AG Daun: Die digitalen Fallsätze usw. bekommt der Betroffene, aber nicht die Lebensakte

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle – der AG Daun, Beschl. v. 15.11.2017 – 4 OWi 68/17 – ist schon mal gelaufen. Allerdings (zum Glück) nicht bei mir, sondern beim Kollegen Gratz, bei dem ich sie mir „besorgt“ habe. Es geht auch wieder um Einsicht und Zurverfügungstellen von Messdaten pp. Das AG sagt: Der Verteidiger/Betroffene erhält „die digitalen Falldatensätze inclusive der unverschlüsselten Rohmessdaten der gesamten Messerie, den Public Key, die Caselist und die Statistikdatei zur Messerie auf einem von ihm bereitgestellten Speichermedium,  „Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise seit der ersten Inbetriebnahme des Geschwindigkeitsmessgerätes“ , also quasi die Lebensakte gibt es nicht. Aus der Begründung:

„Auszugehen ist dabei davon, dass ein Betroffener oder ein Verteidiger- wie von der Zentralen Bußgeldstelle zutreffend erkannt- bei Ordnungswidrigkeiten im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung nicht pauschal behaupten kann, die Richtigkeit der Messung werde angezweifelt. Er muss vielmehr- da es sich bei dem Geschwindigkeitsmessverfahren mittels Vitronic Poliscan Speed um ein sogenanntes standardisiertes Geschwindigkeitsmessverfahren handelt, bei dem durch die PTB im Wege antizipierten Sachverständigengutachtens die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Messung festgestellt wurde – in jedem einzelnen Verfahren konkrete Anhaltspunkte dafür darlegen, die für eine Unrichtigkeit der Messung sprechen könnten. Erst wenn ihm das gelingt, bedarf es einer gerichtlichen Beweisaufnahme gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber, ob im konkreten Fall tatsächlich eine richtige Messung stattgefunden hat, die den Bußgeldvorwurf begründet.

Dabei ergibt sich insbesondere aus der Entscheidung des AG Meißen vom 29. Mai 2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14- nichts Anderes. …..

Da aber jedenfalls die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung vom Betroffenen einen detaillierten Vortrag im Hinblick auf etwaige konkrete Mängel des Messverfahrens verlangt, muss der Betroffene bzw. sein Verteidiger in der Lage sein, konkrete, die Amtsaufklärungspflicht auslösende Anhaltspunkte für Messfehler vorzutragen. Hierfür aber wiederum benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen und insbesondere zum Messfilm bzw. zu den kompletten Messdaten der Messserie. Erst die Auswertung dieser Daten – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen- versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem Sachvortrag.

Datenschutzrechtliche Bedenken stehen dem zur Überzeugung des Gerichtes nicht entgegen. Dies wird – soweit erkennbar und bereits veröffentlicht- in der Rechtsprechung ebenso beurteilt (Beschluss des OLG Koblenz vom 23.10.2013- 2 SsRs90/13; Beschluss des AG Landstuhl vom 06.11 .2015-2 OWi 4286 Js 2298/15 -; Beschluss des AG Heidelberg vom 14.06.2013-16 OWi 447/13; Beschluss des AG Schleiden vom 23.10.2012- 13 OWi ·140112 (b); Beschluss des AG Kassel vom 27.02.2015- 381 OWi -9673 Js 32833/14 -; Beschluss des AG Königs Wusterhausen vom 17.03.2015-2.4 OWi 282/14 -;Beschluss des LG Trier vom 14.09.2017- 1 Qs 46/17 -).

Schon rein tatsächlich ist insoweit festzustellen, dass zwar ein Verteidiger und/oder ein privater Sachverständiger bei Einsicht in die gesamte Messreihe zwangsläufig auch andere Fahrzeuge sehen, welche eine Messung ausgelöst haben. Ob hierbei tatsächlich Erkenntnisse gewonnen werden, deren Missbrauch gegenüber den anderen Fahrzeugführern zu befürchten ist, dürfte bezweifelt werden. Mindestvoraussetzung dürfte sein, dass der Einsicht nehmende spontan ein Fahrzeug bzw. einen Fahrzeugführer erkennt. Dies ist aber äußerst unwahrscheinlich. Erst recht ist nicht zu erkennen, welche (unzulässigen) Informationen bzw. Schlussfolgerungen diese hieraus ziehen könnten. Dies gilt umso mehr, als der aufgezeichnete und feststellbare Lebenssachverhalt aus einer derartigen Maßnahme nur einen äußerst kurzen Zeitraum betrifft.

Wägt man das Interesse des Betroffenen an einer ordnungsgemäßen Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung mit dem Interesse anderer abgebildeter Verkehrsteilnehmer ab, hat das Interesse der anderen abgebildeten Verkehrsteilnehmer gegenüber dem Einsichtsrecht zurückzustehen. Hierbei ist insbesondere die Erwägung von Bedeutung, dass die anderen abgebildeten Personen sich durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle ihres Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei ausgesetzt haben. Dann kann es für diese Personen auch keinen überragenden Persönlichkeitseingriff darstellen, wenn sie im Zusammenhang mit einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Maßnahme bzw. im Zusammenhang mit der Überprüfung derselben sich mit einer äußerst geringen, gegen null gehenden Wahrscheinlichkeit dem Risiko ausgesetzt sehen, zufällig erkannt zu werden. Die Bußgeldstelle war also antragsgemäß zur Herausgabe der Daten der gesamten Messerie zu verpflichten.

3. Es besteht jedoch kein Anspruch des Beschwerdeführers auf Beiziehung einer Lebensakte des verwendeten Geschwindigkeitsmessgerätes, von (weiteren) Eichscheinen und Nachweisen über Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe an dem Messgerät gemäß § 31 Abs. 2 Ziffer 4 MessEG…..“

Und weiter bitte aus der umfangreichen Begründung bitte selbst lesen 🙂 . Zusammenfassen könnte man die unter: Eine Lebensakte wird nicht geführt, es gibt dazu auch keine gesetzliche Verpflichtung. Na ja, kann – muss? – man auch anders sehen. Aber das AG arbeitet sich zumindest an der vorliegenden (obergerichtlichen) Rechtsprechung ab.

 

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