Heute im Kessel Buntes dann noch einmal zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen.
Zunächst stelle ich den BayVGH, Beschl. v. 25.06.2020 – 11 SCS 20.791 – vor. Gegenstand der Entscheidung: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen Entziehung der Fahrerlaubnis wegen nicht erfolgter Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Dessen Beibringung war dem Antragsteller nach einer „Drogenfahrt“ aufgegeben worden. Der Antragssteller hat sich dagegen gewehrt und hat auf den langen Zeitraum zwischen der Fahrt am 05.06.2017 und dem Erlass des Bescheids am 29.01.2020 verwiesen. Zudem habe er auch nicht gelegentlich, sondern nur einmalig Cannabis konsumiert. Das hat nicht geholfen:
„2. Gemessen daran ergeben sich aus der Beschwerdebegründung keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die vom Landratsamt verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis.
a) Das Landratsamt durfte davon ausgehen, dass der Antragsteller zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert oder konsumiert hat. Gelegentlicher Konsum von Cannabis liegt vor, wenn der Betroffene in zwei oder mehr selbständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (stRspr, zuletzt BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – NJW 2019, 3395 14).
aa) Bei der Wertung, dass der Antragsteller mehr als einmal und damit gelegentlich Cannabis konsumiert hat, handelt es sich um einen Akt der Beweiswürdigung. Zwar ist die Gelegentlichkeit des Cannabiskonsums ein Tatbestandsmerkmal, für das die Fahrerlaubnisbehörde die materielle Beweislast trägt, mit der Folge, dass eine etwaige Nichterweislichkeit zu ihren Lasten geht. Allerdings liegt ein einmaliger Konsum nur dann vor, wenn der Betreffende entweder erstmals im Rahmen eines Probierkonsums Cannabis zu sich genommen hat oder frühere Konsumakte derart weit zurückliegen, dass daran nicht mehr angeknüpft werden kann und er aus besonderen Umständen heraus einmalig Cannabis eingenommen hat. Dies plausibel darzulegen, obliegt dem Betroffenen. Vor dem Hintergrund des äußerst seltenen Falles, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument bereits wenige Stunden nach dem Konsum ein Kraftfahrzeug führt und dann auch noch von der Polizei kontrolliert wird, ist im Rahmen der Beweiswürdigung die Annahme gerechtfertigt, dass ohne substantiierte und plausible Darlegung des Gegenteils nicht von einem einmaligen Konsum ausgegangen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2018 – 11 CS 18.821 – juris 16 m.w.N.; OVG NW, U.v. 15.3.2017 – 16 A 432/17 – Blutalkohol 54, 328 = juris Rn. 47 ff. m.w.N.).
bb) Hiervon ausgehend ist die Annahme eines mehrfachen und damit gelegentlichen Cannabiskonsums gerechtfertigt.
Ein Konsum vor der Fahrt, den der Antragsteller auch eingeräumt hat, steht aufgrund des Ergebnisses der Blutuntersuchung fest. Sollte dieser Konsum, wie vom Antragsteller zuletzt behauptet, am 5. Juni 2017 gegen 19 Uhr und damit ca. 3 ½ Stunden vor der Blutentnahme stattgefunden haben, bei der noch ein THC-Wert von 3,4 ng/ml im Blutserum festgestellt wurde, bestehen allerdings erhebliche Zweifel an der Einlassung des Antragstellers in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 2. März 2020, der Joint, den einer seiner beiden Bekannten angezündet habe, habe in der Runde gekreist und er (der Antragsteller) habe pro Runde mehrere Züge inhaliert. Diese Konsumform kann auch bei einem hohen Wirkstoffgehalt den nach 3 ½ Stunden festgestellten THC-Wert von immerhin noch 3,4 ng/ml kaum erklären (zu den Untersuchungsergebnissen der ersten Maastricht-Studie hinsichtlich der festgestellten Werte im Serum in Abhängigkeit der aufgenommenen Menge und der Zeit nach dem Rauchen vgl. i.e.: Körner/Patzak/Volkmer, Betäubungsmittelgesetz, 8. Auflage 2016, vor §§ 29 ff. BtMG, Rn. 389: bei Aufnahme von 17 mg THC nach 180 Minuten 1,7 ng/ml, nach 240 Minuten 0,9 ng/ml; bei Aufnahme von 36 mg THC nach 180 Minuten 3,0 ng/ml, nach 240 Minuten 1,8 ng/ml). Vielmehr wäre bei einem von drei Personen gemeinsam konsumierten Joint nach 3 ½ Stunden ein niedrigerer THC-Wert zu erwarten gewesen.
