von sich aus das Gespräch mit der Angeklagten gesucht hat, führt nach den konkreten Umständen zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen entspricht die Anklageschrift im Wesentlichen dem im Haftbefehl ausgeführten Tatvorwurf (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – AK 7/21, juris Rn. 2). Zum anderen hat die Angeklagte unabhängig davon bereits im Januar 2021 bei Gericht um einen Pflichtverteidigerwechsel gebeten. Soweit sie im Folgenden erklärt hat, keine Besuche mehr durch ihre Pflichtverteidigerin zu wünschen, kann sie deren Austausch hierdurch nicht einseitig erzwingen (s. allgemein OLG Hamm, Beschluss vom 31. März 2009 – 2 Ws 89/09, juris Rn. 16 mwN). Im Übrigen berührt es das Vertrauensverhältnis zwischen der Angeklagten und der Pflichtverteidigerin nicht, dass ein weiterer Verteidiger mit dieser zusammen eine Verteidigung für „unmöglich“ hält.“