Standard beim standardisierten Messverfahren, oder: Beton, auch aus Hamm

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File: Skulptur Kurfürstendamm 22 (Charl) Betonmischer Krzysztof Olszewski.jpg

Ja, Standard beim standardisierten Messverfahren, das ist leider inzwischen Beton, wenn es um die Frage der Zurverfügungstellung von Messdaten an den Betroffenen geht, um die Messung ggf. durch einen eigenen Sachverständigen überprüfen lassen zu können. Die OLG wollen das das nicht und rücken die entsprechenden Daten nicht heraus bzw. decken amtsgerichtliche Rechtsprechung, die die Daten nicht herausgibt. Und wir lesen dort dann immer den Hinweis auf den „unseligen“ OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 (dazu: „Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0) oder auf die Geschichte mit dem „antizipierten Sachverständigengutachten“, die die OLG inzwischen wie einen heiligen Gral vor sich hertragen (unschön auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss(OWi) 40/17 und dazu OLG Oldenburg zur Akteneinsicht, oder: Teufelskreis II bzw.: Was stört mich mein Geschwätz von gestern?). So auch jetzt wieder das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v.  10.03.2017 – 2 RBs 202/16, den mir der Kollege Geißler aus Wuppertal, der den Beschluss „erlitten“ hat, übersandt hat. Er lässt sich dahin zusammen fassen: Irgendwelche Messdaten gibt es nicht, die brauchst du nicht, du hast die Entscheidung des AG hinzunehmen:

„1. ….Damit ist der Tatrichter unter Befreiung von dem Verbot der Beweisantizipation befugt, Beweisanträge zurückzuweisen, solange er seine Aufklärungspflicht dadurch nicht verletzt (Göhler OWiG, 16. Aufl., § 77, Rdnr. 11). Diese Voraussetzungen lagen vor, insbesondere nach der zeugenschaftlichen Vernehmung des Messbeamten und der Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts des auf ihn ausgestellten Schulungsnachweises, war das Gericht von der ausreichenden Schulung des Messbeamten überzeugt. Der Umstand, dass der Schulungsnachweis des Messbeamten vom 13.10.2010 datiert, die Schulung zurzeit der hier in Rede stehenden Messung also bereits gut fünf Jahre zurücklag, musste das Tatgericht nicht zu Zweifeln an der Befähigung des Messbeamten oder an der Richtigkeit der Messung veranlassen. Denn es fehlt jeglicher konkrete Hinweis, dass die erteilte Bescheinigung auf eine bestimmte Softwareversion des Messgerätes beschränkt war oder dass die zwischenzeitliche Einführung neuer Softwareversionen grundlegende Änderungen in Bezug auf die praktische Handhabung des Messgeräts mit sich gebracht hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.07.2014 — IV-1 RBS 50/14, zitiert nach juris).“

Diesen zutreffenden Ausführungen, die auch nicht durch die Einwendungen des Betroffenen in der Zuschrift seines Verteidigers vom 10.11.2016 in Frage gestellt werden, schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

2. Die gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO in zulässiger Weise erhobene Rüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags, der Bußgeldbehörde aufzugeben, die unverschlüsselten Rohmessdaten der Messung nebst Schlüssel und Token herauszugeben und der Verteidigung in diese Daten Einsicht zu gewähren, ist ebenfalls unbegründet.

Es stellt keinen Ermessensfehler dar, dass das Amtsgericht den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für hinreichend geklärt erachtet und die beantragte Beweiserhebung als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich bezeichnet hat (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Nach ständiger Rechtsprechung aller Senate des OLG Hamm (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 18.01.2011 -III-2 RBs 9/11 und vom 31.01.2011 – III-2 RBs 2/11; Beschlüsse vom 11.08.2014 – III-1 RBs 84/14, vom 06.03.2014 -III-3 RBs 30/14 – und vom 04.04.2011 – III-5 RBs 55/11 -; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.07.2015 — IV-1 RBs 200/14, juris) stellt die Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät PoliScan Speed des Herstellers Vitronic ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der hierzu einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs dar (BGHSt 39, 291 ff. und 43, 277 ff.). Dies gilt auch für die Gerätesoftware 3.2.4, die – anders als die Vorgängerversionen – in Kombination mit der seit 24. Juli 2013 zugelassenen Auswertesoftware 3.45.1 erstmals einen erweiterten Datenexport zwecks nachträglicher Einsichtnahme in Positionsdaten ermöglicht. Dass hierbei nach wie vor nicht sämtliche Rohmessdaten, sondern nur die Zeit sowie Koordinaten für fünf markante Punkte offengelegt werden, stellt die Anerkennung des Systems als standardisiertes Verfahren nicht in Frage. Die Sicherstellung der Messrichtigkeit und Messzuordnung wurde und wird über die nach umfangreichen Felduntersuchungen erfolgte Zulassung der PTB gewährleistet (OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – 2 Ss OWi 1041/14 -, juris).

