Archiv für den Monat: März 2020

Eingangsstempel als öffentliche Urkunde, oder: Gegenbeweis auch durch Zeugenvernehmung

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Und als zweite Entscheidung dann eine weitere Entscheidung des BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 28.01.2020 – VIII ZB 39/19. Der BGH hat in diesem Beschluss zu einer Berufungsverwerfung – im Zivilverfahren durch das LG Bamberg Stellung genommen.

In dem Verfahren ging es um die Herausgabe einer Mietwohnung in Anspruch. Die Klage hatte vor dem AG Erfolg gehabt. Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 18.01.2019 zugestellte Urteil des AG hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 18.02.2019 Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz trägt den Eingangsstempel „Nachtbriefkasten“ und das Datum „19. Feb. 2019“.

Nach Mitteilung des Eingangsdatums hat der Beklagtenvertreter vorgetragen, er habe die Rechtsmittelschrift am 18.02.2019 gegen 20.05 Uhr persönlich in den Nachtbriefkasten des LG eingeworfen, und um entsprechende Korrektur des Eingangsdatums gebeten.

Das Berufungsgericht hat daraufhin eine Stellungnahme von zwei Mitarbeitern der Posteingangsstelle eingeholt. Diese haben angegeben, am Tag der Leerung des Nachtbriefkastens – 20.02.2019 – habe sich nur im Fach „Vortag“ ein Briefeingang befunden, der dementsprechend mit dem Nachtbriefkastenstempel sowie dem Datumsstempel 19.02.2019 versehen worden sei. Sie haben weiter Angaben zur Funktionsfähigkeit des Nachtbriefkastens gemacht.

Auf den Hinweis des LG die Berufung mangels fristgerechten Eingangs unzulässig sei, hat der Beklagte unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten beantragt, ihm für eine etwaige Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der beiden Mitarbeiter der Posteingangsstelle zur Stempelung der Eingangspost sowie zu den Leerungen des Nachtbriefkastens am 19. und 20.02.2019 hat das Berufungsgericht mit Beschluss vom 02.05.2019 die Berufung des Beklagten sowie dessen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Berufungsfrist verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Berufung sei unzulässig. Der Nachweis fristgerechten Eingangs der Berufungsschrift bis zum 18.02.2019 sei nicht erbracht, was sich zum Nachteil des beweisbelasteten Beklagten auswirke. Eine Glaubhaftmachung fristgerechten Eingangs genüge nicht. Wäre der Berufungsschriftsatz, wie der Beklagtenvertreter angegeben habe, bereits am 18.02.2019 eingegangen, wäre er bereits bei der Posteingangskontrolle am Morgen des 19.02.2019 erfasst worden. Erfassungsfehler könnten ausgeschlossen werden. Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Stellungnahme beider Wachtmeister bestünden nicht. Andererseits habe die Kammer auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte an der anwaltlich versicherten Darstellung des Beklagtenvertreters, er habe die Berufungsschrift bereits am Abend des 18.02.2019 in den Nachtbriefkasten eingeworfen, zu zweifeln. Nach freibeweislicher Aufklärung bleibe daher offen, ob die Berufungsfrist gewahrt worden sei, was sich zum Nachteil der Beklagtenseite auswirke.

Der Wiedereinsetzungsantrag sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Der Beklagte habe schon keinen Wiedereinsetzungsgrund dargetan, da er auch zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags an seiner Darstellung festhalte, die Berufungsschrift sei vor Fristablauf in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden. Der Antrag sei auch unbegründet, da durchgreifende Gründe für ein schuldloses Versäumen der Berufungsfrist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht seien.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde, die beim BGh Erfolg hatte:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Mit der gegebenen Begründung hätte das Berufungsgericht nicht von einer Versäumung der Berufungsfrist (§ 517 ZPO) ausgehen dürfen. Es hat fehlerhaft den Nachweis des rechtzeitigen Eingangs der Berufung als nicht geführt angesehen, ohne zuvor die gebotenen weiteren Maßnahmen zur Aufklärung ergriffen zu haben.

a) Im Rahmen der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeit der Berufung (§ 522 Abs. 1 ZPO) hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass der Beklagte als Berufungsführer den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift zu beweisen hat (vgl. Senatsurteil vom 7. Dezember 1994 – VIII ZR 153/93, NJW 1995, 665 unter II 3; Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2013 – VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn. 10; jeweils mwN). Dabei erbringt gemäß § 418 Abs. 1 ZPO der gerichtliche Eingangsstempel den vollen Beweis für einen erst an diesem Tag erfolgten – und damit vorliegend verspäteten – Eingang der Berufungsschrift.

