Starten wir in den Mittwoch mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.2.2018 – 2 RBs 16/18, der in meinen Augen falsch ist. Es geht um eine „Entbindungsproblemati – gepaart mit einem Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO. Der Verteidiger hatte in einem Bußgeldverfahren, in dem dem Betroffenen die verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons vorgeworfen wurde, also Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO, beantragt, den Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung gem. § 73 Abs. 2 OWiG zu entbinden. Begründung: Der Betroffene räume ein, dass er Fahrzeugführer gewesen sei, im Übrigen wolle er keine Angaben zur Sache machen. Das AG hat dann nicht entbunden, sondern hat die Anwesenheit des Betroffenen für notwendig erachtet. Der Betroffene habe am Tattag gegenüber dem als Zeugen zur Hauptverhandlung geladenen Polizeibeamten angegeben, dass sein Handy die ganze Zeit zwischen seinen Beinen gelegen habe. Daher erhoffe sich das AG, dass der Zeuge sich anhand des Erscheinungsbildes des Betroffenen genauer an den Vorfall erinnern könne.
Der Betroffene ist dann in der Hauptverhandlung nicht erschienen. Das AG hat seinen Einspruch gem. § 74 OWiG verworfen. Die gegen das Verwerfungsurteil gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg:
„1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht bereits zur Ermöglichung der Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf das Vorliegen einer Gehörsverletzung zuzulassen, sondern erst dann, wenn die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts auf Grund der Antragsbegründung eine solche ergeben hat (BVerfG NJW 1992, 2811, 2812). Eine Gehörsverletzung deckt die Antragsbegründung indes nicht auf.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbinden müssen. Insbesondere hat es sich bei dieser Entscheidung auch nicht um eine Entscheidung auf Grundlage vermeintlich bestehenden Ermessens gehandelt, das dem Amtsgericht, wie der Betroffene unter Hinweis auf die Entscheidungen der Oberlandesgerichte Frankfurt (NZV 2011, 561) und Hamm (DAR 2016, 595) zutreffend ausführt, nicht zugestanden hätte. Vielmehr hat das Amtsgericht aufgrund einer Prognose zur Dienlichkeit der Anwesenheit des Betroffenen für die durchzuführende Beweisaufnahme entschieden, die ihm auch zustand.
a) Soweit die Entscheidung über einen Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung wie hier von der Frage abhängt, ob dessen Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts erforderlich ist (§ 73 Abs. 2 OWiG), muss der Tatrichter notwendigerweise eine Prognose über den zu erwartenden Verlauf der Beweisaufnahme mit und ohne Anwesenheit des Betroffenen anstellen. Nur auf Grundlage dieser Gegenüberstellung, deren schriftliche Niederlegung regelmäßig entbehrlich sein dürfte, weil eine hinreichend klare Begründung – teils schon wegen des auf der Hand liegenden Ergebnisses – auch ohne eine solche explizite Gegenüberstellung möglich sein wird, kann der Tatrichter seine Entscheidung treffen, ob er auf der Anwesenheit des Betroffenen bestehen muss.
Die Nachprüfung der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen durch den Senat findet ihre Grenze in dem auch im Bußgeldverfahren Geltung beanspruchenden strafprozessualen Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§§ 261 StPO, 71 Abs. 1 OWiG). Danach entscheidet der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung. An gesetzliche Beweisregeln ist er nicht gebunden, wohl aber an wissenschaftliche Erkenntnisse, Gesetze der Logik und Erfahrungssätze. Die tatrichterliche Überzeugung darf das Rechtsmittelgericht nur dahingehend überprüfen, ob die Erwägungen des Tatrichters ausgehend davon nachvollziehbar sind und insbesondere keine Widersprüchen, Unklarheiten, Lücken und Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Lebenserfahrungen aufweisen (BGH NStZ-RR 2008, 146, 147).
