Archiv für den Monat: Dezember 2016

Verfahrensrüge I, oder: Bitte nicht selbst ein Bein stellen….

entnommen wikimedia.org Urheber Harald Bischoff

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Urheber Harald Bischoff

Jeder Revisionsrechtler weiß, Verfahrensrügen haben häufig keinen Erfolg. Das wird allseits beklagt und darauf hingewiesen, dass die Revisionsgerichte die Hürden für die Zulässigkeit der Rügen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) zu hoch legen. Aber: Man muss natürlich als Verteidiger auch etwas dazu tun, damit man die Hürde zumindest im Zulässigkeitsbereich überspringt, man darf sich also nicht selbst ein Bein stellen. Und daran hat es an der vom BGH im BGH, Beschl. v. 10.10.2016 – 4 StR 100/16 – behandelten Revision gefehlt. Gepasst hat da fast gar nichts:

Ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts ist hinsichtlich der Verfahrensrügen anzumerken:

„Die im Zusammenhang mit der Beschaffenheit des Hochbettes erhobenen Verfahrensrügen sind nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die in den Beweisanträgen jeweils in Bezug genommene und als Anlage beigefügte Abbildung von der Revision nicht vorgelegt wird. Des Weiteren teilt die Revisionsbegründung den Inhalt des Beweisantrags vom 2. Juli 2015, auf den in dem Beweisantrag auf Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens verwiesen worden ist, nicht mit. Der zu dem Beweisantrag vom 2. Juli 2015 ergangene Beschluss der Strafkammer vom 10. Juli 2015 ist in der am letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist per Telefax übermittelten Fassung der Revisionsbegründung wegen der vom Absender vorgenommenen Verkleinerung von zehn Seiten auf eine Telefaxseite nicht lesbar. Eine Verfahrensrüge bezüglich des sich auf den Zeitpunkt des Umzugs beziehenden Beweisantrags auf Vernehmung der Zeugin F. ist der Revisi onsbegründung nicht zu entnehmen.

Die einen Belehrungsmangel im Zusammenhang mit der Untersuchung des Nebenklägers im Rahmen der aussagepsychologischen Begutachtung geltend machende Verfahrensbeanstandung dringt nicht durch. Soweit die unterbliebene Einholung des Einverständnisses des gesetzlichen Vertreters beanstandet wird, ist die Rüge mangels Vorbringens zur Verstandesreife des Nebenklägers bereits unzulässig. Soweit geltend gemacht wird, dass die für die Verwertbarkeit des Gutachtens erforderliche Belehrung des Nebenklägers über sein Recht, die Mitwirkung an der Begutachtung verweigern zu können, nicht durch die hierfür zuständige Staatsanwaltschaft erfolgt ist, ist die Verfahrensbeschwerde unbegründet. ……………..“

Wie gesagt: Man muss sich nicht selbst ein Bein stellen…

Und noch mal Akteneinsicht, oder: Verjährung bei der elektronischen Akte

© kostsov - Fotolia.com

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Und dann noch eine Entscheidung zur Akteneinsicht außerhalb des Mainstreams Messdaten usw. (vgl. dazu auch schon den AG Bad Saulgau, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 OWi 273/16 und Mal was anderes zur Akteneinsicht, oder: Einsicht in die Bußgeldakte des Unfallgegners). Hier handelt es sich um den AG Bremen, Beschl. v. 01.11.2ß16 – 74 OWi 640 Js 16526/16 (179/16). Es geht um die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung, weil dem AG nur ein nicht ordnungsgemäßer Ausdruck einer elektronischen Akte übersandt worden ist und auch nicht rechtzeitig nachgebessert wurde. Dazu das AG:

