Heute dann mal wieder ein Tag der Akteneinsicht. Den eröffne ich mit einer (Akten)Einsichtsentscheidung aus dem Bußgeldverfahren, und zwar mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 05.11.2018 – 1 Ss (OWi) 108/18. Es handelt sich um eine dieser „unsäglichen“ Entscheidungen in Zusammenhang mit einem Antrag auf Herausgabe von Messunterlagen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen war auf die Ablehnung des Antrags gestützt worden. Es wird niemanden wundern, wenn er dann jetzt liest, dass das OLG die Rechtsbeschwerde natürlich nicht zugelassen hat. Alles andere wäre ein – zumindest kleines – Wunder gewesen:
„1. Es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.
Durch die Nichtbeiziehung der nicht bei der Akte befindlichen Statistikdatei sowie des Messschlüsselpaares ist das rechtliche Gehör der Betroffenen nicht verletzt worden.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wäre nur dann gegeben, wenn die erlassene Entscheidung des Amtsgerichts auf einem Verfahrensmangel beruhen würde, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei – der Betroffenen — gehabt hätte (BVerfG NJW 1992/2811).Das Prozessgrundrecht des rechtlichen Gehörs soll gewährleisten, dass ein Betroffener bzw. eine Betroffene die Gelegenheit hat, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Das Gericht muss diese zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Januar 2018, 2Rb 8 Ss 839/17).
Das hat das Amtsgericht getan: Es hat sich mit dem Vorbringen der Betroffenen auseinandergesetzt und darüber befunden. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, aus den entsprechenden Ausführungen die seitens der Betroffenen gewünschten Schlussfolgerungen zu ziehen und den gestellten Anträgen zu entsprechen (KG, Beschluss vom 07.April 1999, 2 Ss 15/09).
Durch die Nichtbeiziehung der nicht bei der Akte befindlichen Statistikdatei sowie des Messschlüsselpaares, die im Übrigen auch nicht Gegenstand der Urteilsfindung gewesen sind, ist das rechtliche Gehör der Betroffenen nicht verletzt worden.
Denn wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 27. Juni 2016 (1 Ss (OVVI) 59/16 nicht veröffentlicht) ausgeführt hat und auch weitere Oberlandesgerichte entsprechend entschieden haben, verletzt ein in der Hauptverhandlung durch Beschluss abschlägig beschiedener Antrag auf Herausgabe einer Messdatei sowie der Messschlüssel den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör nicht (OLG Bamberg, Beschluss vom 24.August 2017, 3 Ss (0W1) 1162/17, OLG Hamm, Beschluss vom 19.Juni 2018, 4 RBs 163/18).
Auch der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 27. April 2018 (Lv 1/18) gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.
Denn eine solche stünde im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 12.Januar 1983- 2 BvR 864/81). Danach wird der Schutzbereich des Artikels 103 GG nicht mehr berührt, wenn es um die Frage geht, ob das Gericht sich und den Prozessbeteiligten Kenntnis von Sachverhalten, die es selbst nicht kennt, erst zu verschaffen hat. Denn es ist nicht Sinn und Zweck der grundgesetzlichen Gewährleistung rechtlichen Gehörs vor Gericht, dem bzw. der Betroffenen Zugang zu dem Gericht nicht bekannten Tatsachen zu erzwingen.
Soweit darüber hinaus ein Anspruch auf Erweiterung des gerichtlichen Aktenbestandes geltend gemacht wird, lässt sich dieser nicht aus dem Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG herleiten (BVerfG a.a.0).“
Alles andere ist allgemeines Bla, bla. Der Verteidiger fragt(e) sich/mich mit Recht, wie man solche Entscheidungen den Mandanten eigentlich erklären soll/kann.
Im Übrigen: Etwas Neues hat die Entscheidung doch, nämlich die Formulierung: „materiell-rechtliche Aufladung“ des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör „.
Pingback: Juristischer BlogScan (47.KW 2018)