Dieser Beweis kann jedoch gemäß § 418 Abs. 2 ZPO durch Gegenbeweis entkräftet werden. Dabei genügt die bloße Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 Abs. 1 ZPO nicht. Obgleich wegen der Beweisnot des Beklagten hinsichtlich gerichtsinterner Vorgänge die Anforderungen an diesen Gegenbeweis nicht überspannt werden dürfen, erfordert er die volle Überzeugung des Gerichts (§ 286 Abs. 1 ZPO) vom rechtzeitigen Eingang (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2000 – IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872 unter II 1 a). Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens sowie in das Verfahren bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 2000 – IX ZR 251/99, aaO unter II 1 b; vom 2. November 2006 – III ZR 10/06, NJW 2007, 603 Rn. 5; vom 31. Mai 2017 – VIII ZR 224/16, NJW 2017, 2285 Rn. 20; Beschluss vom 27. November 1996 – XII ZB 177/96, NJW 1997, 1312 unter II 1).

b) Dieser Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung ist das Berufungsgericht zwar insofern nachgekommen, als es zwei Stellungnahmen der mit der Bearbeitung des Posteingangs bei Gericht betrauten Bediensteten eingeholt hat, welche – was vorliegend angesichts des konkreten Beklagtenvortrags geboten war – detailliert (vgl. hierzu Senatsurteil vom 31. Mai 2017 – VIII ZR 224/16, aaO Rn. 21 ff.) die Bearbeitung geschildert haben.

c) Es hat jedoch verfahrensfehlerhaft unterlassen, den Sachverhalt durch Vernehmung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten als Zeugen weiter aufzuklären.

Das Berufungsgericht hat zwar auch die eidesstattlich versicherte Darstellung des Beklagtenvertreters, wonach er die Berufungsschrift bereits am Abend des 18. Februar 2019 in den Nachtbriefkasten eingeworfen habe, berücksichtigt und an deren Richtigkeit nicht gezweifelt. Es hätte jedoch die Wahrung der Berufungsfrist nicht als „offen“ ansehen und sich damit zum Nachteil des (beweisbelasteten) Beklagten auswirkend behandeln dürfen, ohne den (angebotenen) Zeugenbeweis zu erheben.

aa) Kommt das Berufungsgericht – wie vorliegend – zu dem Ergebnis, dass die vorgelegte eidesstattliche Versicherung als bloßes Mittel der Glaubhaftmachung einen vollen Beweis für die fristgerechte Einreichung der Berufungsbegründung nicht erbringt, muss es die Parteien darauf hinweisen und ihnen Gelegenheit geben, Zeugenbeweis anzutreten oder auf andere Beweismittel zurückzugreifen. Sodann hat es – auf Antrag der Partei oder von Amts wegen – über die behaupteten Umstände Beweis zu erheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2007 – VIII ZB 75/06, NJW 2007, 1457 Rn. 11; vom 14. Juni 2005 – VI ZB 10/05, juris Rn. 9; vgl. zur entsprechenden Pflicht, wenn das Gericht einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken will: BGH, Beschlüsse vom 30. März 2017 – III ZB 43/16, juris Rn. 13; vom 24. Februar 2010 – XII ZB 129/09, FamRZ 2010, 726 Rn. 10 f.).

bb) Der Beklagte hat vorliegend zum Beweis seiner detaillierten Behauptung, die Berufungsschrift sei durch seinen Prozessbevollmächtigten bereits am 18. Februar 2019 und somit fristwahrend in den Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfen worden, neben der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung – in welcher ohnehin regelmäßig der Antrag zu sehen ist, denjenigen, der die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, als Zeugen zu vernehmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Januar 2011 – VIII ZB 45/10, WuM 2011, 176 Rn. 9; vom 22. November 2017 – VII ZB 67/15, FamRZ 2018, 281 Rn. 18) – ausdrücklich die Vernehmung seines Prozessbevollmächtigten als Zeugen beantragt. Diesen Beweis musste das Berufungsgericht erheben, da die Annahme, der Nachweis des rechtzeitigen Eingangs der Berufung sei nicht geführt, ohne vorherige Vernehmung des Zeugen auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinausläuft (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2017 – VII ZB 67/15, aaO, mwN).“

Und für das weitere Verfahren gibt der BGH dem LG Folgendes mit auf den Weg:

„Falls das Berufungsgericht nach Durchführung der Beweisaufnahme nach wie vor nicht die volle richterliche Überzeugung zu gewinnen vermag, dass die Berufung entgegen dem Eingangsstempel rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen ist, wird es den (hilfsweise gestellten) Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu prüfen haben.

