Archiv für den Monat: Oktober 2016

Die Verwertung des Schweigens zum Nachteil, oder: Andere Länder, andere Sitten

entnommen openclipart.org

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Auslieferungsrecht ist im Blog insgesamt ein wenig (zu) kurz gekommen. Heute will ich dann aber doch mal zwei Entscheidungen vorstellen, die sich mit diesen Fragen befassen. Die erste ist der BVerfG, Beschl. v.  06.09.2016 – 2 BvR 890/16. In ihm geht es um die verfassungsrechtliche Überprüfung einer Auslieferungsentscheidung des KG, durch die die Auslieferung des Verfolgten in das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland zum Zwecke der Strafverfolgung als zulässig angesehen worden ist. Der Verfolgte hatte seine  Auslieferung als unzulässig angesehen, weil die Selbstbelastungsfreiheit im Prozessrecht des Vereinigten Königreichs nicht in demselben Umfang gewährleistet ist, wie dies von Verfassungs wegen im deutschen Strafverfahren der Fall ist. Das BVerfG hat das anders gesehen. ich nehme, weil sie sehr schön den Sachverhalt wiedergibt und die Entscheidungsgründe referiert – entgegen meiner sonstigen Übung mal die PM des BVerfG, aus der ich zitiere:

Der Beschwerdeführer ist kroatischer und irischer Staatsangehöriger und wurde am 04.02.2016 aufgrund eines Europäischen Haftbefehls in Berlin festgenommen. Dem Europäischen Haftbefehl liegt ein Haftbefehl des Central Hertfordshire Magistrates‘ Court zugrunde, worin dem Beschwerdeführer unter anderem zur Last gelegt wird, am 26.04.1993 in Hertfordshire einen Mann erschossen zu haben. Das Kammergericht erklärte mit dem angegriffenen Beschluss die Auslieferung des Beschwerdeführers an das Vereinigte Königreich für zulässig. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde und rügt vornehmlich, dass im Falle einer Auslieferung an das Vereinigte Königreich § 35 Criminal Justice and Public Order Act 1994 zur Anwendung kommen könne. Diese Vorschrift eröffne einem Gericht oder einer Jury die Möglichkeit, aus dem Schweigen des Angeklagten Schlüsse auf seine Schuld zu ziehen. Dies stehe im Gegensatz zu der Stellung des Schweigerechts des Angeklagten in der deutschen Rechtsordnung und berühre die Verfassungsidentität der Bundesrepublik Deutschland. Auf Antrag des Beschwerdeführers hat das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung erlassen und die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden des Vereinigten Königreichs bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde einstweilen ausgesetzt. Dabei ließ die Kammer offen, ob die Verwertung des Schweigens des Angeklagten zu dessen Lasten tatsächlich eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG darstelle, und wies darauf hin, dass dies im Hauptsacheverfahren geklärt werden müsse. Die gebotene Folgenabwägung führe aber zum Erlass der einstweiligen Anordnung. Denn erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, so entstünden dem Beschwerdeführer durch die Übergabe an die Behörden des Vereinigten Königreichs erhebliche und möglicherweise nicht wiedergutzumachende Nachteile. Die Verzögerung der Übergabe des Beschwerdeführers wiege demgegenüber weniger schwer.

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Die angegriffene Entscheidung verstößt nicht gegen die in Art. 23 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG für integrationsfest erklärten Grundsätze der Verfassung. Einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ist im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich besonderes Vertrauen entgegenzubringen. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens wird jedoch dann erschüttert, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Falle einer Auslieferung die unverzichtbaren Anforderungen an den Schutz der Menschenwürde nicht eingehalten würden. Stellt sich heraus, dass der vom Grundgesetz geforderte Mindeststandard vom ersuchenden Mitgliedstaat nicht eingehalten wird, darf das zuständige Gericht die Auslieferung nicht für zulässig erklären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015, Az.: 2 BvR 2735/14).

