Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.02.2020 – IV 4 RBs 31/20 – hat auch noch einmal einen Dauerbrenner zum Gegenstand, nämlich die Abwesenheitsverhandlung nach § 74 OWiG. Bei deren Durchführung werden in der Praxis häufig Fehler gemacht. So auch hier, so dass das OLG nach Zulassung der Rechtsbeschwerde das AG-Urteil aufgehoben hat:
Soweit die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird, hat dies mit der Verfahrensrüge zu geschehen, die den Darstellungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügen muss (zu vgl. Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 17. Auflage 2017, § 80 Rn. 16a, m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall, weil sämtliche einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör ergebenden Verfahrenstatsachen mitgeteilt sind.
Die zulässig erhobene Verfahrensrüge ist auch begründet.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) bedeutet, dass dem Betroffenen Gelegenheit gegeben werden muss, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen und dass das Gericht seine Ausführungen zur Kenntnis nehmen und in seine Erwägungen einbeziehen muss (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, Einl. Rn. 23 m.w.N.).
Auf Seite 3 der Urteilsurkunde wird Folgendes ausgeführt (BI 101 d.A.):
„Soweit der Verteidiger erklärte, dass das Verkehrsschild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung wegen eines parkenden LKWs nicht zu sehen gewesen wäre, kann er hiermit nicht gehört werden. Der Betroffene ist nämlich gerade vor dem Hintergrund von seinem persönlichen Erscheinen entbunden worden, dass er keine Einlassung zur Sache vornehmen werde. Dies kann im Folgenden nicht durch eine (von der Prozessordnung so ohnehin nicht vorgesehene) Einlassung des Betroffenen über seinen Verteidiger unterlaufen werden.“
Vorstehendes wird auf Seite 2 und 54 der Begründungsschrift wiedergegeben (BI. 162, 214 d.A.).
Darüber hinaus ist auf Seite 14 der Begründungsschrift die Strafprozessvollmacht wiedergegeben, die sich als Bl.. 52 in den Akten befindet (BI. 174 d:A.). Hiernach hat der Betroffene dem Verteidiger Vollmacht zu seiner „Verteidigung und Vertretung in allen Instanzen sowie im Vorverfahren erteilt, und zwar auch für den Fall seiner Abwesenheit nach § 411 StPO mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach §§ 223 Abs. 1, 234 StPO und 74 OWiG.“
Gemäß § 73 Abs. 3 OWiG kann der von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen- entbundene Betroffene sich durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen. Der Verteidiger vertritt den Betroffenen in der Erklärung und im Willen und kann für ihn deshalb zur Sache aussagen, wenn er eine Vertretungsvollmacht hat; eine Vollmacht „für den Fall der Abwesenheit“ reicht aus (Seitz/Bauer in: Göhler, OWG, 17. Auflage 2017, § 73, Rn. 27).
Da der Verteidiger wie oben dargelegt eine entsprechende Vertretungsvollmacht des Betroffenen vorweisen konnte, welche sich zum Hauptverhandlungszeitpunkt auch bei den Akten befand, konnte er für den Betroffenen auch Ausführungen zur Sache abgeben, welche das Gericht hätte zur Kenntnis nehmen und in seine Entscheidungsgründe mit einbeziehen müssen.
Gleichwohl hat das Gericht entlastendes Vorbringen des Verteidigers ausweislich der Urteilsurkunde nicht beachtet, nicht gewürdigt und daher auch nicht in die Entscheidungsgründe mit einbezogen.
Wegen des vorbezeichneten Mangels ist das angefochtene Urteil nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, §§ 353; 354 Abs. 2 Satz 1 StPO aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Wuppertal zurückzuverweisen.
Dem kann sich der Senat nicht verschließen.“
Auch eine interessante Formulierung: „Dem kann sich der Senat nicht verschließen.“
Die Formulierung ist bekannt – man muss sich die Fortsetzung dazudenken, die da lautet: „so gern er auch würde“
In der Sache erstaunt mich allerdings der Umfang der Beschwerdeschrift von mindestens 54 Seiten. Das kann sich doch nur lohnen wenn man Stundenhonorar bekommt 🙂
Oder man hat die „Vollmachtsurkunde-Rechtsbeschwerde“ schon im Rechner und muss nur noch „print“ drücken.
Wäre das so schlimm? Es gibt ja auch „Urteilsformulare“….:-)
Vordruck unterstellt (Was ich grds für legitim halte, wenn man den Einzelfall immer solide einarbeitet) finde ich den Umfang dennoch affig. Für wen denn?
Der Senat kennt das Problem, dem reicht eine der Rüge genügend Darstellung (ohne Hundert Fundstellen und Zitate…)
und dann reicht es dem Senat auf einmal nicht mehr und er möchte hier noch ein Komma und da noch etwas Vortrag. Die OLG und auch der BGH sind es doch selbst schuld, wenn sie so umfangreiche Rügen bekommen. Wenn man die Hürden hoch legt, muss man nicht meckern, wenn man dann viel lesen muss.
Ja aber die Hürde sollte – da sind wir uns einig – nicht „da oben“ liegen.
Es gibt nur Verlierer auf drei Seiten. Der Tatrichter schreibt sich unnötig die Finger wund, der Verteidiger auch und der Senat muss es lesen und verbescheiden – in welche Richtung auch immer.
Das Wesentliche prägnant auf den Punkt bringen. War das nicht mal einer der Leitsätze im Studium? Und was haben wir draus gemacht?
„Lass uns lieber mal die gesamte Akte abschreiben, nur um sicher zu gehen…“
Hat der BGH da nicht letztes Jahr erst einer Kammer ein Betrugsurteil achtkantig um die Ohren gehauen deswegen? Mich dünkt, da war was. Und da ging es immerhin um eine potentiell mit Haft bedrohte Straftat und nicht um eine bloße OWi.
Die gesetzgeberische Idee, einfach mehr oder weniger die StPO über die OWis zu stülpen, ist doch komplett nach hinten losgegangen.
Ich wäre für eine OWiPO. Und wenn man schon dabei ist… eine Änderung des Instanzenzuges.