Heute dann mal ein wenig BGH 🙂 . Und ich starte mit einer „Sondermeldung“, nämlich mit dem BGH, Beschl. v. 12.02.2020 – 1 StR 451/19. „Sondermeldung“ deshalb, weil es um eine erfolgreiche (!!) Aufklärungsrüge geht. Dass man das noch erlebt 🙂 :
„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts raubte der Angeklagte im Zusammenwirken mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten P. in den frühen Morgenstunden des 30. Juni 2017 der Nebenklägerin und ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann mindestens 78.000 € Bargeld, 855,61 Gramm Feingold in Barrenform sowie Schmuck und Münzen. Der Angeklagte und der Mitangeklagte setzten bei der Tat in der Wohnung der Geschädigten in einer Seniorenresidenz in A. Fesselungswerkzeug aus Vliesmaterial gegen die zur Tatzeit 73-jährige, von der Brust abwärts querschnittsgelähmte Nebenklägerin ein.
Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem konkreten Tatablauf und der Tatbeteiligung des Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen hat und bei seinen polizeilichen Vernehmungen eine Tatbeteiligung bestritten hatte, maßgeblich auf die (geständigen) Angaben des Mitangeklagten gestützt, die es durch objektive Umstände bestätigt gesehen hat.
2. In zulässiger Weise (vgl. zu den Anforderungen BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 3 StR 605/17 Rn. 4) beanstandet die Revision, dass die Strafkammer nicht die Ehefrau des Angeklagten A. als Zeugin zu den Abläufen am frühen Morgen des 30. Juni 2017 vernommen hat. Nach dem Vorbringen in der Verfahrensrüge hätte A. angegeben, erst einmal mit dem Mitangeklagten gemeinsam im Fahrzeug gesessen zu sein, dass dies aber nicht am 30. Juni 2017 gewesen sei, und dass sie nicht gemeinsam von dem Angeklagten, dem Mitangeklagten und ihrer Tochter in ihrem Fahrzeug, das der Angeklagte geführt habe, zu ihrer Arbeitsstelle in H. gebracht worden sei.
3. Die Aufklärungsrüge ist begründet, denn das Landgericht hätte sich ausweislich des vorgetragenen Akteninhalts zu der Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten gedrängt sehen müssen (§ 244 Abs. 2 StPO).
a) Der Mitangeklagte hat in seiner geständigen Einlassung Angaben zu der gemeinsamen Fahrt zum Tatort nach A. und zur Rückkehr zu den jeweiligen Wohnorten in B. (Angeklagter) sowie S. (Mitangeklagter) gemacht, die mit den von seinem Mobiltelefon generierten Standort-Verbindungsdaten übereinstimmen. Danach war das Mobiltelefon des Mitangeklagten am 29. Juni 2017 um 22.01 Uhr und am 30. Juni 2017 um 2.49 Uhr in demselben Funkmast in M. – etwa 60 km von B. auf der Strecke von B. nach A. gelegen – und sodann um 6.04 Uhr in einem Funkmast in H. eingebucht, wo sich der Arbeitsplatz der Ehefrau des Angeklagten befindet. Zudem hat der Mitangeklagte sich dahingehend eingelassen, nach dem von beiden begangenen Raub von A. in die Wohnung des Angeklagten in B. gefahren zu sein und dort im Keller einen mitgenommenen Möbeltresor aufgebrochen und die Beute geteilt zu haben. Sodann habe er gemeinsam mit dem Angeklagten und dessen Tochter die Ehefrau des Angeklagten zur Arbeit in H. gefahren; anschließend habe ihn der Angeklagte zum Bahnhof nach B. gebracht, von wo aus er mit der Bahn nach S. zurückgefahren sei. Aus dem vorgetragenen Akteninhalt ergibt sich, dass der Angeklagte um 4.47 Uhr versuchte, seine Ehefrau anzurufen.