Der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf ein faires Verfahren gewährleistete Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit umfasst das Recht des Beschuldigten auf Aussage- und Entschließungsfreiheit im Strafverfahren. Dazu gehört, dass im Rahmen des Strafverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen. Ein Zwang zur Selbstbezichtigung berührt die Würde des Menschen, dessen Aussage gegen ihn selbst verwendet wird. Dementsprechend gehört das Schweigerecht des Beschuldigten im Strafverfahren seit Langem zu den anerkannten Grundsätzen des deutschen Strafprozesses. Steht dem Beschuldigten ein Schweigerecht zu, folgt hieraus auch, dass sein Schweigen jedenfalls dann nicht als belastendes Indiz gegen ihn verwendet werden darf, wenn er die Einlassung zur Sache vollständig verweigert hat, da ihn die Verwertung seines Schweigens mittelbar einem unzulässigen psychischen Aussagezwang aussetzte; anderenfalls würde das aus der Menschenwürde hergeleitete Schweigerecht des Beschuldigten entwertet.

Daraus, dass der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit in der Menschenwürde wurzelt, folgt allerdings nicht, dass jede verfassungsrechtlich gewährleistete Ausprägung dieses Grundsatzes auch unmittelbar dem Schutz von Art. 1 GG unterfiele. Nur wenn der unmittelbar zur Menschenwürde gehörende Kerngehalt der Selbstbelastungsfreiheit berührt ist, liegt auch eine Verletzung von Art. 1 GG vor. Dies wäre etwa der Fall, wenn ein Beschuldigter durch Zwangsmittel dazu angehalten würde, eine selbstbelastende Aussage zu tätigen. Dagegen folgt unmittelbar aus Art. 1 GG nicht, dass ein Schweigen des Beschuldigten unter keinen Umständen einer Beweiswürdigung unterzogen und gegebenenfalls zu seinem Nachteil verwendet werden darf. Eine Auslieferung auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls ist somit nicht schon dann unzulässig, wenn die Selbstbelastungsfreiheit im Prozessrecht des ersuchenden Staates nicht in demselben Umfang gewährleistet ist, wie dies von Verfassungs wegen im deutschen Strafverfahren der Fall ist. Vielmehr ist die Auslieferung erst dann unzulässig, wenn selbst der dem Schutz von Art. 1 GG unterfallende Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit nicht mehr gewährleistet ist.

Gemessen an diesen Maßstäben genügt der angegriffene Beschluss des Kammergerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Zwar wird die Selbstbelastungsfreiheit durch den Criminal Justice and Public Order Act 1994 eingeschränkt. Die Einschränkung berührt jedoch nicht den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit und lässt daher keine Verletzung der unantastbaren Menschenwürde besorgen. Insbesondere hat der Beschuldigte auch unter dem Criminal Justice and Public Order Act 1994 das Recht zu schweigen. Zwar unterliegt sein Schweigen unter Umständen der Beweiswürdigung und kann zu seinem Nachteil verwendet werden, wodurch mittelbar ein Aussagedruck entstehen kann. Dies wiegt jedoch nicht so schwer wie ein Zwang zu einer Aussage oder gar zu einer Selbstbezichtigung.

Darüber hinaus kann das Schweigen nur neben weiteren Beweismitteln im Rahmen einer Gesamtwürdigung zur Begründung einer Verurteilung herangezogen werden. Auch wenn die Regelung gleichwohl dazu führen kann, dass sich der Beschwerdeführer zu einer Aussage gedrängt fühlt, muss er doch keine Verurteilung allein aufgrund seines Schweigens fürchten. Vielmehr kann er unter Berücksichtigung der Beweislage abwägen, ob er eine Aussage tätigen möchte. Ein derartiger Aussagedruck, wie er unter Umständen auch im deutschen Strafprozess in bestimmten Konstellationen des sogenannten Teilschweigens entstehen kann, verletzt noch nicht die Menschenwürde.

