Bei der zweiten BVerfG-Entscheidung handelt es sich um den BVerfG, Beschl. v. 30.05.2018 – 1 BvR 1149/17, ergangen in/nach einem arbeitsrechtlichen Verfahren wegen einer Kündigung. Gekündigt worden war dem Arbeitnehmer wegen wegen eines Schreibens an die Belegschaft. Der hatte in einer Betriebsratswahl ein Mandat erlangt, die Arbeitgeberin stellte ihn jedoch bald nach Feststellung der Nichtigkeit dieser Wahl aus anderen Gründen von seiner Arbeitsleistung frei und kündigte das seit mehreren Jahren bestehende Arbeitsverhältnis. Daraufhin ließ der Arbeitnehmer im Betrieb ein Schreiben ausgeben. Darin warf er dem namentlich benannten Betriebsleiter u.a. vor, Beschäftigte „wie Zitronen auszupressen“, Alte, Kranke und „Verschlissene“ gegenüber Gesunden und Jungen oder auch Leiharbeitnehmer und befristet Beschäftigte gegenüber der Stammbelegschaft „auszuspielen“. Überhaupt werde mit den Hoffnungen von entliehen oder befristet Beschäftigten „brutal gespielt“. Den (klagenden) Arbeitnehmer der Betriebsleiter anscheinend aus Angst vor den Betriebsratswahlen aus dem Unternehmen entfernt. Am Ende des Schreibens findet sich als Zitat der Satz: „Wer heute einem Übel teilnahmslos zuschaut, kann schon morgen selbst Opfer des Übels werden“. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich, ein zweites Mal.
Die außerordentliche Kündigung erachteten Arbeitsgericht und LAG zwar für unwirksam, doch sei die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung wirksam. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG):
„1. Das Landesarbeitsgericht und das Arbeitsgericht haben allerdings das vom Beschwerdeführer im Betrieb verteilte Schreiben zu Unrecht als Schmähkritik eingestuft.
a) Schmähkritik genießt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>; 99, 185 <196>). Eine Schmähung ist eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext (vgl. BVerfGE 93, 266 <303>) – jedoch nur dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <284>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294>). Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (vgl. BVerfGE 82, 43 <52>; 93, 266 <295 f.>; 114, 339 <348>). Handelt es sich um Äußerungen in einer öffentlichen Auseinandersetzung, liegt dagegen nur ausnahmsweise eine Schmähkritik vor (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 93, 266 <294, 303>).
b) Die gerichtlichen Feststellungen werden dem nicht gerecht, soweit sie von einer Schmähkritik ausgehen. Auch im Betrieb ist die Meinungsfreiheit geschützt und sachbezogene Auseinandersetzungen dürfen durchaus scharf geführt werden. Allein in dem sinngemäßen Vorwurf an einen Vorgesetzten, ein „Ausbeuter“ zu sein, liegt daher keine Schmähkritik (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 1. Februar 1977 – VI ZR 204/74 -, juris, Rn. 52). Desgleichen ist ein Sachbezug nicht von vornherein zu verneinen, wenn im Betrieb eine Rücksichtslosigkeit gegenüber vor Diskriminierung geschützten alten oder behinderten Beschäftigten und gegenüber befristet oder im Wege der Arbeitnehmerüberlassung prekär Beschäftigten kritisiert wird, wo dies – wie hier – im Zusammenhang mit Beratungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über eine Gesundheitsprämie und zur betrieblichen Praxis der Übernahme zeitweilig Beschäftigter in ein Dauerarbeitsverhältnis steht. Desgleichen ist die Äußerung, ein Betriebsleiter wolle Beschäftigte „wie Zitronen auspressen“, nicht zwingend allein auf die Diffamierung der Person angelegt, wenn – wie hier – ein Bezug zu Auseinandersetzungen über die Kaffeepreise am Getränkeautomat im Betrieb erkennbar ist. Der Sachbezug einer Äußerung endet auch nicht ohne weiteres, wenn insoweit im Betrieb eine Einigung erzielt worden ist. Zudem fehlt ein Sachbezug nicht, weil sich der Beschwerdeführer hier, wie das Landesarbeitsgericht meint, nach Nichtigkeit der Betriebsratswahl keiner informationsbedürftigen „Wählerschaft“ habe gegenübersehen können. Zugunsten der Meinungsfreiheit ist vielmehr zu berücksichtigen, ob Kritik von Beschäftigten geäußert wird, die sich für einen Betriebsrat zur Wahl stellen oder, wo eine Betriebsratswahl nachträglich für nichtig erklärt wird, als Mitglieder des Gremiums bis dahin entsprechend tätig geworden sind.
