Gebühren im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren, oder: Versagung/Reduzierung der Gebühren wegen „rechtsmissbräuchlichen Verteidigerhaltens“?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt vom AG Landstuhl. Das hat im AG Landstuhl, Beschl. v. 08.04.2020 – 2 OWi 186/20 – zu zwei Fragen Stellung genommen, nämlich zunächst zur Frage der Bemessung der Gebühren im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren und dann zur Frage der Reduzierung/Versagung der Gebühren wegen „missbräuchlichen Verteidigerverhaltens“.

Folgender Sachverhalt: Die Betroffene wird in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren von einem Rechtsanalt verteidigt. Zugrunde liegt dem Verfahren ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts, der mit 120 EUR zu ahnden gewesen wäre und bei Verurteilung einen Punkt im FAER als mittelbare Folge mit sich gebracht hätte. Die Betroffene war im FAER vorbelastet, sodass die Gelduße 140 EUR betrug. Der Verteidiger hat sich zunächst bestellt und Akteneinsicht begehrt, später eine CD mit Daten übersandt bekommen und dann Einspruch eingelegt. Der Einspruch war in einem zusammenhängenden Text mit Einwendungen gegen das Messverfahren enthalten, ohne dass der Einspruch graphisch hervorgehoben war. Die Behörde „übersieht“ den Einspruch, was zur Verjährung führt- Sie hat dann das Verfahren eingestellt und den Bußgeldbescheid zurückgenommen.

Der Verteidiger hat Mittelgebühren geltend gemacht. Die sind auch festgesetzt worden:

„Der Verteidiger hat einen Anspruch auf Erstattung der von ihm begehrten Gebühren nach RVG. Anzusetzen ist in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr (AG München, Urt. v. 2.12.2019 – 213 C 16136/19; Gerold/Schmidt/Mayer, 24. Aufl. 2019, RVG § 14 Rn. 54-57; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 4.2.2015 – 5 Qs 9/15, BeckRS 2015, 05688). Dies ist im vorliegenden Fall auch durch die konkrete Tätigkeit des Verteidigers zu vertreten. Dieser hat sich nicht nur bestellt und in die formale Akte Einsicht genommen, sondern sich darüber hinaus auch mit dem dem Verstoß zugrunde liegenden Messsystem befasst. Darüber hinaus ist nach dem reformierten Punktesystem seit dem 1.5.2014 schon die Vermeidung des ersten Punkts im FAER für jeden Betroffenen zu erstreben, sodass eine unterdurchschnittliche Bemessung der Tätigkeit allenfalls dann standardmäßig in Betracht kommt, wenn es in Massenverfahren „nur“ um eine Geldbuße, mithin ein Verwarnungsgeld geht. Dies ist hier nicht der Fall.“

So weit, so gut. Aber dann:

„Die Erledigungsgebühr ist durch die Tätigkeit des Verteidigers erfolgte Einstellung angefallen und stets als Mittelgebühr zu bemessen (Krumm in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, RVG Nr. 5115 VV, Rn. 21).

Hier wäre allenfalls zu überlegen gewesen, die Gebühren insgesamt wegen des missbräuchlichen Verteidigungsverhaltens auf ein Minimum zu reduzieren oder zu versagen. Dies kann jedoch hier nicht erfolgen. Denn zum einen hat das Verteidigerverhalten zum gewünschten Erfolg der Betroffenen geführt. Dass die Bußgeldbehörde Fälle wie diesen rechtlich nicht richtig prüft und nicht auf der Bestandskraft des Bußgeldbescheids wegen des missbräuchlichen Verteidigerverhaltens beharrt, kann nicht zulasten der Betroffenen gehen. Zum anderen obliegt es dem Gericht in Verfahren nach § 62 OWiG nicht, über die Kostengrundentscheidung neu zu befinden, sondern nur über die Höhe.“

Dazu ist „anzumerken“:

1. Die Ausführungen des AG zur (allgemeinen) Gebührenbemessung im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren sind zutreffend  (vgl. zur Mittelgebühr im Bußgeldverfahren auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. m.w.N.). Sehr schön auch der Hinweis auf die im Hinblick auf die durch die sog. Punktereform zum 1.5.2014 eingetretenen Änderungen betreffend das FAER und die damit gestiegene Bedeutung der straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren.

2. Zu widersprechen ist aber den Ausführungen des AG betreffend „Reduzierung“ oder „Versagung“ der Gebühren – und ich zitiere hier jetzt aus eine für VRR/StRR/RVGreport vorgesehenen Anmerkung -,

„wobei nicht ganz klar wird, ob das AG die auf alle Gebühren beziehen will – dafür spricht die Formulierung „Gebühren“ – oder nur auf die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG – dafür spricht die Stellung der Ausführungen bei der „Erledigungsgebühr“.

