Und die dritte Entscheidung hat auch mit Einstellung zu tun. Sie kommt ebenfalls vom AG Dortmund. Ergangen ist sie in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren. Dort hatten weder die „messende Behörde“ noch die zuständige Bußgeldstelle dem Amtsgericht mehrfach angeforderte Messunterlagen zur Messung gestellt. Das AG war es dann leid/war „angefressen“ und hat das Verfahren im AG Dortmund, Beschl. vom 16.04.2019 – 729 OWi-254 Js 228/19-51/19 – eingestellt:
„Dem verkehrsrechtlich nicht vorbelasteten Betroffenen wird ein Geschwindigkeitsverstoß am 17.09.2018 auf der Bundesautobahn 45 in Dortmund vorgeworfen. Er habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit von max. 60 km/h um 24 km/h überschritten. Das Gericht hat die Beweisaufnahme durch Vernehmung des Messbeamten, Verlesung des Messprotokolls, Verlesung des Beschilderungsplanes, Verlesung des Datenfeldes des Messfotos, Verlesung des Eichscheins und Inaugenscheinnahme des Messfotos nahezu bis zum Ende durchgeführt. Der Verteidiger hatte jedoch bereits im Vorfeld beantragt, ihm zur Überprüfung der Nachvollziehbarkeit der Messung einen xml- Ausdruck zur Verfügung zu stellen. Bereits am 26.03.2019 ging ein entsprechendes Schreiben per Fax an den Messbeamten heraus. Gleichwohl brachte der Messbeamte zum Hauptverhandlung am 02.04.2019 keinen entsprechenden Ausdruck mit, sondern verwies in der Zeugenvernehmung auf die Bußgeldstelle. Das Gericht bestimmte sodann einen Fortsetzungstermin auf den heutigen Tage. Es wurde nochmals bei der messenden Polizeibehörde ebenso wie bei der Bußgeldstelle der Ausdruck angefordert. Der Ausdruck wurde bis heute von keiner dieser Stellen übersandt. Dementsprechend war eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 OWiG geboten.“
Wenn man es so liest, bestätigt sich der Eindruck, den man inzwischen haben muss, dass nämlich die Bußgeldstellen tun und lassen, was sie wollen und sie gerichtliche Vorgaben nicht weiter interessieren.
Fast korrekt. Ich hätte freigesprochen. Und einen Abdruck des Urteils an die zuständige StA geschickt – Es ist zwar keine Strafvereitelung, wenn „nur“ ein Bußgeld im Raum steht… Aber vielleicht rüttelt es hier und da die richtigen Leute wach. So etwas würde ich mir als Gericht nicht bieten lassen.
Ich hätte auch frei gesprochen. Das sollte helfen 🙂
Wenn mehr Amtsrichter das Kreuz hätten, sich nicht von den Bußgeldbehörden mit fadenscheinigen Ausreden die Überprüfungsmöglichkeit der Messungen nehmen zu lassen, wäre das Thema wohl längst erledigt. Leider scheinen viele Amtsrichter nicht zu erkennen, dass die Verweigerungshaltung nicht nur gegenüber der Verteidigung sondern auch gegenüber dem Gericht besteht.
Das gleiche heute am AG Leipzig. OA verweigert die Einsichtnahme…Ich war selber vor Ort. Nach Mitteilung an das Gericht mit entsprechendem Antrag die Behörde zur Gewährung der Einsichtnahme aufzufordern meinte der Richter: Das lehnen die regelmässig ab. Bin ich im falschen Film? Der schickt mich zum OA zur Einsichtnahme und weiss, dass die nicht gewährt wird? „Nehmen Sie doch den Einspruch zurück. Es sind doch nur xx €!“ Nein, verdammt noch mal!!!! Neuer Termin ergeht von Amts wegen.
Die Lust der Amtsrichter, in Fällen unzureichender Verfahrensakten oder fehlerhafter Akteneinsichtsgewährung freizusprechen, dürfte angesichts LG Erfurt, Urteil vom 26. Juni 2015 – 101 Js 733/12 1 KLs, sehr gering sein.
Die sehr weitgehend ausgelegte Amtsaufklärungspflicht wird den Amtsrichter nach gängiger Auffassung wohl zwingen, entweder lange bei der Behörde zu quengeln oder Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten (das wäre ein Spaß…), wenn er sich nicht der Rechtsbeugung strafbar machen will – was die Entfernung aus dem Amt unter Streichung sämtlicher Ruhestandsbezüge und damit die effektive Existenzvernichtung nach sich zöge. Die Einstellung nach § 47 II nach dem Motto „alles andere ist unverhältnismäßig“ ist da wohl der einfachere Ausweg.
Der Bußgeldrichter und seine völlig unnötige Angst vor jedwedem Widerstand. Man baue sich ein Formblatt zur Anforderung der Unterlagen. Einmal erdacht, tausendfach nutzbar. Hinschicken, Frist setzen, freisprechen. Und wenn die Rechtsbeschwerde der StA kommt – dem Senat vorlegen. Dann können „die da oben“ mal ne klare Ansage machen. Aber nein, man macht den schmalen Fuß, bloß niemanden verärgern.
Wenn Oliver Kahns Ansage jemals passen war, reiche ich diese meinen Richterkollegen an dieser Stelle gern nochmal weiter: „Eier! Wir brauchen Eier!“
(Gilt aber genderübergreifend auch für Richterinnen)
Ich zelebriere solche Sachen regelmäßig. Neulich erst 10.000 Euro Zwangsgeld gegen den Vorstand einer großen Krankenkasse verhängt, weil im Versorgungsausgleich keine Auskunft zum Krankengeld erteilt wurde (ja, selbst Familienrecht kann lustig sein).
Wo sonst kann man „am längeren Hebel“ so aus sich raus gehen als als Richter? Natürlich nur, wenn man im Recht ist. Und mit der zentralen Bussgeldstelle darf man keinen Deut zimperlich er sein.
Die Justiz rühmt sich doch sonst immer so sehr damit, hart durchzugreifen. Wieso immer nur zu Lasten der Beschuldigten? In Bayern ist man schneller für eine Leistungserschleichung in UHaft als man „Fahrkartenautomat“ sagen kann – aber aus Viechtach lässt man sich auf der Nase runtanzen?
Gleiches Recht für alle…
Die zugrundiegende Konstellation in dem Erfurter Fall war eine sehr spezielle und mit dem hier diskutierten Fall (wo sich der Kollege ja über zwei Termine! Arbeit gemacht hat) nicht vergleichbar.
Abgesehen davon ist das Erfurter Urteil halt auch sachlich leider falsch…
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