Es erscheint auch weder zwingend noch wird es der Bedeutung der Meinungsfreiheit in kontroversen Auseinandersetzungen im Arbeitsleben gerecht, wenn die Äußerung einer „Angst, dass die bevorstehende Betriebsratswahl“ den Betriebsleiter „zu diesem Schritt bewegt haben“ könne, arbeitsgerichtlich so verstanden wird, dass unterstellt werde, der Betriebsleiter schrecke nicht vor der strafbaren Behinderung von Betriebsräten zurück. Vielmehr liegt es zugunsten der Meinungsfreiheit nahe, diese Äußerung als Spekulation über Angst als Motiv zu verstehen, nicht aber als Unterstellung einer Tat. Desgleichen ist die Aussage, der Arbeitgeber habe mit bestimmten Hoffnungen „brutal gespielt“, zugunsten der Meinungsfreiheit nicht zwingend als Charakterisierung des Verhaltens einer Person zu werten, sondern lässt sich auch als Verweis auf eine als schmerzhaft erlebte Enttäuschung der Betroffenen verstehen. In einem Kündigungsschutzverfahren sind die Arbeitsgerichte jedenfalls gehalten, derartige gleichermaßen mögliche Deutungen grundrechtsschützend zu berücksichtigen.
2. Zwar hat das Landesarbeitsgericht die Äußerung zunächst unzutreffend als Schmähkritik bewertet, ihr aber im Ergebnis nicht das Maß an Schutz vorenthalten, dass ihr als Werturteil ohne schmähenden Charakter zukam (vgl. BVerfGE 82, 272 <281>; 85, 1 <14>). Insofern ist regelmäßig eine alle Umstände berücksichtigende fallbezogene Abwägung (vgl. BVerfGE 99, 185 <196 f.>; 114, 339 <348>) zwischen den arbeitsrechtlich geschützten Rechtsgütern und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Kündigung nach einer Äußerung erforderlich. Eine solche liegt den hier angegriffenen Entscheidungen letztlich zugrunde. So hat das Landesarbeitsgericht auf Grund einer Abwägung, in der die Meinungsäußerungsfreiheit hinreichend Beachtung findet, nicht die außerordentliche, sondern nur die ordentliche Kündigung für sozial gerechtfertigt erachtet. Es hat ausgeführt, dass die Äußerung, selbst wenn es keine Schmähkritik gewesen sei, zumindest erheblich ehrenrührig gewirkt und in der bereits aufgeheizten betrieblichen Situation für eine massive Störung des Betriebsfriedens gesorgt habe. Das Landesarbeitsgericht geht mit dem Arbeitsgericht auch davon aus, dies sei Ergebnis planmäßigen Handelns gewesen. Wenn die Fachgerichte unter Berücksichtigung der Gesamtsituation davon ausgehen, der Arbeitgeberin sei ein solches Verhalten nicht zumutbar, ist das auch unter Berücksichtigung der Meinungsäußerungsfreiheit im Betrieb vertretbar.“
Fazit: Arbeitnehmer dürfen den Chef zwar kritisieren, aber sie dürfen damit nicht massiv den Betriebsfrieden stören.