Diese Grenzen hat das Rechtsbeschwerdegericht auch bei der Nachprüfung der Anwendung des § 73 Abs. 2 OWiG zu beachten. Nur wenn auf Grundlage der dem Amtsgericht im Rahmen freier Beweiswürdigung zustehenden Erwägungen die Anwesenheit des Betroffenen nicht geeignet ist, dem weiteren Erkenntnisgewinn in der Hauptverhandlung zu wesentlichen Gesichtspunkten förderlich zu sein, ist die Ablehnung der Entbindung des Betroffenen rechtsfehlerhaft. So lag es etwa in dem vom Oberlandesgericht Frankfurt (a. a. O.) entschiedenen Fall, in dem es dem Amtsgericht – so das Oberlandesgericht – gar nicht um eine bessere Sachaufklärung, sondern um die „schulmeisterliche Belehrung“ des Betroffenen gegangen ist.
b) Die vom Amtsgericht angestellten Erwägungen erweisen sich ausgehend davon als rechtsfehlerfrei.
Das Amtsgericht hat hier zur Begründung der Erforderlichkeit der Anwesenheit des Betroffenen auf besondere und bemerkenswerte Umstände des Einzelfalls abgestellt.
Auch die Erwägungen des Oberlandesgerichts Hamm (a. a. O.) aus der in der Antragbegründung angeführten Entscheidung würden für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht zum Erfolg des Zulassungsantrages führen, auch wenn dort im Ergebnis das Erfordernis der Anwesenheit des Betroffenen, dem gleichfalls der Vorwurf der verbotswidrigen Benutzung eines Mobiltelefons gemacht worden war, verneint worden ist. Das Oberlandesgericht Hamm hat ausgeführt, dass es tatsächlicher Anhaltspunkte dafür bedürfe, dass durch die persönliche Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ein wesentlicher Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts zu erwarten sein müsse. Deshalb reiche die rein theoretische, durch keine einzelfallbezogenen konkreten Tatsachen gestützte Möglichkeit, polizeiliche Zeugen könnten sich nach längerer Zeit an ein von ihnen beobachtetes Fehlverhalten eines Betroffenen im Straßenverkehr besser oder überhaupt erst erinnern, wenn sie den Betroffenen in der Hauptverhandlung sehen, nicht zur Ablehnung eines Entbindungsantrages aus.
Hier hat das Amtsgericht seine diesbezügliche Erwartung aber gerade auf einzelfallbezogene – und in besonderem Maße prägnante – Tatsachen gestützt.“
Ja: „ gerade auf einzelfallbezogene – und in besonderem Maße prägnante – Tatsachen gestützt.“ Man muss im Volltext nicht weiterlesen, es fehlt hier nichts. Welche „einzelfallbezogenen – und in besonderem Maße prägnanten – Tatsachen“ denn nun den Beschluss des AG stützen (sollen/können), erfahren wir nicht. Es sein denn das OLG will sich ernsthaft ernsthaft auf: “ Der Betroffene habe am Tattag gegenüber dem als Zeugen zur Hauptverhandlung geladenen Polizeibeamten angegeben, dass sein Handy die ganze Zeit zwischen seinen Beinen gelegen habe„.stützen. Das ist aber doch gerade nicht mehr als die vom OLG abgelehnte Begründung „rein theoretische, durch keine einzelfallbezogenen konkreten Tatsachen gestützte Möglichkeit, polizeiliche Zeugen könnten sich nach längerer Zeit an ein von ihnen beobachtetes Fehlverhalten eines Betroffenen im Straßenverkehr besser oder überhaupt erst erinnern“. Das Ganze ist in meine Augen nichts anderes als Vorbereitung und dann Absegnung der Verwerfungsentscheidung. Aber damit ist das OLG Düsseldorf eh „großzügig“ (vgl. Beim Autofahren telefoniert – ich will dich auf jeden Fall in der Hauptverhandlung sehen…).
Ich habe in Fällen von Nichtentbindung immer einen Befangenheitsantrag vorlegen lassen.