„Es besteht ein Verfahrenshindernis nach § 206a StPO, da eine ordnungsgemäße Akte nicht vorliegt und auch nicht vorgelegt werden kann. Übersandt wurde der Ausdruck einer bei der Verwaltungsbehörde elektronisch geführten Akte, die nicht die von § 110b Abs. 2 OWiG vorgeschriebenen Vermerke aufweist, obwohl die Akte offensichtlich eingescannte Dokumente enthält. § 110b Abs. 3 OWiG regelt, dass ein elektronisches Dokument, das unter Beachtung von § 110b Abs. 2 OWiG erstellt wurde, grundsätzlich die Papierakte ersetzt und für das Verfahren zugrunde zu legen ist. Ein Ausdruck dieses elektronischen Dokuments kann dann auch nach §§ 110b Abs. 3, 110d Abs. 3 OWiG für das gesamte weitere Verfahren, also auch das Gerichtsverfahren, die Akte darstellen. Wenn aber die elektronische Akte nicht ordnungsgemäß erstellt wird, dann ist der Ausdruck der elektronischen Akte im Umkehrschluss zu §§ 110b Abs. 3, 110d Abs. 3 OWiG nicht dem Verfahren zugrunde zu legen.

Entgegen § 110b Abs. 2 S.3 OWiG konnten trotz Anforderung binnen zwei Monaten weder die Originalunterlagen noch ein dem § 110b Abs. 2 OWiG entsprechender Ausdruck von der Verwaltungsbehörde vorgelegt werden, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass eine ordnungsgemäße Akte vor Verjährungseintritt auch nicht mehr hergestellt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, wobei zu berücksichtigen war, dass bei Übersendung der Unterlagen im Original oder mit Vermerken nach § 110b Abs. 2 OWiG aufgrund der vorliegenden Ausdrucke davon auszugehen ist, dass eine Verurteilung des Betroffenen wegen der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.“

Hätten Sie es gewusst?

Mal was anderes zur Akteneinsicht, oder: Einsicht in die Bußgeldakte des Unfallgegners

© Gerhard Seybert - Fotolia.com

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Zur Akteneinsicht heute mal etwas ganz anderes – also keine Bedienungsanleitung, keine Messdaten, keine Tokken oder sonst etwas. Sondern: Einsicht in die Bußgeldakte des Unfallgegners. Die hatte der Kollege Kabus aus Bad Saulgau bei der Bußgeldbehörde beantragt und die hatte abgelehnt. Dagegen dann der Antrag des Kollegen auf gerichtliche Entscheidung, der beim AG Bad Saulgau Erfolg hatte. Dazu der AG Bad Saulgau, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 OWi 273/16:

„Dem Verteidiger des Betroffenen darf nicht verwehrt werden, Einsicht in die Bußgeldakte des Unfallgegners zu nehmen. Er hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Akteneinsicht, da sich aus dieser Akte Umstände ergeben können, welche seinen Mandanten entlasten.

Die Bedenken der Bußgeldbehörde hinsichtlich des Rechts des Unfallgegners auf informationelle Selbstbestimmung sind durchaus berechtigt. Diesen Bedenken kann aber dadurch begegnet werden, dass die entsprechenden Aktenteile nicht ausgekehrt bzw. – in Kopie – geschwärzt werden.

Im Übrigen ist zu bedenken, dass der Betroffene in einem möglichen Zivilverfahren unproblematisch Akteneinsicht erhalten würde, da hier die entsprechenden Ermittlungsakten regelmäßig beigezogen und zum Gegenstand einer mündlichen Verhandlung gemacht werden. Auch dies spricht dafür, dass dem Verteidiger des Betroffenen die Akteneinsicht vorliegend nicht verwehrt werden darf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 OWiG, § 473 a StPO.“

M.E. zutreffend….

StPO-Reform: Da ist der Regierungsentwurf, oder: Was man dann doch (lieber) geändert hat

© Berlin85 - Fotolia.com

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So, alle Leser Weihnachten gut überstanden? Wenn ja, können wir ja beschwingt und gut gelaunt in die letzte (Arbeits)Woche des Jahres 2016 starten. Und den Startschuß gebe ich dann mit diesem Posting:

Ich hatte ja schon mehrfach über die geplante StPO-Reform berichtet. Zuletzt habe ich dazu im Sommer des Jahres in Zusammenhang mit dem Referentenentwurf gepostet (s. StPO-Reform: Da ist der Referentenentwurf – Bauplan für ein Denkmal der Effektivität?). Inzwischen sind wir ein Stück weiter. Das Bundeskabinett hat am 14.12.2016 dann den Regierungsentwurf „eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ beschlossen.

