Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Köln, Beschl. v. 01.10.2020 – 2 Ws 534/20 – vom OLG Köln. Das hat zur Anwendbarkeit der §§ 222a, 22b StPO im Bußgeldverfahren Stellung genommen, wenn dort das LG erstinstanzlich entscheidet.
Bußgeldverfahren? Ja. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hatte gegen die Betroffene mit Bußgeldbeschluss vom 27.11.2019 wegen Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung (Art. 83 Abs. 4 a i.V.m. Art. 32 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO)) eine Geldbuße festgesetzt. Auf den Einspruch der Betroffenen hat der Bundesbeauftragte den Bußgeldbescheid nach Prüfung aufrechterhalten und das Verfahren der Staatsanwaltschaft Bonn übersandt. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat das Verfahren dem LG Bonn – Kammer für Bußgeldsachen – vorgelegt, Beim LG Bonn ist das Verfahren nach Eingang der 9. Strafkammer – als Kammer für Bußgeldsachen – zugeleitet worden. Der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Bonn für das Geschäftsjahr 2020 weist der 9. Strafkammer als Kammer für Bußgeldsachen die Bearbeitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren des ersten Rechtszuges zu. Um die Besetzung dieser Kammer geht es. Die Betroffene hat mit Schriftsatz ihres Verteidigers die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts gerügt und beantragt, gemäß § 222 b Abs. 2 S. 2 StPO festzustellen, dass das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt sei. Der Besetzungseinwand ist für nicht begründet erachtet und dem OLG zur Entscheidung vorgelegt worden. Der Einwand hatte keinen Erfolg:
„Der von der Betroffenen erhobene Besetzungseinwand bleibt ohne Erfolg. Der Besetzungseinwand ist im vorliegenden Bußgeldverfahren nicht statthaft. Er war daher als unzulässig zurückzuweisen.
1. Allgemein ist zunächst Folgendes vorwegzustellen: Die 9. Kammer für Bußgeldsachen des Landgerichts Bonn ist derzeit mit der Bearbeitung des vorliegenden erstinstanzlichen Bußgeldverfahrens befasst. Üblicherweise entscheidet nach § 68 Abs. 1 S. 1 OWiG das Amtsgericht über Einsprüche gegen Bußgeldbescheide. Vorliegend ist ausnahmsweise das Landgericht mit der Entscheidung über einen Einspruch im Bußgeldverfahren befasst. Hintergrund hierfür ist, dass der Gesetzgeber in § 41 Abs. 1 BDSG bestimmt hat, dass hinsichtlich Verstößen nach Art. 83 Abs. 4 bis 6 DSGVO die Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sinngemäß Anwendung finden, wobei § 68 OWiG mit der Maßgabe Anwendung findet, dass „das Landgericht“ entscheidet, wenn die festgesetzte Geldbuße – wie hier – den Betrag von 100.000 € übersteigt. Der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Bonn sieht daher auch eine Zuständigkeit der 9. Strafkammer als Kammer für Bußgeldverfahren für Ordnungswidrigkeiten des ersten Rechtszuges vor (vgl. § 46 Abs. 7 OWiG).
Auch in anderen Fällen hat der Gesetzgeber bestimmt, dass ausnahmsweise – abweichend von § 68 OWiG – nicht das Amtsgericht zur erstinstanzlichen Bearbeitung von Einsprüchen in Bußgeldverfahren berufen ist. So sieht § 83 GWB vor, dass das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die zuständige Kartellbehörde ihren Sitz hat, im gerichtlichen Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 81 GWB entscheidet. Nach § 62 WpÜG entscheidet das für den Sitz der Bundesanstalt in Frankfurt am Main zuständige Oberlandesgericht im gerichtlichen Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 60 WpÜG.
Angesichts der als „systemwidrig“ (so der Gesetzesantrag des Landes Hessen vom 02.03.2020, BR-Drs. 107/20, S. 14) erscheinenden erstinstanzlichen Befassung des Landgerichts mit Bußgeldsachen haben sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder auf der Herbstkonferenz am 15.11.2018 in Thüringen für die Abschaffung der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Landgerichte in datenschutzrechtlichen Bußgeldsachen ausgesprochen (TOP II.10). Sie haben die Bundesregierung gebeten, zeitnah einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen, mit dem die singuläre Zuständigkeitsbestimmung der Landgerichte, die ansonsten nicht mit erstinstanzlichen Bußgeldsachen befasst seien, abgeschafft werde. Der Bundesrat hat unter dem 03.07.2020 einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt, nach welchem § 41 Abs. 1 S. 3 BDSG ersatzlos aufgehoben werden soll (BR-Drs. 107/20, S. 9, S. 43 f.). Der Entwurf wurde dem Bundestag zugeleitet, wurde aber bislang – soweit ersichtlich – noch nicht beraten.