(erst im Termin). Damit ist die Verhandlung erst mal gelaufen und überaus häufig ist man
dann geneigt eine vernünftige Lösung (Einstellung) gegen Rücknahme des Befangenheits-
antrags zu finden 🙂
„Damit ist die Verhandlung erst mal gelaufen“
Nun, möglicherweise wird sie auch einfach nur unterbrochen, und der für die Entscheidung über den (offensichtlich unbegründeten) Befangenheitsantrag zuständige Kollege entscheidet ein paar Stunden später nach mündlicher Anhörung – und dann kann’s weitergehen. Hoffentlich haben Sie oder Ihr Kollege dann Zeit zu warten.
„überaus häufig ist man dann geneigt eine vernünftige Lösung (Einstellung) gegen Rücknahme des Befangenheitsantrags zu finden“
Wer sich auf eine solche Erpressung einlässt, ist selbst schuld. Die absolute Mehrzahl der Richter dürfte nach Einreichung eines solchen Befangenheitsantrages keinerlei Interesse mehr haben, Betroffenen oder Verteidiger auch nur noch einen Funken entgegenzukommen. Und sei es auch nur die Anberaumung eines späteren Termins, um den Eintritt des Fahrverbots in den Urlaub zu legen.
„Schöne“ Formulierung eines Richters (?):
„Die absolute Mehrzahl der Richter dürfte nach Einreichung eines solchen Befangenheitsantrages keinerlei Interesse mehr haben, Betroffenen oder Verteidiger auch nur noch einen Funken entgegenzukommen.2.
Geht es denn um „Entgegenkommen“? Sie haben in meinen Augen eine recht eigenartiges Verständnis vom Straf-/Bußverfahren.
Das beruht auf Gegenseitigkeit, Herr Burhoff.
Und für diejenigen, die vielleicht (im Gegensatz zu ihnen) nicht wissen, was ich meine: Miracolix beschreibt einen Befangenheitsantrag, der nichts wegen wirklicher Besorgnis der Befangenheit, sondern allein aus taktischen Gründen mit dem Ziel einer Terminsverlegung gestellt wird und behauptet, das (allein) würde Richter schon dazu bringen, ein Verfahren, welches sie bisher nicht einstellen wollten, nun doch einzustellen. Ich halte das schlechterdings für Unsinn. Ich jedenfalls komme einem solchen Verteidiger nicht auch noch über Gebühr entgegen.
Das Sie, der Sie jeden noch so miesen Trick hier feiern, nicht verstehen wollen, ist mir klar. Aber für Sie kommentierte ich hier auch nicht, sondern für Betroffene, die sich vielleicht fragen, ob ein bestimmtes Vorgehen sinnvoll ist, oder nicht, und die durchaus auch Mal eine andere Position erkennen dürfen.
Nein! Der Befangenheitsantrag ist wohl begründet weil der/die Richter/in nicht gemäß den geltenden Gesetzten entbinden will. Die Voraussetzungen lagen selbstverständlich vor.
Die Einstellung des Verfahrens wurde/wird erreicht weil unzweifelhaft feststeht daß der Betroffene nicht der Täter gewesen sein kann. Das wurde zuvor schlicht ignoriert (und ist Teil der Begründung des Befangenheitsantrags).
Ich glaube, ich habe es schon mal geschrieben: Sie sollten mit Ihrer Wortwahl vorsichtig sein. „miese Tricks“ und „feiern“ ist mehr als unpassend.
Und um im Jargon zu bleiben: Sie „feiern“ dich jeden nioch so „miesen Trick“, mit dem „gesund gebetet“ wird. Es ist für mich erschreckend, wie in vielen Fällen mit den Rechten von Angeklagten und Betroffenen umgegangen wird.
@ Miraculix:
Ich habe Ihren Kommentar (auch) auf einen Fall wie den im Beitrag beschriebenen bezogen, in welchem die Nichtentbindung – wie die Entscheidung des OLG belegt – gerade nicht willkürlich, sondern zwingend geboten war. Selbstverständlich gibt es auch Fälle, in denen eine Nichtentbindung die Besorgnis der Befangenheit begründen kann, und in Zweifelsfällen ist eine Ablehnung sicher völlig legitim. Dass sie aber häufig zu einer Einstellung des Verfahrens führt, halte ich nach wie vor für unwahrscheinlich.
