Heute dann mal ein Tag mit drei Entscheidungen zu Durchsuchungsfragen. Zunächst dazu das BGH, Urt. v. 26.04.2017 – 2 StR 247/16 -, schon etwas älter, aber erst vor kurzem auf der Homepage des BGH veröffentlicht. Es geht um sog. legendierte Polizeikontrollen auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:
Es handelt sich um ein BtM-Verfahren. Der Angeklagte hatte in den Niederlanden Kokain übernommen und beabsichtigte, dieses nach Deutschland einzuführen. Als die Kriminalpolizei Frankfurt am Main über einen am Fahrzeug des Angeklagten angebrachten Peilsender feststellte, dass sich der Angeklagte wieder auf der Autobahn in Deutschland befand, entschloss sie sich, das Fahrzeug von der Verkehrspolizei Wiesbaden im Rahmen einer Verkehrskontrolle anhalten und durchsuchen zu lassen, um die mitgeführten Betäubungsmittel sicherzustellen. Dabei wurden im Inneren des Fahrzeugs mehrere Päckchen Kokain aufgefunden. Ein richterlicher Beschluss für die Durchsuchung des Fahrzeugs, der die Offenbarung der im Hintergrund geführten verdeckten Ermittlungen zur Folge gehabt hätte, wurde nicht eingeholt, um den Hintermann nicht zu warnen. Der Ermittlungsrichter in Limburg erließ gegen den Beschuldigten Haftbefehl in Unkenntnis der im Hintergrund laufenden Ermittlungen in Frankfurt am Main. Erst nach Festnahme des Hintermanns, aber noch vor Anklageerhebung gegen den Beschuldigten, wurden die Erkenntnisse aus dem in Frankfurt am Main geführten Ermittlungsverfahren offengelegt.
Der Angeklagte hat im Verfahren ein Beweisverwertungsverbotr geltend gemacht. Ohne Erfolg. Hier zunächst die Leitsätze der für BGHSt bestimmten Entscheidung:
- Zur Rechtmäßigkeit sogenannter legendierter Kontrollen.
- Es gibt weder einen allgemeinen Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt. Die Polizei kann auch während eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens aufgrund präventiver Ermächtigungsgrundlagen zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werden.
- Ob auf präventiv-polizeilicher Grundlage gewonnene Beweise im Strafverfahren verwendet werden dürfen, bestimmt sich nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO.
Der BGH sieht in seiner Entscheidung die polizeirechtliche Durchsuchung als zulässig an. Die Fahrzeugdurchsuchung sei zwar nicht nach § 36 Abs. 5 StVO, wohl aber nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 HSOG gerechtfertigt. Einer vorherigen richterlichen Anordnung habe es nach diesen Vorschriften nicht bedurft. Die gefahrenabwehrrechtlichen Vorschriften gestatteten insbesondere auch die Suche nach illegalen Betäubungsmitteln (BGH NStZ-RR 2016, 176). Die wegen Art. 13 GG strengeren Voraussetzungen für die Durchsuchung von Wohnungen (vgl. §§ 38, 39 HSOG) würden für eine Fahrzeugdurchsuchung nicht gelten.
Der Auffassung stehe Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs nicht entgegen, etwa zum Lockspitzeleinsatz (BGHSt 45, 321, 337 f.) oder einer durch die Polizei vorgetäuschten „allgemeinen“ Verkehrskontrolle, nachdem die Polizei zuvor Luft aus dem Reifen des Täterfahrzeugs gelassen hatte (BGH NStZ 2010, 294, wobei wohl auch dort davon ausgegangen werde, dass bei einer legendierten Kontrolle sichergestellte Betäubungsmittel grundsätzlich zu Beweiszwecken verwertbar sind; vgl. auch BGH NStZ-RR 2016, 176).
Der BGH verneint dann ein Verwertungsverbot: Die aufgrund der gefahrenabwehrrechtlich zulässigen Fahrzeugdurchsuchung gewonnenen Erkenntnisse könnten nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO gegen den Angeklagten im Strafverfahren verwendet werden. Die Vorschrift regele die Verwendung von Daten im Strafverfahren, die durch andere – nichtstrafprozessuale – hoheitliche Maßnahmen erlangt wurden. Gedanklicher Anknüpfungspunkt sei die Idee des hypothetischen Ersatzeingriffs als genereller Maßstab für die Verwendung von personenbezogenen Informationen zu Zwecken des Strafverfahrens, die nicht auf strafprozessualer Grundlage erlangt worden. Damit komme es bei der „Umwidmung“ von auf präventiv-polizeilicher Rechtsgrundlage erlangter Daten nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO gerade nicht darauf an, ob die formellen Anordnungsvoraussetzungen nach der StPO, wie hier etwa das Vorliegen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung, gewahrt worden sind. Diese Voraussetzungen des § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO seien vorliegend gegeben. Die Erkenntnisse aus der Fahrzeugdurchsuchung dienten zur Aufklärung einer „schweren Straftat“ im Sinne des § 100a Abs. 2 Nr. 7 StPO, aufgrund derer eine Durchsuchung nach der StPO ohne Weiteres hätte angeordnet werden dürfen. Dem stehe nicht entgegen, dass die gefahrenabwehrrechtliche Durchsuchung des Kraftfahrzeugs grundsätzlich auch ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss zulässig ist. Entscheidend ist, dass ein Ermittlungsrichter bei hypothetischer Betrachtung einen entsprechenden richterlichen Durchsuchungsbeschluss auf strafprozessualer Grundlage zweifelsfrei erlassen hätte.
Allerdings: Der BGH sieht das Verhalten der Ermittlungsbehörde, die in Frankfurt geführten Hintergrundermittlungen gegen den Angeklagten zunächst nicht aktenkundig zu machen und damit dem Ermittlungsrichter in Limburg einen unvollständigen Sachverhalt zu unterbreiten, im Hinblick auf den Fair-Trial-Grundsatz und das Gebot der Aktenwahrheit und der Aktenvollständigkeit nicht unbedenklich. Das im Vorverfahren tätige Gericht müsse den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können, denn es müsse in einem rechtsstaatlichen Verfahren schon der bloße Anschein vermieden werden, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen (BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2016 – 2 BvR 2474/14, StV 2017, 361, 362 f.).
Also, Ja, aber…..
Ist am Anfang des 5. Absatzes („assung stehe Rechtsprechung anderer Senate…“) etwas verschüttet gegangen (drucktechnische „Leiche“ 😉 )?
Danke. Jetzt nicht mehr.
Puh, da schrappt der BGH aber an der Leitplanke entlang. Und das bei der zunehmenden Verselbständigung des Ermittlungsverfahrens. Demnächst kauft man dann noch private Ermittlungsergebnisse, wenn weder das starre StPO-Korsett noch die präventiv polizeilichen Mittel eine gewünschte Zielvorstellung realisieren lassen.
@Niels Hoffmann:
Sie meinen z.B. Steuer-DVDs von privat ermittelnden Datenentwendern?
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