2. Der durch die Betroffene erhobene Besetzungseinwand ist im vorliegenden Bußgeldverfahren nicht statthaft und daher unzulässig.
Nach § 222 a Abs. 1 StPO ist die Besetzung des Gerichts spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfindet. Auf Anordnung des Vorsitzenden kann sie schon vor der Hauptverhandlung mitgeteilt werden. Hat das Gericht die Besetzung mitgeteilt, kann der Einwand, dass das Gericht vorschriftswidrig besetzt sei, innerhalb einer Woche geltend gemacht werden (§ 222 b Abs. 1 S. 1 StPO). Hält das Gericht den Einwand nicht für begründet, hat es ihn spätestens vor Ablauf von drei Tagen dem Rechtsmittelgericht nach § 222 b Abs. 3 S. 1 StPO vorzulegen (Vorabentscheidungsverfahren).
Ob die in der Strafprozessordnung für das Strafverfahren im ersten Rechtszug vorgesehenen Vorschriften der §§ 222 a, 222 b StPO auch in Bußgeldverfahren Anwendung finden, ist in der Literatur umstritten. Die Frage wird regelmäßig in Bezug auf erstinstanzlich vor dem Oberlandesgericht geführte Kartellordnungswidrigkeitenverfahren (§ 82 GWB) diskutiert, soweit dort eine Hauptverhandlung stattfindet, also nicht im schriftlichen Verfahren (§ 72 OWiG) entschieden wird. Teilweise wird die Ansicht vertreten, § 222 a StPO sei auch in Bußgeldverfahren vor dem Oberlandesgericht wegen Kartellordnungswidrigkeiten anzuwenden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 222 a Rdn. 2; Deiters in SK-StPO, 4. Aufl., § 222 a Rdn. 4; Eschelbach in KMR StPO, 2018, § 222 a Rdn. 24). Andere Stimmen halten die Vorschriften der §§ 222 a, 222 b StPO in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren nicht für anwendbar (Wrage-Molkenthin/Bauer in Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 96. Lieferung 2020, § 83 GWB Rdn. 27) oder vertreten die Ansicht, dass diese Vorschriften in Bußgeldverfahren ganz allgemein nicht anwendbar seien (Gmel in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 222 a Rdn. 3; Julius/Reichling in Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., § 222 a Rdn. 2; Keller in AK-StPO, § 222 a Rdn. 2; vgl. auch Graf, StPO, 3. Aufl., § 222 a Rdn. 5: keine Anwendung in Bußgeldverfahren mit Ausnahme der vor dem OLG verhandelten Kartellordnungswidrigkeiten).
Der Senat schließt sich in diesem Streit der letztgenannten Ansicht an, wonach die Vorschriften im Bußgeldverfahren nicht anwendbar sind. Dies entspricht auch der Ansicht des Bundesgerichtshofs, der in einem Kartellordnungswidrigkeitenverfahren ausdrücklich entschieden hat, dass die §§ 222 a, 222 b StPO (a.F.) im Bußgeldverfahren keine Anwendung finden (BGH, Beschluss vom 27.05.1986, KRB 13/85 (KG), NStZ 1986, 518).
Zwar schließt der Wortlaut des § 222 a Abs. 1 S. 1 StPO eine Anwendung auf erstinstanzlich vor dem Landgericht geführte Bußgeldverfahren – soweit aufgrund einer Hauptverhandlung entschieden wird – nicht aus. Nach dem Wortlaut ist die Besetzung mitzuteilen, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht stattfindet. Auch in einem nach § 41 Abs. 1 S. 3 BDSG geführten Bußgeldverfahren findet die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht statt. Hinzukommt, dass der Gesetzgeber in § 41 Abs. 2 S. 1 BDSG bestimmt hat, dass die Vorschriften des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes, durchaus entsprechend gelten.
Indes gelten die Vorschriften der Strafprozessordnung für das Bußgeldverfahren nur sinngemäß und nur insoweit, als das Ordnungswidrigkeitengesetz nichts anderes bestimmt. Gemäß § 71 Abs. 1 OWiG richtet sich das Verfahren nach zulässigem Einspruch – soweit im Ordnungswidrigkeitengesetz nichts anderes bestimmt ist – nach den Vorschriften der Strafprozessordnung, die nach zulässigem Einspruch gegen den Strafbefehl gelten. Für ein Strafbefehlsverfahren, das ausweislich der Regelungen in §§ 407 ff. StPO vor dem Amtsgericht stattfindet, sind die §§ 222 a, 222 b StPO indes gerade nicht anwendbar. Der Bundesgerichtshof ist vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis gelangt, dass die §§ 222 a, 222 b StPO (a.F.) im Bußgeldverfahren keine Anwendung finden (BGH, Beschluss vom 27.05.1986, KRB 13/85 (KG), NStZ 1986, 518). Auch eine sinngemäße Anwendung dieser Vorschriften erscheint nicht geboten (BGH, Beschluss vom 27.05.1986, KRB 13/85 (KG), NStZ 1986, 518). Dies gilt auch unter Berücksichtigung, dass das Landgericht Bonn vorliegend beabsichtigt, nicht im Beschlusswege (§ 72 OWiG), sondern auf der Grundlage einer Hauptverhandlung zu entscheiden.
Auch die Gesetzesmaterialien zur Einführung des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 222 b Abs. 3 StPO (BR-Drs. 532/19) geben keine Veranlassung zu einer abweichenden Entscheidung. Insbesondere lässt sich ihnen nicht entnehmen, dass die Vorschriften der §§ 222 a, 222 b StPO – und damit auch das Vorabentscheidungsverfahren – nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch in Bußgeldverfahren Anwendung finden soll. Ziel der Einführung des Vorabentscheidungsverfahrens war vielmehr, einem Angeklagten die Möglichkeit zu eröffnen, seinen grundrechtsgleichen Anspruch auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters schon vor Ende der Hauptverhandlung abschließend überprüfen zu lassen. Die Regelung soll die Urteilsaufhebung wegen vorschriftswidriger Besetzung in land- und oberlandesgerichtlichen Verfahren reduzieren und das Strafverfahren von unnötigem Aufwand sowie erheblichen Verfahrensverzögerungen entlasten. Vergleichbare Erwägungen für Bußgeldverfahren hat der Gesetzgeber nicht angestellt.
Eine Anwendung der §§ 222 a, 222 b StPO erscheint im Bußgeldverfahren auch nicht geboten. Der Gesetzgeber hat bei der Abfassung der Regelungen – auch bereits vor Einführung des Vorabscheidungsverfahrens – von der Einbeziehung weiterer Verfahren bewusst abgesehen (Arnoldi in Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl., § 222 a Rdn. 5). Dies betrifft zunächst amtsgerichtliche Verfahren, die trotz der Möglichkeit, Sprungrevision einzulegen, zumeist mit der Berufung angegriffen werden. Auch für zweitinstanzliche Verfahren vor dem Landgericht ist die Mitteilung der Besetzung nicht vorgesehen worden, obwohl auch Berufungsurteile mit der Revision angreifbar sind. Insoweit hat der Gesetzgeber auch berücksichtigt, dass Berufungsverhandlungen regelmäßig nicht so umfangreich wie erstinstanzliche Hauptverhandlungen vor den Strafkammern und Strafsenaten sind (Arnoldi, aaO). Auch für Bußgeldverfahren gilt, das diese regelmäßig nicht vergleichbar umfangreich sind. Das Bedürfnis, die Urteilsaufhebung wegen eines Besetzungsfehlers zu vermeiden, ist vor diesem Hintergrund auch hier weniger dringlich (vgl. hierzu allgemein Jäger in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 222 a Rdn. 2).
Da sich der Besetzungseinwand nach alledem bereits als unstatthaft erweist, kann der Senat offen lassen, ob der Besetzungseinwand vom 10.09.2020 betreffend die Besetzungsmitteilung vom 31.08.2020 angesichts der erneuten Besetzungsmitteilung vom 09.09.2020 und des Besetzungseinwandes vom 17.09.2020 prozessual überholt ist. Der Besetzungseinwand ist jedenfalls mangels Statthaftigkeit unzulässig. Vor diesem Hintergrund hatte der Senat auch über die Frage der Begründetheit des Besetzungseinwandes nicht zu entscheiden.“