1. Dieser ist – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – zulässig. Insbesondere hat der Beklagte einen Wiedereinsetzungsgrund dargetan (§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO).

Es ist dabei, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend verweist, unschädlich, dass der Beklagte in erster Linie die Einhaltung der Berufungsfrist behauptet und zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs folgerichtig an seiner Darstellung festhält, die Berufungsschrift rechtzeitig in den Nachtbriefkasten eingeworfen und damit die Frist gewahrt zu haben. Denn es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine Partei die Rechtzeitigkeit ihrer Prozesshandlung behaupten und zugleich für den Fall, dass sie zur Beweisführung nicht in der Lage ist, Wiedereinsetzung beantragen kann (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2006 – III ZR 10/06, aaO Rn. 6; Beschlüsse vom 27. November 1996 – XII ZB 177/96, aaO unter II 2 a; vom 16. März 2000 – VII ZB 36/99, NJW 2000, 2280 unter II 2).

2. Das Berufungsgericht wird daher – wenn es den Gegenbeweis nach § 418 Abs. 2 ZPO nicht als geführt ansieht – im Rahmen der Begründetheit des Wiedereinsetzungsantrags zu beurteilen haben, ob nicht wenigstens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufung noch am 18. Februar 2019 in den Nachtbriefkasten eingeworfen hat und damit ein fehlendes Verschulden an der Fristversäumnis glaubhaft gemacht worden ist (vgl. Senatsurteil vom 31. Mai 2017 – VIII ZR 224/16, aaO Rn. 32 mwN). Hierbei wird es die insoweit eingeschränkten Möglichkeiten der Partei zur Glaubhaftmachung in Fällen wie dem vorliegenden, bei welchem der Einwurf in den Nachtbriefkasten den letzten, noch ihrer Wahrnehmung zugänglichen Übermittlungsakt darstellt, zu beachten haben (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2004 – VII ZR 33/04, NJW-RR 2005, 75 unter II 4; Senatsbeschluss vom 11. Juli 2017 – VIII ZB 20/17, juris Rn. 11 mwN [zum Postversand]).“

Kann ja auch im Straf- und Bußgeldverfahren von Bedeutung werden/sein, wenn ein Verschulden dem Angeklagten/Betroffenen ggf. zugerechnet wird.

Verdachtsberichterstattung, oder: Wann ist sie wie ggf. zulässig?

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Im „Kessel Buntes“ dann heute mal etwas ganz Anderes. Im BGH, Urt. v. 17.12.2019 – VI ZR 249/18 – hat der BGH im Anschluss an im Anschluss an das BGH, Urt. v. 18.06.2019 – VI ZR 80/18, – zur rechtlichen Bewertung einer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren begleitenden identifizierenden Verdachtsberichterstattung Stellung genommen, wenn der Betroffene im Verlauf des Unterlassungsklageverfahrens wegen der Straftat rechtskräftig verurteilt wird.

Folgender Sachverhalt:

„Der Kläger nimmt die Beklagten auf Unterlassung einer identifizierenden Wort- und Bildberichterstattung, die Beklagte zu 1 zusätzlich auf Erstattung der Kosten eines Abschlussschreibens in Anspruch.

Der Kläger ist Rechtsanwalt in Frankfurt a.M. und war seit dem Jahr 2011 Mitglied der Gemeindevertretung in R. im Odenwald. Für die Kommunalwahlen in Hessen im März 2016 kandidierte er für die CDU R. auf Listenplatz 1. Am 12. Januar 2016 durchsuchte die Kriminalpolizei wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen die Wohn- und Kanzleiräume des Klägers. Am 13. Januar 2016 legte der Kläger sein Mandat in der Gemeindevertretung mit sofortiger Wirkung nieder und kündigte an, ein etwaiges neues Wahlmandat nicht anzunehmen. Die Beklagte zu 1 veröffentlichte am 15. Januar 2016 auf ihrem Online-Portal „www.bild.de“ einen Artikel des Beklagten zu 2 unter der Überschrift „C[…(Vorname)] S[…(Nachname des Klägers)] soll 14-Jährige für SM-Sex bezahlt haben. CDU-Politiker unter Missbrauchs-Verdacht“. In diesem Artikel wird einleitend ein über die gesamte Breite und etwa ein Drittel der Höhe der Seite gehendes Porträtfoto des Klägers gezeigt; die Bildzuschrift lautet: „Strafverteidiger, Wirtschafts-Jurist und CDU-Politiker: C[…] S[..] (30) drohen bis zu 5 Jahre Knast“. In dem Text heißt es unter weiter voller Namensnennung:

„Er gilt als honoriger Frankfurter Jurist und aufstrebender hessischer Kommunal-Politiker, steht für die CDU R[…] (voller Ortsname) (Odenwald) auf Listenplatz 1 für die Kommunalwahl. Im Beruf ist er Strafrechtler, führt große Wirtschafts-Prozesse. Doch jetzt droht C[…] S[…] (30) selbst die Anklagebank – weil er eine 14-Jährige missbraucht haben soll! BILD erfuhr, welch unfassbare Taten dem smarten Juristen vorgeworfen werden: C[…] S[…] soll auf einer Dating-Plattform im Internet eine 14-Jährige zu Sex-Treffen aufgefordert haben. Mehrmals soll der Kommunalpolitiker die Jugendliche missbraucht haben, für widerwärtige SM-Praktiken Geld gezahlt haben. Als die Schülerin nicht mehr mitmachen wollte, soll S[…] sie mit Nackt- und SM-Fotos erpresst haben. Das Mädchen offenbarte sich, der Vater erstattete Strafanzeige. Auf Beschluss der Frankfurter Staatsanwaltschaft durchsuchten K 62-Fahnder („Organisierte Kriminalität“) Privaträume des Rechtsanwaltes und seine Kanzlei in der K[…(voller Straßenname)]straße. […] Was sagt C[…] S[…] zu den Vorwürfen? Trotz Anrufs war er für BILD nicht erreichbar.“

Gegen Ende des Artikels ist ein weiteres Foto in kleinerem Format eingerückt, das die Straßenansicht eines Geschäfts- und Bürogebäudes zeigt. Die Bildzuschrift hierzu lautet: „Dienstag durchsuchten Ermittler für Organisierte Kriminalität die Kanzlei in der K[…]straße“.

Der Kläger erwirkte im Februar 2016 im Wege einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte zu 1 die Untersagung der Berichterstattung. Der Aufforderung zur Abgabe einer Abschlusserklärung kam die Beklagte zu 1 nur teilweise nach.

Das Landgericht (veröffentlicht in AfP 2017, 453; ZUM 2018, 554; juris) hat der Unterlassungsklage stattgegeben und den Beklagten, soweit für das Revisionsverfahren noch relevant, untersagt, den Kläger im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Missbrauchs und der Erpressung einer Minderjährigen wie geschehen identifizierbar bzw. erkennbar zu machen / machen zu lassen. Die Beklagte zu 1 hat es zusätzlich verpflichtet, die Kosten des Abschlussschreibens zu erstatten. Während des Berufungsverfahrens erging gegen den Kläger wegen zweifachen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen ein Strafbefehl über 90 Tages- sätze und wurde rechtskräftig. Die Berufung der Beklagten blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Ziel der Klagabweisung weiter. In der Revisionsverhandlung hat der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache hinsichtlich der Wortberichterstattung einseitig für erledigt erklärt.

In seienen rechtlichen Ausführungen meint der BGH u.a.:

„1. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch mehr aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, die Verbreitung der Wortberichterstattung zu unterlassen. Es fehlt seit Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils an der entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderlichen Wiederholungsgefahr, weil die angegriffenen Äußerungen nunmehr rechtlich zulässig sind……