Schließlich entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass es nicht von vornherein einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK darstellt, wenn das Schweigen des Beschuldigten zu dessen Nachteil verwertet wird, sondern dass stets eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden muss. Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs bekräftigt die Feststellung, dass eine Anwendung von § 35 Criminal Justice and Public Order Act 1994 zumindest keine Verletzung der unantastbaren Menschenwürde darstellt.“

Verständigung III: „Verständigte“ Berufungsbeschränkung ohne Belehrung unwirksam

© Corgarashu – Fotolia.com

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Den „Verständigungsreigen“ 🙂  (vgl. zuvor schon Verständigung I: Gesamtpaket und „es muss alles auf den Tisch“ und Verständigung II: „Es muss alles auf den Tisch“, auch das „dilettantische Verhalten“ des Angeklagten) schließt dann der KG, Beschl. v. 27.09.2016 – (3) 121 Ss 132/16 (95/16) –, den mir der Kollege Türker aus Berlin übersandt hat. Der Angeklagte hatte da mit seiner Rüge Erfolg, dass im Rahmen der in der Berufungshauptverhandlung erzielten Verständigung mit dem Ergebnis der Berufungsbeschränkung eine Belehrung des Angeklagten gemäß § 257c Abs. 5 StPO unterblieben sei:

Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam mit der Folge, dass das Landgericht nur unvollständig über den Verfahrensgegenstand entschieden hat, weil es keine eigenen Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen hat (vgl. OLG Braunschweig NStZ 2016, 563, ff.).

Die Auslegung des Protokolls unter Hinzuziehung des Urteils belegt, dass zwischen den Verfahrensbeteiligten eine Verfahrensabsprache dahingehend getroffen wurde, dass gegen den Angeklagten eine Geldstrafe unter neunzig Euro (richtig: neunzig Tagessätze — Anmerkung des Senats) verhängt wird, wenn dieser sein Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Zwar enthält das Protokoll nicht ausdrücklich eine Einverständniserklärung der weiteren Verfahrensbeteiligten mit dem im Protokoll enthaltenen Vorschlag des Gerichts. Diese kann jedoch aus den im Protokoll darauf folgenden Prozesshandlungen konkludent entnommen werden. Denn der Angeklagte hat nach Rücksprache und mit Zustimmung seines Verteidigers die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat erklärt, eine solche Verurteilung werde wahrscheinlich nicht angefochten und hat der Berufungsbeschränkung zugestimmt.

Im Berufungsverfahren kann dem Erfordernis eines Geständnisses auch die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch genügen (vgl. OLG Braunschweig NStZ 2016, 563 ff.; OLG Karlsruhe NStZ 2014, 536 f; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 257c Rdnr. 17b).

Wie sich aus dem Protokoll ergibt (§ 274 Satz 1 StPO), ist die nach § 257c Abs. 5 StPO vorgeschriebene Belehrung des Angeklagten über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach allen Alternativen des § 257c Abs. 4 StPO nicht erfolgt. Der Angeklagte hat auch auf eine entsprechende Belehrung nicht verzichtet.

Die Belehrung dient dem Schutz des Angeklagten, dem vor Augen gehalten werden soll, dass und unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Gericht von der Strafrahmenzusage abweichen kann. Der Angeklagte soll durch diese Belehrung vor der Verständigung in die Lage versetzt werden, eine autonome Einschätzung des mit seiner Mitwirkung an der Verständigung verbundenen Risikos vorzunehmen (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058 ff.; BGH StV 2011, 76 ff; OLG München StV 2014, 79 f; OLG Braunschweig NStZ 2016, 563 ff.; Bt-Drucks 16/12310, Seite .15).

Hiermit wollte der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens und zugleich die Autonomie des Angeklagten schützen (BVerfG a.a.O.). Denn dieser sieht sich durch die Aussicht, mit der Verständigung eine das Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze zu erreichen und so Einfluss auf den Verfahrensgang zu nehmen, einer besonderen Anreiz- und Verlockungssituation ausgesetzt, die zu einer Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit führen kann.

