Und als zweite Entscheidung des Tages stelle ich dann den LG Berlin, Beschl. v. 11.06.2019 – 528 Qs 73/19 – vor.
Folgender Sachverhalt: Dem in anderer Sache in U-Haft befindlichen ausländischen Mandanten des Rechtanwalts wurde am 20.09.2018 ein Strafbefehl des AG Tiergarten vom 24.05.2015 zugestellt. Zu der Zustellung kam es aufgrund einer Personenverwechselung. Mit Schriftsatz vom 22.09.2018 zeigte der „Verfahrensbevollmächtigte“ des Zustellungsempfängers dessen Verteidigung an und legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Dabei wies er darauf hin, dass es sich bei seinem Mandanten nicht um die im Strafbefehl bezeichnete bzw. angeklagte Person handele. Das AG Tiergarten teilte dem Verfahrensbevollmächtigten daraufhin mit, dass der Einspruch des Mandanten pp. ins Leere gehe, da dieser nicht der Angeklagte sei, und legte mit Beschluss vom 17.12.2018 die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des vermeintlichen Angeklagten pp. der Landeskasse Berlin.
Im Hinblick auf diese Auslagenentscheidung hat der Mandant beantragt, Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts in Höhe von insgesamt 864,34 EUR – darunter Grund- und Verfahrensgebühren – zu erstatten. Die Rechtspflegerin des AG hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass die beantragten Verteidigergebühren nicht entstanden seien. Der Mandant sei nicht angeklagt gewesen, sondern nur aufgrund einer Verwechslung Adressat einer Strafbefehlszustellung geworden. Die vom Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen einer Einzeltätigkeit erbrachte Tätigkeit sei nach Nr. 4302 VV RVG zu vergüten. Ein entsprechender Antrag sei jedoch nicht gestellt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde, mit der der ursprünglich gestellte Festsetzungsantrag weiterverfolgt wird, hatte keinen Erfolg.
Das LG sagt:
Bei der Einlegung des Einspruchs des Vertreters eines „vermeintlichen Angeklagten“, dem aufgrund einer Personenverwechselung fälschlicherweise ein Strafbefehl zugestellt worden ist, handelt es sich nicht um Verteidigertätigkeit im Sinn von Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG sondern um eine Einzeltätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG.
Die Auffassung des LG, es habe sich bei den von dem Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten um eine Einzeltätigkeit gehandelt, ist m.E. falsch. Nach Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV RVG entstehen die Gebühren des Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG „für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder Vertretung übertragen ist“. Das war hier aber der Fall. Denn der Mandant hatte den Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung in dem gegen ihn durch Zustellung des Strafbefehls eingeleiteten Strafverfahren beauftragt. Dabei ist m.E. die formale Stellung des Mandanten als Angeklagten durch die Zustellung des Strafbefehls, der einer Anklage entspricht, begründet. Ob eine Personenverwechselung vorlag oder nicht, ist m.E. unbeachtlich, denn gegen diesen Mandanten war ein Strafbefehlsverfahren und damit ein Strafverfahren anhängig, in dem er sich durch den Rechtsanwalt hat verteidigen lassen. Daran ändert nichts der Umstand, dass die Personenverwechselung schnell aufgefallen ist und das AG mitgeteilt hat, dass der Einspruch des Mandanten ins Leere gehe. Ein Strafverfahren war gegen den Mandanten anhängig. Und in dem konnte und durfte er sich verteidigen (lassen); das allein schon deshalb, weil er als Ausländer kaum in der Lage gewesen sein dürfte, den Sachverhalt ordnungsgemäß zu erfassen. Das AG spricht in seiner Kostenentscheidung im Übrigen selbst vom „vermeintlichen Angeklagten“.
Und: Die Passage:
„….Auch die geltend gemachte Aktenversendungspauschale ist nicht erstattungsfähig, da es sich bei der Versendung der Akte auf Antrag eines Rechtsanwalts an einen anderen Ort lediglich um eine besondere Serviceleistung des Gerichts handelt…“
lasse ichd ann mal unkommentiert.
Ich halte die Entscheidung für, vorsichtig ausgedrückt, abwegigen Unsinn. Selbst das Landgericht Berlin hat schon entschieden: „Der Strafbefehl richtet sich, wie eine Anklageschrift, gegen die darin bezeichnete Person. Behauptet diese, nicht der Täter der im Strafbefehl genannten Straftat zu sein, muss sie gegen diesen Einspruch einlegen.“ (NStZ 2005, 119). Es ist zwar der Entscheidung nicht zu entnehmen, ob nur die Zustellung an den falschen Adressaten erfolgte oder, was ich für näherliegend halte, der Strafbefehl selbst sich auch gegen die falsche Person richtete, aber abgesichts der oben genannten Entscheidung, die ich für ohne weiteres nachvollziehbar halte, kann es doch keinen vernünftigen Zweifel daran geben, daß die Einlegung des Einspruchs Verteidigertätigeit ist. Wer, noch dazu offensichtlich zu unrecht, einen Strafbefehl zugestellt bekommt, von dem kann man doch nicht ernsthaft erwarten, daß er sich dagegen selbst verteidigen soll. Über diese jetzige Entscheidung kann man wirklich nur den Kopf schütteln.