M.E. kommt eine „Reduzierung“ oder gar „Versagung“ nicht in Betracht. Worauf will man die stützen? Vorab: Darüber wäre, wenn es denn zulässig sein sollte, auch nicht, was das AG richtig erkannt ha,t im Kostenfestsetzungsverfahren zu entscheiden, sondern im Rahmen des Erlasses der Kostengrundentscheidung; hinsichtlich der einmal erlassenen Kostengrundentscheidung besteht Bindungswirkung (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 15 m.w.N.).

In Betracht käme daher als Ansatz allenfalls eine Nichtberücksichtigung der (vom AG als) rechtmissbräuchlich angesehenen Verteidigertätigkeiten, hier in Anlehnung an die Rechtsprechung der OLG zum versteckten Entbindungsantrag der „versteckte Einspruch, bei der Beurteilung des Umfangs der Tätigkeiten des Verteidiger. Ich warne allerdings vor einer solchen Diskussion. Denn mit ihr begibt man sich auf das schwierige Terrain der nachträglichen Beurteilung der Verteidigungsstrategie unter gebührenrechtlichen Gesichtspunkten. Damit tun sich Rechtsprechung und Literatur schon bei der Pauschgebühr des Pflichtverteidigers nach § 51 RVG schwer (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 51 Rn 23 ff. m.w.N.). Um so schwieriger ist es bei den allgemeinen Rahmengebühren. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte nachträglich über die Verteidigungsstrategie zu befinden und die ggf. durch eine Gebührenminderung/-versagung abzustrafen. Das verstößt m.E. gegen die Unschuldsvermutung. Es geht ja auch nicht um einen Anspruch des Verteidigers, sondern um einen Erstattungsanspruch des Betroffenen bzw. im Strafverfahren des Angeklagten. Und der darf sich grundsätzlich in jeder Art und Weise verteidigen, so lange der Bereich angemessener und sinnvoller Verteidigung nicht überschritten wird (so auch OLG München RVGreport 2018, 450 = JurBüro 2018, 409). Und das ist bei dem hier vom AG monierten Verhalten – „versteckter Einspruch“ nicht der Fall. Sicherlich auch nicht deshalb, weil einige OLG das beim ähnlichen Fall des versteckten Entbindungsantrages nach § 73 OWiG so sehen (vgl. die Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 1402). Denn damit werden ggf. nur die Amtsrichter – oder wie hier die Bußgeldbehörden – unterstützt, die Anträge nicht oder nicht sorgfältig lesen. Und dass ein solches Verteidigerverhalten sinnvoll sein kann, zeigt der vorliegende Konstellation, die wegen des „übersehenen“ Einspruchs zur Einstellung des Verfahrens und zur Kostenerstattung geführt hat. Wenn die Bußgeldbehörde das hätte verhindern wollen, wäre es ihr unbenommen gewesen, das Verfahren nicht einzustellen sondern „fortzuführen“. Zudem scheidet bei der Nr. 5115 VV RVG eine Reduzierung von vornherein aus, weil es sich bei dieser Gebühr um eine Festgebühr handelt, wovon ja auch das AG zutreffend ausgeht.

3. Und: Erst recht zu widersprechen ist schließlich der Mitteilung des AG am Ende seiner Entscheidung:

Ungeachtet dessen wird die Akte aber der Staatsanwaltschaft zur ggf. berufsrechtlichen Prüfung des anwaltlichen Vorgehens übersandt werden.“

Ich frage mich, gegen welche berufsrechtliche Pflicht der Verteidiger verstoßen haben soll?

Insgesamt: Wehret den Anfängen.

Ein Gedanke zu „Gebühren im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren, oder: Versagung/Reduzierung der Gebühren wegen „rechtsmissbräuchlichen Verteidigerhaltens“?

  1. RA Gahbler

    Wo ergibt sich denn eine anwaltliche Pflicht, einen Einspruch „hervorgehoben“ oder sonst besonders kenntlich zu machen? Ich lese im Gesetz nichts davon, auch nicht dazu, ein Einspruch müsse etwa am Anfang eines Schriftsatzes stehen oder dürfe nicht im Text enthalten sein. Behörden und Gerichte müssen den Text doch nur lesen, wozu sie ohnehin verpflichtet sind. Und wenn – wie immer noch die meisten Gerichte entscheiden – bei wirklich im Text versteckten Vertragsangeboten bei dem unsäglichen Geschäftsmodell der „Gewerberegister“-Eintragungen – wenn auch zivilrechtlich – den Empfängern vorgehalten wird, sie hätten den Text doch sorgfältig lesen müssen und daher läge auch keine Täuschung/Betrug vor, müssen sich Behörden und Gerichte das erst recht entgegenhalten lassen.

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