Ich will jetzt hier nicht auf alle geplanten Änderungen eingehen. Dafür ist es vielleicht noch wenig früh, zumal man ja auch nie weiß, was das Gesetzgebungsverfahren denn so alles bringt. Ich will mich heute mit ein paar Hinweisen darauf beschränken, wo der Regierungsentwurf und der Referentenentwurf konform, aber auch, wo sie sich unterscheiden. An Letzterem kann man dann sehen, was so hinter den Kulissen abgelaufen ist bzw. sein dürfte bei der Anhörung der Verbände usw. Im Einzelnen.

  • Nicht mehr enthalten ist das vom Referentenentwurf dem Beschuldigten eingeräumte Recht, schon im Ermittlungsverfahren bei der StA einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu stellen, der dann unverzüglich hätte beschieden werden müssen. Damit bleibt es dabei, dass der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren kaum Möglichkeiten hinsichtlich der Bestellung eines Pflichtverteidigers hat und vom „Good will“ der Staatsanwaltschaft abhängt. Der neue § 141 Abs. 3 Satz 3 StPO ist da nur ein geringer Ausgleich.
  • Entfallen ist auch die (teilweise) zwingende audiovisuelle Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen (§ 58a StPO). Allerdings muss die richterliche, staatsanwaltliche oder polizeiliche Vernehmung eines Beschuldigten in Bild und Ton aufgezeichnet werden, wenn dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen, oder wenn schutzwürdige Interessen des Beschuldigten durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
  • Ebenfalls nicht aufgenommen worden ist das im Referentenentwurf vorgesehene Verbot der Überwachung von  Anbahnungsgespräche zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten.
  • Der Referentenentwurf hatte die Verpflichtung des Vorsitzenden enthalten, in umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung vor der Terminsbestimmung mit dem Verteidiger, der Staatsanwaltschaft und dem Nebenklägervertreter zu erörtern. Vorgesehen war das für Verfahren, die voraussichtlich länger als drei HV-Tage dauern. Das ist eingeschränkt worden auf Verfahren, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage andauern wird.
  • Im Referentenentwurf war das (neue) Recht des Verteidigers vorgesehen, vor der Vernehmung des Angeklagten eine Erklärung zur Anklage abzugeben. das war nicht beschränkt. Im Regierungsentwurf ist dieses Recht jetzt nur noch für Verfahren mit einer Verhandlungsdauer von voraussichtlich mindestens zehn Tagen vorgesehen.

Das ist so das, was mir auf den ersten Blick aufgefallen ist. Die Einschränkungen im Beweisantragsrecht (Erweiterung des § 244 Abs. 6 StPO-E) und die Änderungen bei § 29 StPO sind (natürlich) erhalten geblieben. Das Strafverfahren soll ja schließlich effektiver werden.

Jahresrückblick/Themen 2016, das war Gina-Lisa Lohfink, beA, Brexit, Dashcam und NSU

 © stockpics - Fotolia.com

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Auch in diesem Jahr gibt es – wie in den Vorjahren – einen Jahresspiegel bzw. Jahresrückblick auf die Themen 2016. In den vergangenen Jahren habe diesen Rückblick immer am letzten Sonntag des Jahres gebracht. Das war in diesem Jahr schlecht, da das der 1. Weihnachtsfeiertag war. Wer will da so etwas schon lesen. Daher versuche ich es am 2. Weihnachstag 🙂 . Das geht das mit dem Erinnern vielleicht schon besser.

Wie in den vergangenen Jahren gilt: Dies ist kein Ranking, sondern ein persönlich eingefärbter Rückblick auf das zu Ende gehende Jahr. Dabei lasse ich wier immer die „Abmahnungsbeiträge/-welle“ außen vor und auch das Kuriose findet keinen Eingang in den Rückblick 2016; wer sich noch einmal an 2015 erinnern möchten der kann das hier tun: Jahresrückblick/Themen 2015, das war NSU, Edathy, PoliscanSpeed/ESO ES 3.0, die ARAG und Vollmachten

Und das waren dann die/meine Themen 2016:

  1. Gina-Lisa Lohfink – oder: Wie sich eine Frau verheizt oder wie sie verheizt wird?: Keine Solidarität mit Gina-Lisa Lohfink, oder:  Taube auf dem Brett, oder: Keine Sonderbehandlung von Gina-Lisa Lohfink, und: Gina-Lisa Schwarzer mit Alice Lohfink oder (mein Beitrag): Gina-Lisa Lohfink – und was kommt jetzt noch?, den Abschluss macht in Sachen Gina-Lisa Lohfink: Wir kämpfen weiter für ein gerechtes Ergebnis,
  2. Dauerthema beA war in fast jedem Wochenspiegel, u.a. mit: Bea Portal online, oder: beA und DATEV,  oder: Aufladeverfahren für beA-Signaturkarten startet, mit: Boxenstopp für Anwaltspostfach beA, oder: Das beA kommt wirklich: BMJ als weißer Ritter, Bundesrat als Knappe (Update 28.9. – wir waren zu optimistisch), oder: beA startet auch nicht am 29. September…, oder: beA startet heute nicht,und dann mit der erlösenden Nachricht:  beA funktioniert – erste Nachricht vom Gericht erhalten,
  3. immer noch Poliscan-Speed, mit: Mal wieder Poliscan Speed, oder: Verstoß gegen Bauartzulassung = keine Verurteilung/Einstellung, oder mit: AG Erfurt zu PoliScan Speed: Verwaltungsbehörde muss Falldatei, Token und Passwort übersenden,
  4. das Mobiltelefon: Gilt das Handyverbot am Steuer nur noch eingeschränkt?,  oder: Handy am Steuer & Fußgänger mit Handy,
  5. Pokemon: u.a. mit Pokémon Go und das „digitale Hausrecht“, oder:Pokemon Go: Haftung für Schäden, oder: Steuerfalle Pokémon Go, oder: Pokemon go und der Jurist,  oder: Pokémon Go…home!, oder: Datenschutzsorgen um Pokemon Go berechtigt,
  6. Whats-App: WhatsApp-Nutzerdaten für Facebook: Widerspruch!, oder: Welche Daten verwendet Facebook für personalisierte Werbung? – 98 Daten und mehr enthüllt!, oder: Facebook und WhatsApp, seit heute noch engere Partner,
  7. der Brexit und was damit zusammenhängt, und zwar u.a.: UK-Presse nennt Boris Johnson einen „planlosen Lügner und Betrüger“, oder: Warum es kein schottisches Veto geben kann, oder: BREXIT für 350 Millionen Pfund in der Woche?, oder: Zwei Jahre sind nicht immer gleich zwei Jahre: wann beginnt der Brexit-Countdown?, oder: BREXIT aktuell – Zukunft von Datentransfers nach Großbritannien, oder: Brexit – Vertretungsbefugnis von Anwälten aus dem Vereinigten Königreich, sowie: Das Ende der Nationalstaaten,
  8. Vollmachtsfragen mit: Und noch mal was zur Vollmacht: Rücknahme des Rechtsmittels, oder: Mal wieder: Keine Wirksame Zustellung an Sozietät – die zugrunde liegende Entscheidung des OLG Zweibrücken, oder: Für die Vollmachtsverweigerer, oder: „…. nix mit schriftlicher Vollmacht/Ermächtigung“,
  9. Dashcam: Die Dashcam und der Nachbarschaftsstreit: AG Neu-Ulm ver­wer­tet Aufnahmen im Strafverfahren, dazu dann auch: Hilfe, mein Nachbar beobachtet mich mit einer Dashcam…. darf der das?, oder: Dashcam-Nutzung ist unzulässig! LG Memmingen bejaht Unterlassungsanspruch, oder: Datenschutzrechtlich zulässige Dashcams?, oder: Kein Beweisverwertungsverbot für Dashcam-Videos,
  10. und dann immer noch NSU: NSU: Das BKA hat Ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen!!!!, oder: Der Mordfall Peggy wird im “NSU-Prozess” wohl keine Rolle spielen, oder: Skandal ohne öffentlichen Aufschrei: Verfassungsschutz hat im NSU-Komplex vorsätzlich Akten vernichtet, oder: “An der Einstellung meiner Mandantin hat sich nichts geändert”, und schließlich mit: Impressionen, oder: (M)ein Tag im NSU-Verfahren – nicht viel los.

Wie gesagt: Persönlich „eingefärbt“.