Zum Auftakt der KW 11/2020 zwei Entscheidungen des BVerfG.
Zunächst hier das BVerfG, Urt. v. 04.02.2020 – 2 BvR 900/19, zu dem das BVerfG ja auch bereits eine einstweilige Anordnung erlassen hatte (vgl. hier den BVerfG, Beschl. v. 19.08.2010 – 2 BvR 900/19). In dem BtM-Verfahren geht es um eine die Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Der Angeklagte hat eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren geltend gemacht. Im Berufungsverfahren sei gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO verstoßen worden.
Grundlage ist folgendes Verfahrensgeschehen:
Das Amtsgericht Hamburg-Barmbek verurteilte den Beschwerdeführer am 15. November 2017 wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführung eines Klappmessers zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Dagegen legten der Beschwerdeführer und die Staatsanwaltschaft – diese beschränkt auf das Strafmaß – Berufung ein.
2. Vor Durchführung der Berufungshauptverhandlung am 4. und 12. Dezember 2018 fertigte der Vorsitzende der zuständigen kleinen Strafkammer des Landgerichts Hamburg am 5. Juli 2018 einen Aktenvermerk mit folgendem Inhalt:
„1. Die Ausführungen des Amtsgerichts zum Vorwurf eines Handeltreibens des Angeklagten auch mit der in der Wäschetrommel im Schlafzimmer sichergestellten größeren Menge von 1263,8 g Marihuana und der Verwendungsabsicht des in der Küche aufgefundenen Fahrtenmessers mit einer Klingenlänge von 8 cm sind nach hiesiger Auffassung nicht unplausibel. In der Hauptverhandlung zu klären wäre insbesondere, wo das Messer von der Polizei aufgefunden wurde.
Unabhängig von der Frage der Verwendungsabsicht bezüglich des Messers wäre der Strafrahmen durch § 29a BtMG nach unten auf eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe begrenzt. Dass nicht auch hinsichtlich § 29a BtMG ein minder schwerer Fall in Betracht kommt, ergibt sich aus der einschlägigen Vorverurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten vom 27.6.2016 und der hohen Rückfallgeschwindigkeit bis zur verfahrensgegenständlichen Tat am 24.5.2017.
2. Telefonat mit Staatsanwalt R. am 24.05.2018. Staatsanwalt R. teilt mit, dass nach Rücksprache mit Staatsanwältin K. eine Einstellung des unter dem Aktenzeichen 6150 Js 45/18 gegen den Angeklagten wegen des Verdachts des
– Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen
– gewerbsmäßigem unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
geführten Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO [in] Betracht käme, wenn man sich im vorliegenden Verfahren auf eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten (beantragt waren ursprünglich 2 Jahre und 8 Monate Freiheitsstrafe) verständigen würde. In jedem Falle besteht die Staatsanwaltschaft auf der Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung.
3. Telefonat mit Rechtsanwalt B. am heutigen Tag. Mitteilung von 2.). Er wird das Angebot der Staatsanwaltschaft mit seinem Mandanten erörtern und sich sodann schriftlich äußern.“
Zu Beginn des ersten Tages der Berufungshauptverhandlung legte der Vorsitzende nach Feststellung der Präsenz und der Personalien des Beschwerdeführers die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens dar und stellte fest, dass die Berufungen form- und fristgerecht eingelegt worden waren. Sodann verlas er den Vermerk vom 5. Juli 2018, wobei die Verlesung unter Angabe der Fundstelle des Vermerks in den Akten im Protokoll festgehalten wurde. Anschließend wurden das Urteil erster Instanz hinsichtlich des Tenors und der Feststellungen zur Sache sowie die Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft verlesen und der Vorsitzende teilte mit, dass keine Verständigung im Sinne von § 257c StPO stattgefunden habe. Nach Belehrung ließ sich der Beschwerdeführer zur Sache ein. Er räumte ein, zur Deckung seines Eigenbedarfs geringe Mengen Marihuana in seiner Küche und seiner Jacke aufbewahrt und davon zwei kleinere Teilmengen veräußert zu haben. Von den über 1.200 Gramm Marihuana in seinem Schlafzimmer habe er jedoch nichts gewusst; es müsse vom Schulfreund seines Bruders stammen, dem er vorübergehend seine Wohnung überlassen habe. Das aufgefundene Einhandmesser habe er nur zum Schneiden von Fleisch benötigt.
Mit Urteil vom 12. Dezember 2018 änderte das Landgericht Hamburg das Urteil des Amtsgerichts auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ab und verurteilte den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen eines Einhandmessers zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Die Berufung des Beschwerdeführers verwarf es. Dessen Angaben, das im Schlafzimmer sichergestellte Marihuana gehöre nicht ihm und das in der Wohnküche aufgefundene Messer sei nur zum Schneiden von Fleisch gedacht gewesen, sah es als lebensferne Schutzbehauptungen an, die durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt worden seien.“
Der Angeklagte legte gegen das Berufungsurteil Revision ein, die er u.a. mit einer Verletzung von § 243 Abs. 4 StPO begründete. Das OLG Hamburg hat seine Revision verworfen. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde, die beim OLG Erfolg hatte.
Dem BVerfG hat die Verlesung des Vermerks vom 05-07.2018 in der Hauptverhandlung nicht zur Erfüllung der Mitteilungspflicht genügt. Seine doch recht umfangreiche Begründung – bitte selbst lesen – wird man im wesentlichen wie folgt zusammenfassen können:
- Zur Erfüllung der Mitteilungpflicht des § 243 Abs. 4 StPO ist erforderlich, dass auch außerhalb der Hauptverhandlung geführte Vorgespräche zum Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung gemacht werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Verständigung zustande gekommen ist oder nicht.
- Auch, wenn die Verständigung nicht zustande gekommen ist, gehört zum mitteilungspflichtigen Inhalt i.S. von § 243 Abs. 4 StPO die Mitteilung, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern bei den Verständigungsgesprächen vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist.