Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 03.12.2020 – 1 Ws 361/20 – hat auch – im weiteren Sinn – mit einer Verständigung (§ 257c StPO) zu tun. Das OLG hat in dem Beschluss nämlich zur Unterscheidung/Abgrenzung der Verständigung (§ 257 c StPO) von einer Erörterung des Verfahrensstandes (§ 257b StPO) Stellung nehmen müssen. Der Angeklagte und der Verteidiger hatten beim AG auf die Einlegung von Rechtsmitteln „verzichtet.Später hat der Angeklagte dann doch Berufung eingelegt. Das LG hat die als unzulässig angesehen, da der vom Beschwerdeführer im Rahmen der Hauptverhandlung erklärte Rechtsmittelverzicht wirksam gewesen sei. In dem protokollierten Austausch der Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung beim AG sei trotz fehlendem Negativtestat im Protokoll keine Verständigung im Sinne des § 257c StPO zu sehen. Die Beteiligten hätten sich lediglich über die Strafhöhe im Falle einer geständigen Einlassung bzw. einer nicht geständigen Einlassung und vollem Tatnachweis ausgetauscht.
Dagegen die sofortige Beschwerde, die beim OLG keinen Erfolg hatte:
„Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Der vom Beschwerdeführer wirksam erklärte Rechtsmittelverzicht steht einer zulässigen Berufungseinlegung entgegen.
Der wirksame Verzicht eines Angeklagten auf ein Rechtsmittel führt zum Verlust des Rechtsmittels. Ein dennoch eingelegtes Rechtsmittel – hier die Berufung – ist sodann unzulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019, Az. 3 StR 214/19 in NStZ-RR 219, 318). Die Unwirksamkeit einer solchen Verzichtserklärung kommt dann in Betracht, wenn dem Urteil eine Verständigung im Sinn des § 257c StPO vorausgegangen wäre (§ 302 Absatz 1 Satz 2 StPO), der Angeklagte prozessual handlungsunfähig gewesen wäre und deshalb den Bedeutungsgehalt des Rechtsmittelverzichts verkannt haben könnte, wenn er die Verzichtserklärung irrtumsbedingt aufgrund einer dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft zuzurechnenden Täuschung abgegeben hätte oder wenn der Rechtsmittelverzicht auf einer vom Gericht zu verantwortenden unzulässigen Einwirkung des Gerichts beruhte (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019, a.o.O.). Keiner dieser Voraussetzungen ist vorliegend gegeben.
In dem protokollierten Austausch der Verfahrensbeteiligten über die mögliche Höhe des Strafmaßes lag keine konkludente Verständigung im Sinne des § 257c StPO, sondern es handelte sich um eine Erörterung gemäß § 257b StPO. Nach dem Willen des Gesetzgebers beschränkt sich diese Vorschrift auf kommunikative Elemente, die der Transparenz und Verfahrensförderung dienen, aber nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung, wie sie der § 257c StPO vorsieht, gerichtet sind. Sie trägt dem Gedanken eines transparenten Verfahrensstils in der Hauptverhandlung Rechnung, ohne dass sich der Richter dem Vorwurf der Befangenheit ausgesetzt sehen soll. Gegenstand einer solchen Erörterung kann auch die Angabe einer Ober- und Untergrenze nach gegenwärtigem Verfahrensstand zu erwartenden Strafe durch das Gericht sein (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S.12 f.; BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019, Az. 1 StR 2/19 in NStZ 2019, 684; Beschluss vom 14. April 2015, Az. 5 StR 9/15 in NStZ 2015, 535), ebenfalls kann die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses zur Sprache kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019, Az. 1 StR 2/19 a.a.O.; Az. 3 StR 153/16; Beschluss vom 14. April 2015, Az. 5 StR 9/15 a.o.O.). Eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO kommt hingegen zustande, wenn das Gericht ankündigt, wie die Verständigung aussehen könnte (§ 257c Absatz 3 Satz 1 StPO) und wenn der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft zustimmen (§ 257c Absatz 3 Satz 4 StPO). Kennzeichen der Verständigung ist die synallagmatische Verknüpfung der Handlungsbeiträge der Beteiligten (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. April 2016, Az. 2 BvR 1422/15 in NStZ 2016, 422). Voraussetzungen für ihr formwirksame Zustandekommen ist die Zustimmung der Verfahrensbeteiligten (vgl. BT-Drucks. 