bb) Wird wahrheitsgemäß über die Begehung einer Straftat durch einen identifizierbaren Täter berichtet, ist zu berücksichtigen, dass solche Taten zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter, die Sympathie mit den Opfern, die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 Rn. 111). Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise und Schwere von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei schweren Gewaltverbrechen ist in der Regel ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des Täters und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen (vgl. Senatsurteile vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, NJW 2013, 1681 Rn. 18 mwN; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197 Rn. 38; vom 9. Februar 2010 – VI ZR 243/08, NJW 2010, 2432 Rn. 17; vom 15. Dezember 2009 – VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 Rn. 14; BVerfG NJW 2009, 3357 Rn. 18; jeweils mwN). Bei der Abwägung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung mit der damit zwangsläufig verbundenen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Täters verdient für die aktuelle Berichterstattung über Straftaten das Informationsinteresse im Allgemeinen den Vorrang. Denn wer den Rechtsfrieden bricht, durch diese Tat und ihre Folgen Mitmenschen angreift oder verletzt, muss sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern er muss auch dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird (Senatsurteile vom 18. Dezember 2018 – VI ZR 439/17, NJW 2018, 1881 Rn. 14; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197 Rn. 39; vom 9. Februar 2010 – VI ZR 243/08, NJW 2010, 2432 Rn. 18; BVerfG, NJW 2009, 3357 Rn. 19; vgl. auch EGMR, NJW 2012, 1058, 1060 Rn. 83). Dies schließt eine Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifizierung des verurteilten Täters dann ein, wenn die damit verbundene Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens oder zu seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit steht; letztere kann sich unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität auch aus den Besonderheiten in der Person oder Stellung des Täters, der Art der Tat oder des Tathergangs ergeben (vgl. Senatsurteile vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, NJW 2013, 229 Rn. 19; vom 15. November 2005 – VI ZR 286/04, NJW 2006, 599 Rn. 16 mwN; BVerfG, NJW 2009, 3357 Rn. 20). Mit zeitlicher Distanz zur Straftat gewinnt aber das Interesse des Täters, von einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben, zunehmende Bedeutung. Das Persönlichkeitsrecht bietet Schutz vor einer zeitlich uneingeschränkten Befassung der Medien mit der Person des Straftäters. Allerdings führt selbst die Verbüßung einer Strafe nicht dazu, dass ein Täter den uneingeschränkten Anspruch erwirbt, mit der Tat „allein gelassen zu werden“. Maßgeblich ist vielmehr stets, in welchem Ausmaß das Persönlichkeitsrecht einschließlich des Resozialisierungsinteresses des Straftäters von der Berichterstattung unter den konkreten Umständen beeinträchtigt wird (Senatsurteile vom 18. Juni 2019 – VI ZR 80/18, VersR 2019, 1225 Rn. 22; vom 18. Dezember 2018 – VI ZR 439/17, NJW 2018, 1881 Rn. 16; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197 Rn. 40; BVerfG NJW 2009, 3357 Rn. 21). Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet und welcher Informationswert ihr damit beizumessen ist, ist auch zu berücksichtigen, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterscheidet zwischen Politikern („politicians/personnes politiques“), sonstigen im öffentlichen Leben oder im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehenden Personen („public figures/personnes publiques“) und Privatpersonen („ordinary persons/personnes ordinaires“), wobei einer Berichterstattung über letztere engere Grenzen als in Bezug auf den Kreis sonstiger Personen des öffentlichen Lebens gezogen sind und der Schutz der Politiker am schwächsten ist (vgl. Senatsurteil vom 9. April 2019 – VI ZR 533/16, NJW-RR 2019, 1134 Rn. 14 [Bild]; vgl. EGMR, GRUR 2012, 745 Tz. 110 [Bild]; EGMR, NJW 2015, 1501 Rn. 54 [Wort]).

c) Ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG setzt neben der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts materiellrechtlich eine Wiederholungsgefahr voraus. Wenn sie entfällt, erlischt auch der zukunftsgerichtete Unterlassungsanspruch. Eine rechtswidrige Beeinträchtigung in der Vergangenheit begründet in der Regel die tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung fällt indes weg, wenn durch die Veränderung tatsächlicher Umstände nunmehr die Berichterstattung als rechtlich zulässig zu beurteilen ist. Wer in der Vergangenheit in seinen Rechten verletzt wurde, hat keinen Anspruch darauf, dass ein Verhalten unterlassen wird, das sich inzwischen als nicht mehr rechtswidrig darstellt (vgl. Senatsurteile vom 18. Juni 2019 – VI ZR 80/18, VersR 2019, 1225 Rn. 23 [Wort], Rn. 35 [Bild]; vom 19. März 2013 – VI ZR 93/12, NJW 2013, 1681 Rn. 31 [Wort]; vom 19. Oktober 2004 – VI ZR 292/03, NJW 2005, 594, 595, juris Rn. 17 f. [Bild]).

d) Gemessen an diesen Grundsätzen besteht kein Unterlassungsanspruch mehr gegen die Verbreitung der Wortberichterstattung, weil diese inzwischen rechtlich zulässig ist und deshalb eine Wiederholungsgefahr nicht mehr besteht. Die notwendige Abwägung kann der Senat selbst vornehmen, weil keine weiteren Tatsachenfeststellungen erforderlich sind…..“

Rest der umfangreichen Begründung bitte selbst lesen…..

Ich habe da mal eine Frage: Zusätzliche VG auch dann, wenn ins StB-Verfahren übergegangen wird?

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Und hier dann noch das Rätsel. In dieser Rubrik wird es allerdings allmählich knapp. Daher freue ich mich über Fragen – vielleicht auch unter dem Motto: Was ich immer schon mal fragen/wissen wollte.

In der heutigen Frage geht es um eine Problematik aus dem Strafbefehlsverfahren in Kombination mit der Nr. 4141 VV RVG, und zwar:

„Sehr geehrter Herr Kollege Burhoff,

fällt eine Zusatzgebühr Nr. 4141 VV RVG auch dann an wenn der Angeklagte in dem anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht erscheint, auf Anregung der Verteidigung im Termin nach § 408 a StPO in das Strafbefehlsverfahren übergegangen wird, was im Ergebnis einen neuen HV-Termin entbehrlich macht ?