Die Ursächlichkeit der fehlenden Belehrung für die Beschränkung der Berufung ist auch nicht ausnahmsweise auszuschließen. Diese erfolgte auf der Grundlage der Verständigung. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bekannt waren. Die einzige weitere Verurteilung des Angeklagten beruht auf einem alsbald nach Erlass rechtskräftig gewordenen Strafbefehl.“

Verständigung II: „Es muss alles auf den Tisch“, auch das „dilettantische Verhalten“ des Angeklagten

© Dan Race Fotolia .com

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Nach Verständigung I (vgl. dazu den BGH, Beschl. v. 12.07.2016 – 1 StR 136/16 und dazu Verständigung I: Gesamtpaket und „es muss alles auf den Tisch“) dann jetzt Verständigung II. Das Posting betrifft den BGH, Beschl. v. 18.07.2016 – 1 StR 315/15 -, in dem es noch einmal um die nicht ausreichende Mitteilung über geführte Verständigungsgespräche (§ 243 Abs. 2 Satz 4 StPO) geht:

bb) Verletzt ist aber § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende des Gerichts mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(1) Das Transparenzgebot soll sicherstellen, dass derartige Erörterungen stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2883/10, 2155/11, BVerfGE 133, 168 ff.; BGH, Be-schluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 152; Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, NStZ 2014, 601, 602; Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72, 73; vom 8. Oktober 2013 – 4 StR 272/13, StV 2014, 67; vom 3. Dezember 2013 – 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219; vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418 und vom 22. Juli 2014 – 1 StR 210/14, NStZ 2015, 48). Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich deshalb auch auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte gegebenenfalls vertreten wurden und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils gestoßen ist (vgl. BVerfG aaO, BVerfGE 133, 168, 215 f.; BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 152; Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, NStZ 2014, 601, 602; Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72, 73; vom 3. Dezember 2013 – 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219 und vom 9. April 2014 – 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416, 417). Dementsprechend hat der Vorsitzende Verlauf und Inhalt der Gespräche in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen. Nur so wird eine effektive Kontrolle in der Revisionsinstanz ermöglicht.

(2) Nach Maßgabe dessen erweist sich die in öffentlicher Hauptverhandlung vorgenommene Mitteilung des Vorsitzenden über das am 15. Juli 2014 geführte Verständigungsgespräch als unzureichend. Denn wesentliche Informationen, die Ablauf und Inhalt des Gesprächs offen gelegt hätten, teilte der Vorsitzende in der Hauptverhandlung nicht mit. Es blieb offen, welche Standpunkte von den Teilnehmern des Gesprächs, insbesondere von der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, vertreten wurden und ob sie bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind. Auch fehlte der Hinweis darauf, dass der Vorsitzende bei dem Verständigungsgespräch davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe sich eher dilettantisch verhalten und der Steuerschaden habe sich gegenüber der Anklage deutlich verringert. Schließlich enthielt die Mitteilung des Vorsitzenden auch keine Angaben zur Reaktion der Staatsanwaltschaft auf den Verständigungsvorschlag des Ge-richts und ggf. ihre Vorstellung über das Strafmaß und ihre Erwartungen an das Prozessverhalten des Angeklagten. Die Erwartungen der Verfahrensbeteiligten an den weiteren Prozessverlauf sind danach unklar geblieben; das aus § 243 Abs. 4 StPO folgende Transparenzgebot ist dadurch verletzt.“

Einfach ist es für die Vorsitzenden der Tatgerichte nicht, wenn man die Anforderungen des BGH erfüllen will.