16/12310 S. 13; BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019, Az. 1 StR 169/19 in NStZ 2019, 688). Sie muss – nicht zuletzt wegen der Bindungswirkung – ausdrücklich erfolgen; eine konkludente Erklärung genügt nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019, Az. 1 StR 169/19 a.a.O.; Beschluss vom 7. Dezember 2016, Az. 5 StR 39/16 in NStZ-RR 2017, 87). Vorliegend fehlt es an einer solchen ausdrücklichen Zustimmung sowohl der Staatsanwaltschaft als auch des Beschwerdeführers. Dies ergibt sich zum einen aus dem Protokoll der Hauptverhandlung, zum anderen auch aus den dienstlichen Stellungnahmen der Prozessbeteiligten und wird vom Vortrag des Beschwerdeführers auch nicht angegriffen. Darüber hinaus genügt der Hinweis des Gerichts auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses – selbst wenn das Gericht wie vorliegend geschehen die Höhe des Strafmaßes eingrenzt und die Beweisaufnahme schon fortgeschritten ist – nicht, um eine gegenseitige Verknüpfung des Geständnisses mit einem bestimmten Strafmaß anzunehmen, wie es die Verständigung nach § 257c StPO vorsieht. Vielmehr ist in der protokollierten Erklärung eine Offenlegung der gerichtlichen Einschätzung des Verfahrenstandes in Bezug auf den bisherigen Verfahrensgang und die möglichen Folgen für das Strafmaß zu sehen, die dem Angeklagten zwar nochmals die Vorteile eines Geständnisses vor Augen führen sollte, aber weder eine unzulässige Drohkulisse aufbaute, noch das Angebot einer das Gericht bindende Verständigung darstellte. Diese Bekanntgabe diente allein der Transparenz und der Verfahrensförderung und war in ihrem Umfang von der Regelung des § 257b StPO gedeckt. Eine versteckte Verständigung im Sinne des § 257c StPO, die einen wirksamen Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen hätte, war hierin nicht zu erkennen.
Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer prozessual handlungsunfähig gewesen sein und deshalb den Bedeutungsgehalt des Rechtsmittelverzichts verkannt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Prozessual handlungsfähig ist, wer aufgrund seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten nicht in der Lage ist, seine Interessen verständig wahrzunehmen und Prozesshandlungen mit Verständnis und Vernunft auszuführen. In Zusammenhang mit einem Rechtsmittelverzicht ist die Fähigkeit ausschlaggebend, die verfahrensrechtliche Bedeutung des Verzichts zu erkennen. Diese Fähigkeit wird erst durch schwerwiegende psychische oder körperliche Beeinträchtigungen aufgehoben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2019 a.a.O mit Verweis auf Beschluss vom 24. August 2016, Az. 1 StR 301/16 in NStZ-RR 2017, 92 m.w.N). Hinweise auf eine solche Beeinträchtigung sind weder vorgetragen, noch ersichtlich. Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, dass er keine Kenntnis über die Bedeutung eines Rechtsmittelverzichts gehabt habe und diese ihm vor der Abgabe der Verzichtserklärung auch nicht erläutert worden sei, genügt dies allein für die Unwirksamkeit einer Verzichtserklärung nicht. Zudem vermag dieser Vortrag im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer ausweislich der Bundeszentralregisterauskunft bereits 27 mal verurteilt wurde und 3 Urteile am Tag der Verkündung in Rechtskraft erwachsen sind – das letzte am 11. April 2017 -, was auf einen entsprechenden Rechtsmittelverzicht in der Hauptverhandlung schließen lässt, auch nicht zu überzeugen.“