Starten wir in die 17. KW. mit dem Thema, mit dem wir die 16. KW. beendet haben. Ja, mit Corona – ein anderes Thema gibt es ja kaum noch. Und ich starte in dem Zusammenhnag mit dem BVerfG, Beschl. v. 17.04.2020 – 1 BvQ 37/20, für mich der Beweis/das Zeichen, dass der Rechtsstaat auch in diesen schwierigen Zeiten funktioniert. Man muss nur auf der Klaviatur spielen können. Aber das ist immer Voraussetzung für (ausreichenden) Rechtsschutz.
Bei der Entscheidung handelt es sich um den Beschluss des BVerfG zu zwei in Stuttgart geplanten Versammlungen. Die waren am 10.04.2020 für den 15. und den 18.04.2020 bei der Stadt Stuttgart angemeldet worden. Zu deren Reaktion wird im Verfahren dann vorgetragen:
„Der Antragsteller trägt vor, ihm sei – anlässlich einer früheren Versammlungsanmeldung – am 8. April 2020 von einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens telefonisch mitgeteilt worden, dass dort aktuell über Versammlungen nicht entschieden werde, weil diese verboten seien. Der Bevollmächtigte des Antragstellers teilt mit, er habe daraufhin ebenfalls bei diesem Mitarbeiter angerufen und um Übersendung eines ablehnenden Bescheids gebeten. Der Mitarbeiter habe daraufhin erklärt, ein Ablehnungsbescheid werde nicht ergehen, weil sich das Verbot von Versammlungen aus der Corona-Verordnung der Landesregierung ergebe.2
Als Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim VG Stuttgart und beim VGH Baden-Würrtemberg dann keinen Erfolge haben, wendet sich der Veranstalter an das BVerfG. Und das hat eine einstweilige Anordnung erlassen und die Stadt Stuttgart
- „…..verpflichtet, über die Zulässigkeit der von dem Antragsteller angemeldeten Versammlung am 18. April 2020 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Kammer zu entscheiden.
- Trifft die Stadt Stuttgart keine Entscheidung, ist der Antragsteller berechtigt, die von ihm angemeldete Versammlung durchzuführen.“
Begründung:
„bb) Das Vorgehen der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens wird Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht gerecht.
Es ist schon nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens von dem ihr in § 3 Abs. 6 CoronaVO eingeräumten Ermessen im Lichte von Art. 8 GG Gebrauch gemacht hat.
Der Antragsteller trägt vor, ihm sei – anlässlich einer früheren Versammlungsanmeldung – am 8. April 2020 von einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens telefonisch mitgeteilt worden, dass dort aktuell über Versammlungen nicht entschieden werde, weil diese verboten seien. Der Bevollmächtigte des Antragstellers teilt mit, er habe daraufhin ebenfalls bei diesem Mitarbeiter angerufen und um Übersendung eines ablehnenden Bescheids gebeten. Der Mitarbeiter habe daraufhin erklärt, ein Ablehnungsbescheid werde nicht ergehen, weil sich das Verbot von Versammlungen aus der Corona-Verordnung der Landesregierung ergebe.
In ihrer im verfassungsgerichtlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahme verweist die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens zwar darauf, dem Antragsteller die aus ihrer Sicht nicht bestehende Möglichkeit effektiver Schutzauflagen telefonisch mitgeteilt und mit ihm erörtert zu haben. Dass sie den von dem Antragsteller erbetenen rechtsmittelfähigen Bescheid unstrittig nicht erlassen hat, spricht indessen dafür, dass sie angesichts ihrer Auslegung der Verordnung keinen Handlungsspielraum gesehen hat, sondern von einem Verbot ausging.