Für eine kurze Antwort wäre ich Ihnen dankbar und verbleibe mit freundlichen kollegialen Grüßen“

Ich bin mir nicht sicher, aber kann sein, dass wir die Frage schon mal so oder ähnlich hatten. Aber egal. Fragen sind knapp 🙂 – siehe oben.

Sind Pauschgebühren außerordentliche Einkünfte?, oder: Pauschgebühr wird normal versteuert

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Als zweite Entscheidung des Tages dann ein Beschluss des BFH mit gebührenrechtlichem Einschlag. Nein, es geht nicht um die Frage, welche Gebühren ggf. im finanzgerichtlichen Verfahren entstehen, sondern darum, ob es sich bei der Pauschgebühr nach § 51 RVG um sog. außerordentliche Einkünfte i.S. von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG handelt.

Davon war ein (Pflicht)Verteidiger in Sachsen ausgegangen und hatte damit beim Sächsischen G keinen Erfolg. Der BFH hat dann im BFH, Beschl. v. 20.01.2020 – VIII B 121/19 – auch seine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen:

„Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Die von dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor oder sind nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt worden.

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der vorgelegten Rechtsfragen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen.

a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 28.04.2016 – IX B 18/16, BFH/NV 2016, 1173). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist. Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen (BFH-Beschluss vom 08.07.2014 – VII B 129/13, BFH/NV 2014, 1776).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, „ob eine nur auf gerichtlichen Antrag zu gewährende Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1, Abs. 2 RVG, über die stets ein Gericht oder zumindest das Oberlandesgericht zu entscheiden hat und die nur zu gewähren ist, wenn das OLG die Unzumutbarkeit der regulären RVG-Vergütung feststellt, … zusammengeballt zufließt und nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zu behandeln ist, wenn das der Vergütung zugrundeliegende und betreute Verfahren mehrere Veranlagungszeiträume und mehr als 12 Monate umfasste“, nicht klärungsbedürftig.

aa) Für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß § 18 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist geklärt, dass die Anwendung der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG für eine mehrjährige Tätigkeit auf besondere Tätigkeiten beschränkt ist, die von der üblichen Tätigkeit eines Freiberuflers abgrenzbar sein müssen (BFH-Urteil vom 30.01.2013 – III R 84/11, BFHE 240, 156, BStBl II 2018, 696, Rz 15; zur Abgrenzung zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit s. BFH-Urteil vom 07.05.2015 – VI R 44/13, BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, Rz 14 f.). Die Vergütung wird für eine mehrjährige Tätigkeit erzielt, wenn der Steuerpflichtige sich während mehrerer Jahre ausschließlich einer bestimmten Sache gewidmet und die Vergütung dafür in einem einzigen Veranlagungszeitraum erhalten hat oder wenn eine sich über mehrere Jahre erstreckende Sondertätigkeit vorliegt, die von der übrigen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ausreichend abgrenzbar ist und nicht zum regelmäßigen Gewinnbetrieb gehört, sowie in einem einzigen Veranlagungszeitraum entlohnt wird (BFH-Urteile vom 06.10.1993 – I R 98/92, BFH/NV 1994, 775; vom 14.12.2006 – IV R 57/05, BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180; vom 16.09.2014 – VIII R 1/12, juris; in BFHE 240, 156, BStBl II 2018, 696). Unter die Tarifermäßigung fallen auch Vergütungen für die mehrjährige regelmäßige Tätigkeit, die aufgrund einer vorangegangenen rechtlichen Auseinandersetzung atypisch zusammengeballt zufließen, weil für den Steuerpflichtigen in diesem Fall regelmäßig nicht disponibel ist, wann der – je nach Gewinnermittlungsart entweder durch das Zufluss- oder das Realisationsprinzip vorgegebene – Zeitpunkt der letztendlichen einkommensteuerlichen Erfassung dieser Einnahme eintritt (BFH-Urteil in BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180).

