Nach längerer Zeit stelle ich heute im „Kessel Buntes“ mit dem OLG Frankfurt, Urt. v. 08.04.2019 – 23 U 112/17 – mal wieder eine Entscheidung zum „gestellten Unfall“ vor (Anmerkung: „getürkt“ draf man ja nicht mehr schreiben, das gibt Ärger“). Das OLG hat in seiner Entscheidung dazu bzw. zu den Indizien, die für einen „gestellten Unfall“ sprechen – neben den Ausführungen zu einer verfahrensrechtlichen Fragestellung – wie folgt Stellung genommen:
„Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich vorliegend um einen gestellten Unfall. Dafür sprechen vorliegend folgende Indizien:
Das Geschehen hat sich Mitte November 2014 um … Uhr an einem Ort ereignet, an dem die Anwesenheit von zufälligen und unabhängigen Zeugen und damit die Gefahr der Entdeckung eines verabredeten Unfalls äußerst unwahrscheinlich war. Der Beklagte zu 2) hat das Schadensereignis auf dem Parkplatz vor dem sogenannten „X“ auf dem … in Stadt1 verursacht. Durchgangsverkehr auf dem Weg1 ist ausgeschlossen, sämtliche Einrichtungen auf dem … sind zu dieser Zeit frühmorgens geschlossen. Auch die zufällige Anwesenheit von Passanten war sehr unwahrscheinlich. Es handelte sich insgesamt gesehen unter Berücksichtigung der Jahres- und der Tageszeit um einen abgelegenen Ort.
Für den Beklagten zu 2) bestand überhaupt kein Anlass, das klägerische Fahrzeug zu beschädigen. Der – wie aus den vorgelegten Lichtbildern ersichtlich und zudem hinsichtlich der Örtlichkeiten gerichtsbekannt ist – weitläufige und übersichtliche Parkplatz war zum Unfallzeitpunkt nahezu leer. Geparkt war dort lediglich das Fahrzeug des Klägers, möglicherweise noch ein weiteres Fahrzeug. Der Beklagte zu 2) hatte damit eine überaus große Fläche zur Verfügung, um sein Fahrzeug ordnungsgemäß abzustellen. Warum der Beklagte zu 2) dann so dicht neben dem Fahrzeug des Klägers und zudem rückwärts parken wollte, ist nicht ersichtlich. Der Beklagte zu 2) hat dies auch in seiner informatorischen Anhörung nicht erklären können. Unter keinem Gesichtspunkt ist nachvollziehbar, dass es für den Beklagten zu 2) „ordentlicher“ war, derart dicht neben dem Fahrzeug des Klägers einzuparken. Zudem ist der Beklagte zu 2), wie er in der informatorischen Anhörung eingeräumt und auch der Sachverständige SV1 in seinem Gutachten vom 9. Januar 2017 festgestellt hat, dabei ungewöhnlich schnell gefahren. Der Sachverständige spricht ausdrücklich von einer „ungewöhnlich hohen Intensität“ des Einparkvorgangs. Dafür spricht auch, dass durch den Aufprall dem eigenen Bekunden des Beklagten zu 2) zufolge das parkende klägerische Fahrzeug seitlich verschoben wurde.
Der Beklagte zu 2) hat zudem das klägerische Fahrzeug beim versuchten Einparken nicht nur einfach gestreift, sondern durch ein kaum nachvollziehbares Fahrmanöver die gesamte linke Seite des klägerischen Fahrzeugs großflächig beschädigt. Der Sachverständige erwähnt in diesem Zusammenhang „mehrere unabhängig voneinander erfolgte Kontakte“. Der Beklagte zu 2) hat dies damit zu erklären versucht, dass er nach dem rückwärtigen Anstoßen den Vorwärtsgang eingelegt hat und wieder nach vorne gefahren ist. Auch das begegnet erheblichen Zweifeln. Der Beklagte zu 2) hat angegeben, der erste Kontakt beim rückwärtigen Einparken hätte am Heck des gegnerischen Fahrzeugs stattgefunden. Warum dann beim Vorwärtsfahren und einem Einschlagen des Lenkrades nach links und damit vom klägerischen Fahrzeug weg noch nahezu die gesamte Seite des Klägerfahrzeugs bis nahezu zum Vorderrad beschädigt wurde, ist nicht erklärlich.
