Nach dem gestrigen „OWi-Marathon“ heute dann ein etwas ruhigerer Tag mit drei Entscheidungen zu Beweiswürdigungsfragen.
Ich eröffne dann mit dem schon etwas älteren BGH, Urt. v. 20.11.2019 – 2 StR 175/19, in dem der BGH die Beweiswürdigung in einer „Totschlagssache“ beanstandet:
„2. Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts führt zur Aufhebung des Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen.
Das Nichtvorliegen niedriger Beweggründe hat die Schwurgerichtskammer damit begründet, es bleibe „maßgeblich für den (nicht ausschließbar) spontanen Tatentschluss, die S. G. zu töten, ein Motivbündel aus Angst, Eifersucht, Trauer, Hilflosigkeit, Verzweiflung und [innerer] Zerrissenheit, sich zwischen seiner Familie und seiner großen Liebe zu entscheiden zu müssen“ (UA S. 40).
Welches dieser Motive handlungsleitend gewesen sei, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, juris Rn. 9 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, juris Rn. 8). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 21. August 2019 – 1 StR 218/19; Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, juris Rn. 20; BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (vgl. Senat, Beschluss vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 27. April 2017 – 4 StR 434/16, juris Rn. 8).
b) Nach diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung zur Tatmotivation des Angeklagten sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Der Angeklagte hat in seinem in der Hauptverhandlung am 22. August 2018 abgelegten, vom Landgericht als glaubhaft bewerteten Geständnis gerade nicht vorgebracht, die Getötete aus Angst, Eifersucht, Trauer, Hilflosigkeit, Verzweiflung und innerer Zerrissenheit erwürgt zu haben. Er hat vielmehr geschildert, die Auseinandersetzung habe damit begonnen, dass die – wegen von ihm vermuteter Sexualkontakte zu anderen Männern zur Rede gestellte – S. G. ihm eröffnet habe, sich von ihm eingeengt zu fühlen und zu erwägen, zu ihrem Ehemann zurückzukehren. Deswegen sei er sehr wütend geworden und habe ihr vorgeworfen, dass er ihretwegen Frau und Kinder aufgegeben habe. Sie hingegen habe ihn angeschrien, was er denke, wer er sei. Es sei ihre Entscheidung, mit wem sie zusammen sei. Er sei ehrlos und seine Frau habe ihn bestimmt verlassen, weil er krankhaft eifersüchtig sei. Durch diese Äußerungen habe er sich sehr gekränkt gefühlt und ihr eine Backpfeife verpasst. Sie habe zurückgeschlagen. Es sei ein Hin und Her entstanden. Plötzlich habe er ihr mit seinen Händen den Hals zugedrückt.
bb) Diese Einlassung drängte zu der naheliegenden Schlussfolgerung, dass der Angeklagte die Getötete aus denselben Beweggründen erwürgte, aus denen heraus er ihr unmittelbar zuvor eine Backpfeife versetzt hatte, nämlich aus Wut und aus Kränkung aufgrund ihrer Äußerungen. Das Landgericht hat es versäumt, diese sich aufdrängende Motivlage in seine Erwägungen einzubeziehen. Die Beweiswürdigung bleibt infolge dieses Erörterungsmangels lückenhaft.
cc) Es ist nicht auszuschließen, dass die Schwurgerichtskammer bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt wäre, dass der Angeklagte aus Wut und Kränkung den Entschluss fasste, S. G. zu er- würgen. Auch unter Berücksichtigung des dem Tatrichter insoweit zustehenden Beurteilungsspielraums ist es nicht auszuschließen, dass das Landgericht einen solchen Handlungsantrieb als niedrigen Beweggrund im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB bewertet hätte, zumal der Angeklagte angesichts seines eigenen Verhaltens keinen nachvollziehbaren Anlass hatte, sich gekränkt zu fühlen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 . 5 StR 399/19).“