bb) Der Kläger trägt keine Gesichtspunkte vor, die für eine Ausweitung der Fallgruppen auf den vorliegenden Sachverhalt sprechen und zu einer Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung Anlass geben könnten. Der von ihm hervorgehobene Sinn und Zweck der Regelung in § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, die Progressionswirkung für zusammengeballt erzielte Einkünfte zu mildern, ist in der Rechtsprechung wiederholt bei der Entwicklung der oben genannten Fallgruppen und Abgrenzung zu nicht begünstigten Einkünften herangezogen worden und spricht für sich betrachtet nicht für eine Ausweitung der Rechtsprechung. Zwar fallen nach dem vom Kläger zitierten BFH-Urteil in BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180 Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit, die aufgrund einer vorangegangenen rechtlichen Auseinandersetzung atypisch zusammengeballt zufließen, unter die Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, weil für den Steuerpflichtigen in diesem Fall regelmäßig nicht disponibel ist, wann der Zeitpunkt der letztendlichen einkommensteuerlichen Erfassung dieser Einnahme eintritt. Bei dieser Entscheidung handelt es sich im Kontext der gefestigten Rechtsprechung des BFH zur Zusammenballung von berufsüblichen Einkünften eines Freiberuflers, die grundsätzlich nicht unter die Steuerbegünstigung des § 34 EStG fallen, jedoch um eine singuläre Entscheidung, die darauf beruht, dass dem Steuerpflichtigen erst nach Durchführung eines Rechtsstreits zusammengeballt die Einkünfte zuflossen, die ihm bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtlich zugestanden hätten. Davon zu unterscheiden ist jedoch der vorliegende Streitfall. Die nach § 51 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) gezahlten höheren Pauschgebühren sind mit den Honoraren von Freiberuflern gleichzusetzen, die erst nach der Auftragsbeendigung für eine mehrjährige Tätigkeit zusammengeballt gezahlt werden und nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH nicht unter die Tarifbegünstigung des § 34 EStG fallen. Hierfür spricht auch, dass dem Rechtsanwalt nach § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG auf Antrag ein angemessener Vorschuss auf die Pauschgebühr bewilligt werden kann, was bei einem gerichtlichen Rechtsstreit über die Höhe eines Honorars – wie in dem dem BFH-Urteil in BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180 zugrundeliegenden Fall – nicht möglich ist. Danach ist die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage offensichtlich zu verneinen und somit nicht klärungsbedürftig.“

Fazit: Pauschgebühr wird normal versteuert.

Beschränkte Bestellung als Pflichtverteidiger/NK-Beistand, oder: Beschränkte Erstreckung?

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Heute dann – es ist Freitag – wieder gebührenrechtliche Entscheidungen; so lange es geht, soll es normal weiter laufen. Wenn ich keine Entscheidungen mehr habe, muss ich rationieren, im schlimmsten Fall, wovon ich nicht ausgehe, gibt es dann eben ein „coronafrei“.

Und ich eröffne dann mit einer schon etwas älteren Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Erstreckung (§ 48 Abs. 6 RVG). Das OLG meint im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.05.2018 – III-1 Ws 274/17: Die in  § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG fingierte vergütungsrechtliche Rückwirkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Strafverfahren greift dann nicht, wenn in dem gerichtlichen Beiordnungsbeschluss ausdrücklich eine abweichende Bestimmung der zeitlichen Geltung der Beiordnung getroffen worden ist. Begründung:

„Gegenstand des beim Landgericht Düsseldorf verhandelten sehr umfangreichen Strafverfahrens gegen den Hauptangeklagten  und weitere Angeklagte war – neben zahlreichen weiteren Vorwürfen –  der Anklagevorwurf der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten L. Dieser war an dem Verfahren als Nebenkläger beteiligt und bediente sich spätestens seit Beginn der Hauptverhandlung am 1. Juli 2013 des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt T, als Beistand. Nach etwa 170 Hauptverhandlungstagen beantragte Rechtsanwalt T mit Schriftsatz vom 24. September 2015 seine Bestellung zum Beistand des Nebenklägers gemäß § 397a Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 StPO unter Hinweis darauf, dass aufgrund der Dauer des Verfahrens „eine weitere Nebenklagevertretung ab sofort nur noch mit einer Absicherung durch eine gerichtliche Beiordnung möglich“ sei. Nachdem der Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung mündlich Bedenken gegen die begehrte Beiordnung geäußert hatte, begründete der Nebenklägervertreter den Beiordnungsantrag mit Schriftsatz vom 27. September 2015 weiter und stellte ausdrücklich klar, dass eine Beiordnung „rückwirkend zum 24. September 2015 (Zeitpunkt des Eingangs des Antrags bei Gericht)“ begehrt werde. Mit Vorsitzendenbeschluss vom 20. Oktober 2015 bestellte das Landgericht Rechtsanwalt T antragsgemäß mit Wirkung vom 24. September 2015 zum Beistand des Nebenklägers L.

Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 29. Dezember 2016 – die Hauptverhandlung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen – beantragte der Rechtsanwalt T die Festsetzung eines Vorschusses auf die ihm als Beistand des Nebenklägers zustehenden Gebühren in Höhe der bis zu diesem Zeitpunkt angefallenen Gebühren, die er auf 71.480,71 € bezifferte. In dieser Summe enthalten waren in erheblichem Umfang auch vor dem 24. September 2015 angefallene Gebühren, insbesondere Terminsgebühren nach Nr. 4114 ff. VV-RVG für seine Teilnahme an einer Vielzahl von Hauptverhandlungsterminen vom Beginn der Hauptverhandlung am 1. Juli 2013 bis zum 22. September 2015.

Mit Beschluss vom 9. März 2017 hat der Rechtspfleger des Landgerichts die Höhe der dem Beschwerdeführer zustehenden Gebühren auf 36.406,65 € festgesetzt. Von den in dem Kostenfestsetzungsantrag bezeichneten Gebühren abgesetzt waren dabei die vor dem 24. September 2015 angefallenen Gebühren sowie die Terminsgebühr für einen Termin am 23. November 2016, der nicht stattgefunden hatte. Der dagegen eingelegten Erinnerung des Nebenklägervertreters hat der Rechtspfleger nicht abgeholfen. Die Strafkammer hat die Erinnerung durch Einzelrichterbeschluss vom 23. Oktober 2017 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beistand des Nebenklägers mit seiner Beschwerde, mit der er ausschließlich die unterbliebene Festsetzung der vor dem 24. September 2015 angefallenen Gebühren beanstandet. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

1. Der Einzelrichter des Senats ist zur Entscheidung berufen, weil der angegriffene landgerichtliche Beschluss in entsprechender Besetzung ergangen ist (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).

2. Die Beschwerde gegen den Beschluss der Strafkammer ist nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 3 und 4 RVG statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere ist sie innerhalb der Zweiwochenfrist nach § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.

3. In der Sache ist die Beschwerde jedoch unbegründet.

Zu Recht haben der Rechtspfleger und die Strafkammer bei der Festsetzung der Vergütung des Beistands des Nebenklägers nur nach dem 24. September 2015 entstandene Gebühren berücksichtigt.  Der Festsetzung einer Vergütung für vor diesem Zeitpunkt entfaltete Tätigkeiten steht entgegen, dass in dem landgerichtlichen Beiordnungsbeschluss vom 20. Oktober 2015 die Wirkung der Beiordnung ausdrücklich auf die Zeit ab dem 24. September 2015 beschränkt ist.

Zwar fingiert die Ausnahmevorschrift des § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG, mit der unter anderem von Streit und Unklarheiten vermieden werden sollen (vgl. OLG Hamburg, NStZ-RR 2012, 390), im Grundsatz die vergütungsrechtliche Rückwirkung der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Strafverfahren. Diese Regelung greift indes dann nicht, wenn – wie hier – in dem gerichtlichen Beiordnungsxbeschluss ausdrücklich eine abweichende Bestimmung der zeitlichen Geltung der Beiordnung getroffen worden ist. Denn nach § 45 Abs. 3, § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Vergütungsanspruch nach dem Beschluss, durch den der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist. Für den Umfang des Vergütungsanspruchs des beigeordneten Rechtsanwalts ist mithin der in dem Beiordnungsbeschluss bestimmte Umfang seiner Beiordnung maßgeblich (OLG Hamburg, JurBüro 2018, 17; Ahlmann in Riedel/Süßbauer, RVG, 10. Auflage, § 45 Rn. 60; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 23. Auflage, § 48 Rn. 3; Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 6. Auflage, § 48 Rn. 11; Hartung in Hartung/Schons, RVG, 3. Auflage, § 48 Rn. 6). Die Staatskasse schuldet dem beigeordneten Rechtsanwalt nur insoweit eine Entschädigung, als er im Rahmen der Beiordnung tätig geworden ist; außerhalb der Beiordnung vorgenommene Tätigkeiten begründen keinen Anspruch gegen den Staat (Ahlmann a.a.O. § 48 Rn. 6). Der Beiordnungsbeschluss ist praktisch die Anspruchsgrundlage des gegen die Staatskassse gerichteten Vergütungsanspruchs und für das Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG bindend (Hartung a.a.O.).“

Ob das in der vom OLG verkündeten Allgemeinheit so richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Hier wird man es als (noch) richtig ansehen können, weil der Nebenklägerbeistand selbst letztlich beschränkt beantragt hat. Das führt zunächst mal zu der Warnung, das lieber zu lassen. In anderen Fällen ist die Entscheidung m.E. nicht anwendbar. Ich halte sie im Übrigen auch für „gefährlich“, weil es im Hinblick auf die Gebühren ggf. vermehrt zur beschränkten Bestellungen kommen kann, um nämlich den § 48 Abs. 6 RVG auszuhebeln. Das würde aber gerade Sinn und Zweck der Regelung widersprechen.