Soweit die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens in ihrer Stellungnahme Erwägungen zu einer Zulassung der Versammlung unter Auflagen zum Schutz vor Infektionen anstellt und diese als ungeeignet oder unzureichend verwirft, ist dies insoweit schon deshalb unerheblich, weil sich ein Ermessensausfall hierdurch nicht heilen ließe. Unabhängig davon erweisen sich die von ihr angestellten Erwägungen im Lichte von Art. 8 GG als nicht tragfähig. Dabei muss im verfassungsgerichtlichen Eilverfahren offenbleiben, ob es von Art. 8 GG gedeckt ist, die Ausübung der Versammlungsfreiheit durch Rechtsverordnung einem grundsätzlichen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu unterwerfen und die Erteilung einer solchen Erlaubnis in das Ermessen der Verwaltung zu stellen. Jedenfalls muss, wenn eine derartige Regelung getroffen wird, wie sie § 3 Abs. 1 und 6 CoronaVO in der in den Stellungnahmen des Landes Baden-Württemberg und der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens wie auch in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vertretenen Auslegung enthält, im Rahmen der Ermessensausübung dem Grundrecht aus Art. 8 GG Rechnung getragen werden. Dies erfordert insbesondere eine hinreichende Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Lediglich pauschale Erwägungen, die jeder Versammlung entgegengehalten werden könnten, würden dem durch den Normgeber eröffneten Entscheidungsspielraum, von dem die Verwaltung unter Berücksichtigung des Individualgrundrechts aus Art. 8 GG Gebrauch zu machen hat, nicht gerecht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. April 2020 – 1 BvR 828/20 -, Rn. 14). Dem werden die weithin vom Einzelfall gelösten Erwägungen, welche die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens in ihrer Stellungnahme im verfassungsgerichtlichen Verfahren anstellt, nicht gerecht. Sie macht überwiegend Bedenken geltend, die jeder Versammlung entgegengehalten werden müssten.
Dass sich der Zweck der Verhinderung der weiteren Ausbreitung einer Virus-Erkrankung durch Nichtzulassung der Versammlung erreichen lässt, ließe sich letztlich gegen jede Versammlung unabhängig von der Teilnehmerzahl anführen. Damit liefe der Zulassungsvorbehalt gemäß § 3 Abs. 6 CoronaVO weitgehend leer, soweit er – auch aus Sicht der baden-württembergischen Landesregierung, der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens und des Verwaltungsgerichtshofs – der Sicherung des Grundrechts aus Art. 8 GG dient.
Zudem hat die Behörde keinerlei eigene Überlegungen zur weiteren Minimierung von Infektionsrisiken angestellt. Die Verantwortung dafür trifft nicht allein den Antragsteller. Vor dem Erlass einer Beschränkung der Versammlungsfreiheit muss sich die zuständige Behörde zunächst um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter bemühen. Dies entspricht für Auflagen und Verbote ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. grundlegend BVerfGE 69, 315 <355 ff., 362>). Nichts Anderes gilt für die Verweigerung einer Zulassung, wenn – wie hier nach Auffassung der baden-württembergischen Landesregierung, der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens und des Verwaltungsgerichtshofs, deren Verfassungskonformität hier offen bleiben muss – die Ausübung der Versammlungsfreiheit einem Verbot mit Zulassungsvorbehalt unterworfen ist. Es wäre danach Sache der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens gewesen, gemeinsam mit dem Antragsteller, der sich dem nicht entgegenstellt, mögliche Auflagen zum Infektionsschutz, von denen § 3 Abs. 6 CoronaVO die Erteilung einer Zulassung abhängig macht, zu eruieren.
Stattdessen stellt die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens in ihrer Stellungnahme pauschal fest, auch nach Beratung mit dem städtischen Gesundheitsamt und unter Hinzuziehung der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts sei es ihr nicht möglich, Auflagen festzusetzen, die der aktuellen Pandemielage gerecht würden. Damit schließt sie jede Einzelfallbetrachtung von vornherein aus.Insbesondere fasst sie die angemeldete Teilnehmerzahl von 50 Personen, den geplanten Versammlungsort am Schlossplatz sowie den Termin am 18. April 2020 von 15.30 bis ca. 17.30 Uhr unzutreffend als zwingende Vorgaben auf, ohne dabei in Betracht zu ziehen, ob sich nötigenfalls durch Verringerung der Teilnehmerzahl und/oder eine örtliche oder zeitliche Verlagerung der Versammlung gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko auf ein in Abwägung mit dem Grundrecht aus Art. 8 GG vertretbares Maß reduzieren lässt.
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass, wie die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens vorbringt, gerade in Stuttgart die Infektionszahlen in den vergangenen Wochen stark angestiegen sind. Dies befreit die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens aber nicht davon, vor einer Versagung der Zulassung der Versammlung möglichst in kooperativer Abstimmung mit dem Antragsteller alle in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen in Betracht zu ziehen und sich in dieser Weise um eine Lösung zu bemühen, die die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem Ziel des Infektionsschutzes und des Schutzes von Leib und Leben auf der einen und der Versammlungsfreiheit auf der anderen Seite ermöglicht.“
Das ist dann doch mal ein erster Maßstab…..