b) Vor dem Hintergrund der den Angeklagten insgesamt belastenden Angaben des Mitangeklagten und der gegebenen Beweissituation, dass dessen Angaben das maßgebliche Beweismittel für eine Tatbeteiligung des Angeklagten waren, war die Strafkammer gehalten, die Angaben des Mitangeklagten weitergehend durch eine Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten zu überprüfen. Insoweit ist von Bedeutung, dass bei dem von dem Mitangeklagten geschilderten Aufenthalt beider in der Wohnung des Angeklagten in B. nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, weshalb der Angeklagte seine Ehefrau, die sich zumindest vor der Abfahrt zur Arbeitsstelle ebenfalls vor Ort befand, anzurufen versuchte. Die Ehefrau hätte daher – entsprechend dem Vorbringen in der Verfahrensrüge – Angaben zu dem für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Mitangeklagten relevanten Geschehen am frühen Morgen des 30. Juni 2017, insbesondere hinsichtlich der Fahrt zur Arbeit machen können. Die Vernehmung der A. als Zeugin lag auch nahe, da aus dem in der Verfahrensrüge vorgetragenen Akteninhalt ersichtlich ist, dass sie mehrfach gegenüber KHK F. Angaben zur Sache machte, so am 25. Oktober 2017 anlässlich der Durchsuchung dahingehend, dass der Angeklagte in der Nacht vom 29. Juni 2017/30. Juni 2017 bei ihr zu Hause gewesen sei. Am 2. Mai 2018 gab die Ehefrau des Angeklagten auf Nachfrage von KHK F. an, dass sie nur einmal mit dem Mit- angeklagten im Fahrzeug gesessen habe, dieser aber noch nie im Fahrzeug gewesen sei, als sie zu ihrer Arbeitsstelle gefahren sei oder gefahren worden sei. Im Übrigen ist auch in der Anklageschrift ein Arbeitszeitnachweis betreffend A. als Be- weismittel benannt, aus dem sich deren Arbeitsbeginn am 30. Juni 2017 um 6.02 Uhr ergibt und der zur Bestätigung der Richtigkeit der Einlassung des Mitangeklagten dient.
c) Dem von der Revision vorgetragenen Akteninhalt, aus dem sich unter anderem Vermerke über verschiedene (informatorische) Befragungen der A. durch KHK F. ergeben, ist nicht zu entnehmen, dass die Ehefrau des Angeklagten von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch gemacht hätte; auch Anhaltspunkte dafür, dass sie sich in einer Hauptverhandlung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen könnte, ergeben sich aus der Akte – entsprechend dem Revisionsvorbringen – nicht. Soweit in einem Vermerk vom 3. Mai 2018 von KHK F. über Angaben der Ehefrau des Angeklagten am 2. Mai 2018 niedergelegt ist, sie habe eine Vernehmung aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt, kann darin eine Ausübung ihres Zeugnisverweigerungsrechts nicht gesehen werden. Dies gilt umso mehr, als A. am 3. Mai 2018 gegenüber KHK F. wieder Angaben zur Sache gemacht hat.
d) Schließlich steht auch der Umstand, dass ein entsprechender Beweisantrag des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht gestellt worden ist, dem Erfolg der Rüge nicht im Weg. Die Aufklärungspflicht besteht grundsätzlich unabhängig vom Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten; die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht kann deshalb nicht daran scheitern, dass der Beschwerdeführer die vermisste Aufklärung in der Hauptverhandlung nicht verlangt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2016 – 2 StR 116/16 BGHR StPO § 244 Abs. 2 Aufklärungspflicht 1 Rn. 5; Urteil vom 22. Januar 2002 – 1 StR 467/01 Rn. 8; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 362; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 390). Voraussetzung ist freilich, dass dem Gericht das Beweismittel und die hiermit verbundene Möglichkeit, den Sachverhalt ergänzend aufzuklären, ohne den – etwa mit einem Beweisantrag verbundenen – Sachvortrag bekannt, jedenfalls erkennbar war (LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 362; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 390). Dies ist – wie dargestellt – der Fall.
4. Auf der unterbliebenen Beweiserhebung beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat vermag auch unter Berücksichtigung der weiteren Beweisergebnisse nicht auszuschließen, dass die Strafkammer, hätte sich ergeben, dass die Angaben des Mitangeklagten zu der gemeinsamen Fahrt zur Arbeitsstelle der A. unzutreffend waren, anders entschieden hätte. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.“
Oh welch Wunder