@ Burhoff:
Nun, Ihre Beiträge strotzen natürlich nur so vor Respekt für andere:
„Da hat sich ein “Hiwi” viel Mühe gemacht. Gibt sicher ein Fleißkärtchen 🙂 .“
„58 Punkte in Flensburg glauben wir, oder: “Habt Ihr sie noch alle?”
„Wenn “Gottvater”/der Richter einmal anruft, oder: Die gescheiterte Terminsabsprache“
Alles aus den letzten Wochen.
Sie unterstellen mir ein „eigenartiges Verständnis vom Straf-/Bußverfahren“. Wenn ein Verteidiger in einem Fall, in dem ich schriftlich eine Einstellung angeboten habe, ein Einspruchsrücknahme faxt (das kommt vor), rufe ich ihn an und frage, ob er sich vielleicht im Aktenzeichen geirrt hat (was immer bestätigt wird). Wenn mich ein Verteidiger anruft und mir sagt, der Betroffene wolle das Fahrverbot lieber in den Sommerferien „nehmen“, verlege ich selbstverständlich den Termin. Ich verlege auch bei beruflicher Verhinderung, obwohl ich nicht muss. Der Betroffene erhält die ihn betreffende Messdatei, weil ich das in einem fairen Verfahren für geboten erachte, und wenn er das ganze vor dem Termin beantragt und nicht erst in der Verhandlung mit dem Ziel der Verzögerung. Hinweise werden frühzeitig erteilt, selbst zu vor dem Termin eingereichten Gutachten und Beweisanträgen nehme ich immer vor dem Termin Stellung. Ich glaube nicht, dass man mir vorwerfen kann, mit den Rechten von Angeklagten und Betroffenen problematisch umzugehen. Aber ich glaube, dass ich ziemlich genau unterscheiden kann zwischen legitimen Verhalten und miesen Tricks. Und ein bewusst versteckter Entbindungsantrag ist für mich ein „mieser Trick“, genauso wie irgendwelche bewussten Spielchen mit der Zustellungsvollmacht. Das hat in diesen Fällen übrigens die Rechtsprechung der OLGs bestätigt. Die Sie dann kritisiert haben.
Vielleicht sollten Sie einfach mal in Erwägung ziehen, dass sich nicht sämtliche OLGs, Amtsgerichte, Staatsanwaltschaften, Bußgeldbehörden, die Polizei und die PTB zusammen geschlossen haben, um dem Betroffenen widerrechtlich zu schaden. Aber stattdessen schreiben Sie hier in einer Tour von „Gesundbeten“ und „Teufelskreis“, wenn Ihnen die Argumentation der anderen Seite nicht gefällt. Es ist schade, dass Sie auf diese Weise ein ums andere mal die Sachebene verlassen.
So, ich denke, die Argumente sind ausgetauscht. Bevor ich hier mit meiner Wortwahl vorsichtig sein muss, verabschiede ich mich lieber aus der Diskussion.
> Dass sie aber häufig zu einer Einstellung des Verfahrens führt, halte ich
> nach wie vor für unwahrscheinlich.
Der Befangenheitsantrag selbst natürlich nicht. Die Einstellung wäre allerdings bereits vorher geboten gewesen. Nach dem Antrag hat man sich mit der Argumentation erstmalig befasst.
@ Briag: Ist vielleicht besser. denn Sie wollen einfach nicht (ein)sehen, wie über vieles hinweg gebügelt wird.
Diese Bügelei ist leider weit verbreitet.
Insbesondere wenn keine Rechtsmittel mehr vorgesehen sind,.
@Briag: Da geht es schon weiter. Was hat denn der Zeitpunkt der Antragstellung mit der Frage der umfassenden Akteneinsicht und damit mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren zu tun? Wenn bei „nicht rechtzeitiger Antragstellung“ die Einsicht nicht gewährt wird, geht es alleine um die Disziplinierung des Verteidigers.