Die 42. Woche eröffne ich dann heute mit zwei verfahrenrechtlichen Entscheidungen des BGH.
Bei der ersten handelt es sich um den BGH, Beschl. v. 07.08.2019 – 1 StR 57/19: Problematik: Zulässigkeit der Verlesung von Arztberichten in der Hauptverhandlung, also § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO. Das LG hat die Angeklagten jeweils wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. In der Hauptverhandlung sind Arztberichte verlesen worden. Das haben die Angeklagten mit der Verfahrensrüge beanstandet. Der BGH hat die als unbegründet angesehen:
„Näherer Erörterung bedarf lediglich die von den Angeklagten jeweils erhobene Verfahrensrüge, dass das Landgericht unter Verletzung der Vorschriften über den Grundsatz der persönlichen Vernehmung und den Urkundenbeweis gemäß §§ 249, 250, 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO drei ärztliche Berichte über vom Geschädigten erlittene Körperverletzungen, die nicht mit einer Unterschrift versehen gewesen seien, rechtsfehlerhaft im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt habe. Diese Rügen sind zwar zulässig erhoben, aber unbegründet.
1. Mit § 256 StPO wird in Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 StPO) und über § 251 StPO hinaus ein Urkundenbeweis zugelassen, indem bestimmte Zeugnisse, Gutachten, Atteste, Berichte und Protokolle in der Hauptverhandlung verlesen werden können. Insbesondere in Bezug auf die hier verfahrensgegenständlichen ärztlichen Atteste über Körperverletzungen nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO erlaubt der Gesetzgeber aus letztlich pragmatischen Gründen eine Verlesung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2011 – 1 StR 367/11, BGHSt 57, 24 Rn. 9). Bei der großen Anzahl der Verfahren würde es zu einer übermäßigen Belastung der Ärzte und erhöhten Kosten führen, wenn in jedem Fall der Arzt, der entsprechende Feststellungen getroffen hat, persönlich vernommen werden müsste. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I 2017, 3202) die Verlesungsmöglichkeiten nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO – unabhängig vom Tatvorwurf – auf alle Körperverletzungen erweitert und dabei das Ziel verfolgt, dass auf die Vernehmung des behandelnden Arztes verzichtet werden kann, der häufig aus Mangel an Erinnerung an den früheren Patienten ohnehin nur das wiedergeben kann, was er zuvor in seinem Attest bereits schriftlich niedergelegt hat (BT-Drucks. 18/11277, S. 36).
Dabei muss es sich bei dem ärztlichen Attest i.S.d. § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO um eine Bestätigung eines ordnungsgemäß nach dem für ihn geltenden Berufsrecht bestellten Arztes handeln, in der dieser Art und Umfang einer von ihm im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit wahrgenommenen Körperverletzung beschreibt (Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 256 Rn. 45; Diemer in KK-StPO, 8. Aufl., § 256 Rn. 8 mwN). Im Übrigen stellt § 256 StPO keine besonderen Formerfordernisse an das Attest. Insbesondere erfordert das Attest keine besondere Unterschriftsform. Es genügt vielmehr, dass erkennbar wird, welcher Arzt die Körperverletzung festgestellt und die Verantwortung für den Befund übernommen hat, sowie ausgeschlossen werden kann, dass ein bloßer Entwurf vorliegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. April 2007 – 2 StR 111/07 und vom 1. August 2018 – 5 StR 330/18). Nichts anderes ergibt sich aus der von der Revision zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 23. Januar 2015 – 2 RVs 11/15 Rn. 6), das lediglich dann vom Fehlen der Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO ausgeht, wenn mangels Unterzeichnung unklar bleibt, auf wessen Erkenntnisse die im Attest niedergelegten Befundtatsachen zurückgehen (insoweit missverständlich: Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl., § 256 Rn. 19).
2. Die im Selbstleseverfahren eingeführten drei ärztlichen Atteste genügen hier auch ohne handschriftliche Unterzeichnung den Voraussetzungen für eine Verlesung nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO.
Dem Bericht über die Notfallbehandlung des Geschädigten vom 15. September 2017 ist sowohl in der Kopfzeile bei der Angabe des behandelnden Arztes als auch auf Grund der maschinenschriftlichen Angaben am Ende zu entnehmen, dass die festgestellten Befundtatsachen von der Ärztin S. erhoben wurden. Auch den beiden Verlegungsberichten vom 21. und 27. September 2017 lässt sich zum einen aus dem Einleitungssatz „wir berichten“ als auch den am Ende des jeweiligen Berichts in der Unterschriftenleiste aufgeführten Namen der Ärzte B. (Chefarzt), M. (Oberarzt) und Ma. (Assistenzarzt) eine gemeinsame Urheberschaft und Verantwortungsübernahme dieser drei Ärzte für den Inhalt der Berichte entnehmen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei diesen Attesten lediglich um nicht zur Versendung bestimmte Entwürfe oder gar Fälschungen gehandelt haben könnte, liegen nicht vor.“
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