Der Beklagte zu 2) hat ferner angegeben, er sei beim rückwärtigen Einparken „von der Kupplung gerutscht“. Der Beklagte zu 2) hat seit 1989 eine Fahrerlaubnis, nach eigenem Bekunden war ihm dies bis zum damaligen Zeitpunkt noch nie geschehen. Warum dem Beklagten zu 2) dies gerade in der streitgegenständlichen Situation, in der der Beklagte zu 2) weder abgelenkt war noch andere außergewöhnliche Umstände vorlagen, widerfahren ist, bleibt ebenfalls offen.
Insgesamt handelte es sich bei dem zum Schaden führenden Ereignis um einen einfach zu beherrschenden und vollkommen risikoarmen Vorgang, der die Fahrweise des Beklagten zu 2) als nicht erklärbar erscheinen lassen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass dem Beklagten zu 2) bei dem eigentlich einfachen Manöver – dem Einparken auf einem nahezu leeren und großen Parkplatz – gleich mehrere Fahrfehler unterlaufen sind, nämlich das Abrutschen von der Kupplung sowie das Anfahren nach vorne mit weiteren Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug, die bei einem geübten Kraftfahrer bereits schon einzeln äußerst ungewöhnlich sind und den Verdacht eines gestellten Verkehrsunfalls erwecken.
Mögen nach der Einlassung des Beklagten zu 2) diesem auch mehrere ungewöhnliche und schwer nachvollziehbare Fahrfehler unterlaufen sein, wird die Schilderung vollends unglaubwürdig durch die informatorische Anhörung des Klägers. Der Kläger hat mit auffallender Detailarmut eigentlich nur angegeben, der Beklagte zu 2) habe ihn im Arbeitsraum aufgesucht, kurz den Unfall geschildert und habe nach dem gemeinsamen Begehen der Unfallstelle seine Versicherung angerufen. Auf ausdrückliches Nachfragen hat der Kläger erklärt, er habe sich die Beschädigung seines Fahrzeugs im Einzelnen eigentlich gar nicht angeschaut, er sei B von Beruf und kenne sich da nicht aus. Ein solches Verhalten ist in jeder Beziehung lebensfremd. Auch ein Laie konnte und musste erkennen, dass der Beklagte zu 2) ein offenbar gänzlich sinnloses und überflüssiges Fahrmanöver vollzogen und dabei massive Schäden am klägerischen Fahrzeug verursacht hat. Dass der Kläger dies zunächst vollkommen kommentarlos hingenommen und den Beklagten zu 2) nicht nach Einzelheiten befragt haben will, obwohl sein Herz ihm wehgetan hätte, ist nicht nachvollziehbar. Erst auf ausdrückliches Befragen durch das Gericht hat der Kläger bekundet, er sei selbstverständlich aufgebracht gewesen, will aber gleichwohl dem Beklagten zu 2) – was überaus nahe gelegen hätte – keine Vorwürfe gemacht haben, obwohl letzterem unschwer bereits nach dem äußeren Geschehensablauf jedenfalls der Vorwurf eines außergewöhnlich grobem und ungewöhnlichem Sorgfaltsverstoß mit erheblichen Folgen gemacht werden konnte und musste. Wichtig war für den Kläger in erster Linie, dass „keine Polizei“ geholt werden müsse, wie der Beklagte zu 2) nach einem Telefonat mit seiner Versicherung ihm versichert habe.
Zu den oben dargestellten Ungereimtheiten und Widersprüchen kommen weitere Indizien für einen gestellten Unfall hinzu, die zwar jeweils für sich genommen „unverdächtig“ sind, aber im Zusammenhang und unter Berücksichtigung des Verhaltens des Klägers und des Beklagten zu 2) den Eindruck verstärken, dass vorliegend ein Unfall lediglich gestellt wurde. So sind beide Parteien Landsleute und haben sich auf Polnisch vor Ort verständigt. Beide Parteien kannten sich von gemeinsamen Besuchen im örtlichen Fitnesscenter. Beide Parteien wohnen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Bei dem klägerischen Fahrzeug handelte es sich um ein höherwertiges Fahrzeug mit hoher Laufleistung, welches einen Totalschaden erlitt, dessen Schäden auf Gutachterbasis abgerechnet wurden, aber so beschaffen waren, dass sie wesentlich kostengünstiger repariert werden konnten, wie hier auch geschehen. Das Fahrzeug des Beklagten zu 2) besaß einen äußerst geringen Wert und wurde erst wenige Tage vor dem streitgegenständlichen Ereignis bei der Beklagten zu 1) versichert.“