Abgesehen davon ist die Einlassung des Antragstellers auch keineswegs stringent und widerspruchsfrei, wie die Beschwerdebegründung behauptet. Während sich aus seiner zuletzt abgegebenen eidesstattlichen Versicherung ein Konsumzeitpunkt gegen 19 Uhr ergibt, will er seinen Aussagen gegenüber dem Gutachter am 6. November 2017 „gegen 17.30 Uhr an einem Joint gezogen“ (Gutachten vom 21.11.2017, Blatt 6) bzw. diesen „gegen halb sechs, sechs“ konsumiert haben (Gutachten vom 21.11.2017, Blatt 8). Schon daraus ergeben sich Zweifel an seiner Einlassung.
Entscheidend gegen einen einmaligen Konsum spricht aber der vom Landratsamt in seiner Beibringungsanordnung und auch vom Ausgangsgericht ausdrücklich berücksichtigte Umstand, dass der Antragsteller den Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Würzburg vom 4. April 2019 zufolge für seine Fahrdienste ca. 10 Gramm Marihuana in einer Druckverschlusstüte erhielt, die er in das Handschuhfach seines Fahrzeugs legte. Ein erst- und einmaliger Probierkonsument, der nicht die Absicht hat, nochmals Cannabis zu konsumieren, würde eine solche „Entlohnung“ wohl kaum akzeptieren und das Marihuana auch nicht in seinem Fahrzeug ablegen. Eine plausible Erklärung hierfür ist dem Vorbringen des Antragstellers nicht zu entnehmen.
c) Der Antragsteller hat am 5. Juni 2017 auch gegen das Trennungsgebot (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV) verstoßen, da er unter der Wirkung von Cannabis mit einem festgestellten THC-Wert von 3,4 ng/ml im Blutserum ein Kraftfahrzeug geführt hat.
Ein einmaliger Verstoß gegen das Trennungsgebot ist eine ausreichende „Zusatztatsache“ für die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV zur Abklärung der Fahreignung (BVerwG, U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – NJW 2019, 3395 Rn. 37). Trotz des Plurals in der Rechtsgrundlage („weitere Tatsachen“) müssen hierfür nicht mehrere der in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV genannten Zusatztatsachen und auch nicht mehrere Verstöße gegen das Trennungsgebot vorliegen. Das ergibt sich auch aus § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV, der bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr nach § 24a StVG die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht in das Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde stellt, sondern zwingend vorsieht.
d) Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass trotz der in der Beibringungsanordnung neben 14 Abs. 1 Satz 3 FeV zitierten Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FeV aus der Nichtbeibringung des Gutachtens auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden kann.
……
d) Dem Antragsteller kommt auch nicht zugute, dass zwischen der Fahrt am 5. Juni 2017 und dem Erlass des Bescheids vom 29. Januar 2020 knapp 32 Monate vergangen sind und er nach dieser Fahrt weder im Straßenverkehr noch durch Betäubungsmittelkonsum negativ aufgefallen ist. Daraus ergibt sich weder, dass es geboten wäre, von der Anordnung des Sofortvollzugs abzusehen, noch eine Verwirkung der Entziehung der Fahrerlaubnis als solche.
Es kann dahinstehen, ob eine Verwirkung im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse, die nicht im Ermessen der Behörde stehen, überhaupt in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 30.3.2020 – 11 CS 20.123 – juris Rn. 32; v. 6.4.2020 – 11 CS 20.432 – juris Rn. 11; v. 8.4.2020 – 11 ZB 19.2337 – juris Rn. 19). Voraussetzung für eine Verwirkung wäre jedenfalls, dass neben dem Verstreichen eines längeren Zeitraums weitere Umstände hinzukommen, die ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen, die Behörde werde von ihrer Befugnis auch künftig keinen Gebrauch mehr machen. Letzteres ist hier nicht der Fall, da das Landratsamt nie den Eindruck erweckt hat, es werde von einer Entziehung der Fahrerlaubnis Abstand nehmen, sondern den ersten Entziehungsbescheid lediglich nach richterlichem Hinweis aufgehoben hat. Nach Bekanntwerden des im Strafverfahren ergangenen Urteils des Amtsgerichts Würzburg vom 4. April 2019 hat es das Verfahren zeitnah fortgeführt. Die danach bis zum Bescheiderlass verstrichene Zeit ergibt sich aus der Aufforderung des Antragstellers zur Beibringung des Gutachtens mit entsprechender Fristsetzung und der gebotenen Anhörung vor der Entziehung der Fahrerlaubnis.“