Befangenheit wegen „Vorbefassung“, oder: Das kann man vergessen…..

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Als zweite Entscheidung heute dann der BGH, Beschl. v. 19.04.2018 – 3 StR 23/18, der sich mal wieder mit der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit wegen sog. Vorbefassung befasst. Abgelehnt worden sind in diesem Fall die Mitglieder des zuständigen BGH-Revisionssenats, und zwar mit folgender Begründung: Der Angeklagte hat geltend gemacht, die drei abgelehnten Richter hätten bereits an einem vorangegangenen Revisionsverfahren mitgewirkt, in dem ein erstes Urteil vom BGH-Senat auf die Sachrüge der Angeklagten aufgehoben worden war. In dieser Entscheidung hätten sie die von der Revision der Angeklagten geltend gemachte Verfahrensrüge, mit der die Unverwertbarkeit polizeilicher Vernehmungen geltend gemacht worden war, vorläufig als unbegründet bewertet. Damit sei davon auszugehen, dass sie im nun anstehenden Verfahren, in dem diese Rüge erneut erhoben worden ist, nicht unparteiisch seien. Denn die in der vorläufigen Bewertung der Verfahrensrüge als unbegründet zum Ausdruck gekommene Ansicht des Senats sei nicht nur rechtlich falsch, sondern beinhalte eine Grundeinstellung zum Wert des Richtervorbehalts bei Freiheitsentziehungen, die die Angeklagte befürchten lasse, dass künftige Entscheidungen unter Beteiligung der abgelehnten Richter „maßgeblich in Dimensionen polizeitaktischer Praktikabilität angesiedelt“ seien und „ohne Berücksichtigung grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen gefällt werden“. Die Argumentation der Vorentscheidung verrate einen mangelnden Respekt des Senats vor einem Menschenrecht. Zudem dokumentiere „das Verhalten“ der abgelehnten Richter, dass sie aus Sicht der Angeklagte in ihrer Ansicht derart festgelegt seien, dass eine neutrale Würdigung der anstehenden Rechtsfrage von ihnen nicht erwartet werden könne.

Der BGH sieht das – wie zu erwarten – anders und hat den Antrag als unzulässig zurückgewiesen:

„Die Vorbefassung eines Richters als solche kann die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht begründen, so dass die nur auf diese Tatsache und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen gestützte Ablehnung ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig verworfen werden kann (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2009 – 3 StR 367/09, NStZ 2010, 401, 403). Auch eine vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Vorentscheidung rechtfertigt für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht. Es müssen vielmehr konkrete Umstände des Einzelfalls hinzutreten, welche die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermögen; diese über die Vorentscheidung hinausreichenden Umstände muss der Antragsteller in seinem Gesuch vortragen und glaubhaft machen. Anhaltspunkte für die Besorgnis der Befangenheit können in dem Verhalten des Richters oder in den Gründen der vorangegangenen Entscheidung gefunden werden (BVerfG, Beschluss vom 27. April 2007 – 2 BvR 1674/06, NStZ-RR 2007, 275, 277).

b) Hieran gemessen ist das Befangenheitsgesuch der Revisionsführerin unzulässig und nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu verwerfen. Die Antragstellerin begründet ihr Ablehnungsgesuch ausschließlich mit der Vorbefassung der abgelehnten Richter an der vorangegangenen Revisionsentscheidung und der darin vertretenen Rechtsansicht. Da das – vom Verteidiger der Angeklagten in der damaligen Revisionshauptverhandlung angeregte – Vorgehen des Senats, in seinem Urteil vom 9. Februar 2017, mit dem er das vorangegangene Urteil des Landgerichts auf die Sachrüge hin aufgehoben und zu neuer Verhandlung zurückverwiesen hatte, im Hinblick auf das neu zur Entscheidung anstehende Verfahren eine vorläufige Einschätzung zur Verwertbarkeit der polizeilichen Vernehmung der Angeklagten abzugeben, prozessordnungsgemäß war, kann auf die Mitwirkung an dieser Entscheidung die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht gestützt werden. Auch die in dieser vorläufigen Einschätzung vertretene Rechtsauffassung als solche vermag – selbst wenn sie rechtsfehlerhaft wäre – eine solche nicht zu begründen.

Hieran ändert auch nichts, dass die Revisionsführerin die von den abgelehnten Richtern getroffene Entscheidung bzw. die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung als rechtlich völlig abwegig und willkürlich bewertet. Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Besorgnis der Befangenheit auch daraus ergeben, dass die in der Vorentscheidung vertretene Auffassung eines Richters als willkürlich erscheint oder sich aus der Art und Weise der Begründung der früheren Entscheidung seine Voreingenommenheit ergibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2014 – 1 StR 726/13, NJW 2014, 2372, 2373; vom 10. September 2002 – 1 StR 169/02, BGHSt 48, 4, 8; Urteil vom 12. November 2009 – 4 StR 275/09, NStZ 2010, 342). Dies bedeutet aber nicht, dass allein wegen der pauschalen Behauptung des Ablehnenden, die – an sich prozessordnungsgemäße – Vorentscheidung sei willkürlich oder mit einer abwegigen Rechtsauffassung begründet, die Zurückweisung eines Befangenheitsgesuchs als unzulässig versagt wäre. Da die mit der Tatsache der Vorbefassung notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen als solche keinen Grund für eine Richterablehnung bilden, kommt auch bei behaupteter Willkür der Anschein einer Voreingenommenheit nur in Betracht, wenn Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden, dass in der behaupteten willkürlichen Rechtsauffassung eine Befangenheit gegenüber dem Antragsteller zum Ausdruck kommt. Dies mag beim Vorwurf subjektiver Willkür oder dann der Fall sein, wenn Tatsachen vorliegen, die vom Standpunkt eines vernünftigen Ablehnenden den Schluss zulassen, der Richter offenbare mit seiner angeblich abwegigen oder willkürlichen Meinung die Absicht, gerade ihn in seinen Rechten zu beeinträchtigen. Nur in einem solchen Fall wäre der den Befangenheitsantrag bescheidende Richter gezwungen, durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO sich zum „Richter in eigener Sache“ zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. September 2007 – 2 BvR 2335/06 u.a., BVerfGK 12, 139 ff.).

Solches ist im Ablehnungsantrag indes nicht vorgetragen. Die Behauptung, die Entscheidung offenbare einen „verqueren Blick auf rechtsstaatliche Prinzipien“ und einen „nicht behebbaren Mangel an Respekt gegenüber einem Menschenrecht“ stellt lediglich eine allgemeine, nicht von Tatsachen getragene Wertung der Antragstellerin dar, die aus ihrer Sicht möglicherweise Zweifel an den Fähigkeiten oder allgemeinen Rechtsanschauungen der Richter aufkommen lassen, nicht aber in irgend einer Weise eine Voreingenommenheit ihr gegenüber offenbaren. …….“

Die Entscheidung zeigt mal wieder, dass Ablehnung des Richters wegen „Vorbefassung“ schwer ist und i.d.R. nur in Ausnahmefällen erfolgreich. Im Grunde genommen kann man sie „vergessen“. Und das gilt m.E. erst Recht – wohl auch zu Recht (?) -, wenn der Antragsteller selbst – wie hier – eine Stellungnahme des BGH zu einer Rechtsfrage angeregt hat. Kommt der BGH dieser Anregung nach, dann kann man m.E. später nicht auf die Stellungnahme, wenn sie der eigenen Auffassung nicht entspricht, einen Ablehnungsantrag stützen. Das kommt „venire contra factum proprium“ sehr nahe.

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