Verständigung II: „Es muss alles auf den Tisch“, auch das „dilettantische Verhalten“ des Angeklagten

© Dan Race Fotolia .com

© Dan Race Fotolia .com

Nach Verständigung I (vgl. dazu den BGH, Beschl. v. 12.07.2016 – 1 StR 136/16 und dazu Verständigung I: Gesamtpaket und „es muss alles auf den Tisch“) dann jetzt Verständigung II. Das Posting betrifft den BGH, Beschl. v. 18.07.2016 – 1 StR 315/15 -, in dem es noch einmal um die nicht ausreichende Mitteilung über geführte Verständigungsgespräche (§ 243 Abs. 2 Satz 4 StPO) geht:

bb) Verletzt ist aber § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO. Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende des Gerichts mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(1) Das Transparenzgebot soll sicherstellen, dass derartige Erörterungen stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, so dass für informelles und unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2883/10, 2155/11, BVerfGE 133, 168 ff.; BGH, Be-schluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 152; Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, NStZ 2014, 601, 602; Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72, 73; vom 8. Oktober 2013 – 4 StR 272/13, StV 2014, 67; vom 3. Dezember 2013 – 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219; vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418 und vom 22. Juli 2014 – 1 StR 210/14, NStZ 2015, 48). Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche erstreckt sich deshalb auch auf die Darlegung, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde, welche Standpunkte gegebenenfalls vertreten wurden und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils gestoßen ist (vgl. BVerfG aaO, BVerfGE 133, 168, 215 f.; BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, BGHSt 60, 150, 152; Urteil vom 5. Juni 2014 – 2 StR 381/13, NStZ 2014, 601, 602; Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72, 73; vom 3. Dezember 2013 – 2 StR 410/13, NStZ 2014, 219 und vom 9. April 2014 – 1 StR 612/13, NStZ 2014, 416, 417). Dementsprechend hat der Vorsitzende Verlauf und Inhalt der Gespräche in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen. Nur so wird eine effektive Kontrolle in der Revisionsinstanz ermöglicht.

(2) Nach Maßgabe dessen erweist sich die in öffentlicher Hauptverhandlung vorgenommene Mitteilung des Vorsitzenden über das am 15. Juli 2014 geführte Verständigungsgespräch als unzureichend. Denn wesentliche Informationen, die Ablauf und Inhalt des Gesprächs offen gelegt hätten, teilte der Vorsitzende in der Hauptverhandlung nicht mit. Es blieb offen, welche Standpunkte von den Teilnehmern des Gesprächs, insbesondere von der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, vertreten wurden und ob sie bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind. Auch fehlte der Hinweis darauf, dass der Vorsitzende bei dem Verständigungsgespräch davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe sich eher dilettantisch verhalten und der Steuerschaden habe sich gegenüber der Anklage deutlich verringert. Schließlich enthielt die Mitteilung des Vorsitzenden auch keine Angaben zur Reaktion der Staatsanwaltschaft auf den Verständigungsvorschlag des Ge-richts und ggf. ihre Vorstellung über das Strafmaß und ihre Erwartungen an das Prozessverhalten des Angeklagten. Die Erwartungen der Verfahrensbeteiligten an den weiteren Prozessverlauf sind danach unklar geblieben; das aus § 243 Abs. 4 StPO folgende Transparenzgebot ist dadurch verletzt.“

Einfach ist es für die Vorsitzenden der Tatgerichte nicht, wenn man die Anforderungen des BGH erfüllen will.