Verständigung I: Gesamtpaket und „es muss alles auf den Tisch“

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Ich habe länger nicht mehr über die Verständigung (§ 257c StPO) bzw. die damit zusammenhängenden Mitteilungspflichten in der Hauptverhandlung (§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO) berichtet. Das hole ich dann heute nach. Hier also dann bei Verständigung I zunächst der BGH, Beschl. v. 12.07.2016 – 1 StR 136/16, in dem sich der BGH – zusammenfassend – erneut mit Verständigungsinhalten und/oder der Mitteilungspflicht auseinander setzt. und zwar wie folgt:

Zunächst stellte sich die Frage nach einem sog. unzulässigen Gesamtpaket. Das hatte der Angeklagte mit der Begründung gerügt, der in der Hauptverhandlung unterbreitete Verständigungsvorschlag des Gerichts habe – entsprechend dem Ergebnis der Vorgespräche die Wendung enthalten -, die Staatsanwaltschaft wirke darauf hin, dass ein gegen den Angeklagten anhängiges Berufungsverfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt werde.

Mit der Rüge war der Angeklagte nicht erfolgreich. Der BGH verweist darauf, dass in eine Verständigung nicht Verfahren mit Bindungswirkung einbezogen werden können, die außerhalb der Kompetenz des Gerichts liegen. Zusagen der Staatsanwaltschaft zu Einstellungen in anderen Verfahren nach § 154 StPO anlässlich einer Verständigung seien aber nicht etwa verboten. Zulässig sei deshalb, dass die Staatsanwaltschaft anlässlich einer Verständigung nach § 257c StPO ankündige, andere bei ihr anhängige Ermittlungsverfahren nach § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die zu erwartende Verurteilung einzustellen oder auf eine Einstellung bereits anhängiger Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO hinzuwirken, solange nicht der Eindruck erweckt werde, dass es sich dabei um einen von der Bindungswirkung der Verständigung (§ 257c Abs. 4 StPO) erfassten Bestandteil handelt. Einem solchen Eindruck könne entgegengewirkt werden, indem der Vorsitzende den Angeklagten – was hier geschehen war – darüber belehre, dass diese Ankündigung keine solche Bindungswirkung entfalte.

Erfolgreich war die Revision aber dann mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Der BGH beanstandet nämlich, dass vom Vorsitzenden nicht mitgeteilt worden sei, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern der Verständigungsgespräche vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sei. Auch sei keine Mitteilung über die an die Verständigungsgespräche anschließenden Telefonate des Vorsitzenden mit der Verteidigerin und der Staatsanwaltschaft erfolgt. Im Rahmen dieser Gespräche habe die Staatsanwaltschaft ihre Strafmaßvorstellungen modifiziert. Mitzuteilen seien nach § 243 Abs. 4 StPO sämtliche auf eine Verständigung abzielende Gespräche, also auch solche, durch die anfängliche Verständigungsgespräche inhaltlich später modifiziert werden. Es müsse – die Formulierung ist jetzt von mir: „alles auf den Tisch“.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Wie berechne ich denn nun meine Reisekosten: Eine Reise, drei Verfahren

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Die Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Wie berechne ich denn nun meine Reisekosten: Eine Reise, drei Verfahren, lässt sich m.E. wirklich recht schnell beantworten. Und daher habe ich im Forum auch nur kurz gepostet, und zwar mit:

„Hallo,
ein Blick in Vorbem. 7 Abs. 3 Satz 1 VV RVG und in Burhoff/Schmidt, RVG Vorbem. 7 VV Rn 34 mit Beispiel hilft (hoffentlich).“

Das Beispiel passt natürlich nicht ganz – wie immer, aber: Der Kollege hatte schon zutreffend erkannt, dass er die Reisekosten natürlich nicht dreimal abrechnen kann. Er muss sie auf die drei Verfahren verteilen, und zwar dürften sie zu Dritteln sein, wenn die Kosten für die verschiedenen Verfahren gleich sind. Bei ungleichen Kosten, also ggf. unterschiedlicher Zeitaufwand, erfolgt die Verteilung der Reisekosten nach dem Verhältnis der Kosten, die bei gesonderter Ausführung der einzelnen Geschäfte entstanden wären .