Mit der Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass das zugelassene Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren bietet, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse erwarten lassen. Anlass zur Überprüfung der im Einzelfall erfolgten Geschwindigkeitsermittlung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen besteht daher nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Messtechnik als solche strukturell angelegte, bei der Zulassung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigte Fehler aufweist, oder wenn die Prüfung des konkreten Messvorgangs ergeben hat, dass Anwendungsfehler (so zum Beispiel die Nutzung eines nicht gültig geeichten Gerätes oder ein Verstoß gegen die Zulassungsbedingungen der PTB) möglicherweise ergebnisrelevanter Art vorlagen (vgl. zu alledem OLG Frankfurt, a.a.O, juris).

Nach den aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts wurde das Messgerät nach den Vorgaben der Gebrauchsanweisung durch den mit der konkreten Messung betrauten und geschulten polizeilichen Messbeamten bedient und es ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion.

Aufgrund dessen ist das Amtsgericht zu Recht, nachdem auch der erforderliche Toleranzabzug vorgenommen wurde, von der Richtigkeit des Messergebnisses ausgegangen.

Vor diesem Hintergrund musste sich das Amtsgericht nicht veranlasst sehen, das Messergebnis in Zweifel zu ziehen und durfte daher den Beweisantrag gern. § 77 Abs. 2 Nr, 1 OWiG zurückweisen, da Anhaltspunkte für eine Fehlmessung oder Fehlfunktion des Gerätes fehlten und der Betroffene solche auch nicht aufgezeigt hatte.

Durch die Ablehnung des Antrags des Betroffenen, ihm die unverschlüsselte Messdatei zur Verfügung zu stellen, damit er diese durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen auf etwaige Messfehler untersuchen lassen könne, um diese dann in Form eines (weiteren) konkreten Beweisantrags gegenüber dem Gericht anzubringen, wurde, nachdem das Amtsgericht sich von der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung durch die Beweisaufnahme überzeugt hatte, entgegen der Auffassung des Betroffenen auch nicht der Grundsatz des fairen Verfahrens oder sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende und in Art. 6 Abs. 1 MRK positiv-rechtlich normierte Grundsatz des fairen Verfahrens bedarf wegen der begrifflichen Unbestimmtheit der Konkretisierung durch die Fachgerichte im Einzelfall. In Straf- und Bußgeldverfahren ist dieser Grundsatz insbesondere dann tangiert, wenn dem Betroffenen die Möglichkeit zu effizienter Verteidigung nicht gewährt oder gar genommen wird. Eine effiziente Verteidigung beinhaltet ein Teilhaberecht des Betroffenen an der Sachaufklärung. Die Verfahrensregeln gewährleisten dies unter anderem durch die ihm eingeräumten Rechte, mit sachdienlichen Anträgen an der Ermittlung des tatsächlichen Geschehens mitzuwirken, um ihm so die Chance zu geben, ein für ihn günstiges Ergebnis zu erzielen.

Das fair-trial-Prinzip verfolgt indes keinen Selbstzweck. Ein Angeklagter bzw. Betroffener kann hieraus nicht ableiten, dass die Gerichte jedwedem Begehren der Verteidigung, mag es auch aus seiner Sicht sinnvoll erscheinen, nachzukommen haben. Die Anforderungen an die tatrichterliche Untersuchung sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei standardisierten Messverfahren geringer, als dies sonst der Fall ist. Das Gericht muss in solchen Fällen nur dann Anhaltspunkten nachgehen, wenn sie sich aus den äußeren Umständen ergeben. Die Prüfung, ob derartige Anhaltspunkte gegeben sind, kann logischerweise nicht darauf hinauslaufen, dass die Messdatei mithilfe eines Sachverständigen überprüft werden müsste. Denn wollte man dies fordern, so wäre das standardisierte Messverfahren letztlich ad absurdum geführt. Durch dieses Instrument soll der Tatrichter gerade davon entbunden werden, in jedem Einzelfall die Messdatei auf etwaige Fehlerquellen durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen (vgl. eingehend hierzu OLG Bamberg, Beschluss vom 04. April 2016 — 3 Ss OWi 1444/15 —, juris).“

„Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)“ und  „Art. 6 Abs. 1 MRK– in meinen Augen alles nur leere Worthülsen. Umgesetzt werden die Forderungen, die darin stecken nicht. Dem Betroffenen wird vielmehr unter Hinweis auf die „heilige Kuh“: Standardisiertes Messverfahren, jede Möglichtkeit zur Überprüfung der Messung genommen. Das muss aber auch beim standardiesierten Messverfahren möglich sein – so Cierniak in zfs 2012, 664 ff. Und das ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des BGH. Anders ist der „dezente Hinweis“ – so zutreffend auch Krenberger zfs 2017, 174 in der Anm. zu AG Würzburg zfs 2017, 174 – in BGHSt 39, 291 auf BGHSt 28, 235 nicht zu verstehen.

Die Auffassung der OLG führt zudem zu einer Umkehr der Beweislast zu Lasten des Betroffenen. Vielleicht geht dann ja doch (endlich) mal ein Verteidiger nach Karlsruhe. Wie war das noch mit dem „Objekt des Verfahrens“?

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