Ich habe länger überlegt, welche Überschrift ich für dieses Posting wähle. Ich habe mich dann eben für „Schuß noch gehört?“, oder: Der Erfindungsgeist des Kostenbeamten“ entschieden. Denn die trifft den Sachverhalt, den der Kollege Kümmerle aus Berlin mir geschildert hat, m.E. am Besten. Es geht/ging um Folgendes – so die Schilderung des Kollegen:
Der Mandant ist auf Anregung des Kollegen im Ermittlungsverfahren begutachtet worden. Nach einigen Querelen um die Auswahl des Gutachters, ergab die Begutachtung dann, dass der Mandant nicht ausschließbar schuldunfähig handelte, eine Unterbringung aber nicht angezeigt war. Das Verfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Kollege war als Pflichtverteidiger bestellt und rechnete auch eine Gebühr Nr. 4141 VV RVG ab. Deren Festsetzung ist zunächst abgelehnt worden. Begründungs(sversuch) des erfinderischen Kostenbeamten:
„Die Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nebst anteiliger Umsatzsteuer wurde abgesetzt, mithin insgesamt 157,08 € da diese Gebühr aus tatsächlichen Gründen nicht entstanden ist, da im Zeitpunkt der Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs.2 StPO überhaupt noch kein gerichtliches Verfahren anhängig war, sodass auch überhaupt noch keine Hauptverhandlung durch eine anwaltliche Mitwirkung entbehrlich werden konnte. Die im Schreiben vom 13.06.2016 (= BI. 167 Bd.lI) mitgeteilten Tätigkeiten werden im Rahmen der Gebühr nach Nr. 4104 VV RVG abgegolten.“
Dagegen dann die Erinnerung des Kollegen Kümmerle mit folgender Begründung
„In Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 VV RVG ist der Fall der Einstellung des Strafverfahrens geregelt. In welchem Verfahrensstadium die Einstellung erfolgt, ist ohne Bedeutung. Anm. 1 Satz 1 Nr. 1 enthält keine zeitliche Beschränkung mit Ausnahme des Umstandes, dass durch die Einstellung eine Hauptverhandlung entbehrlich geworden sein muss. Die Einstellung kann also auch im Ermittlungsverfahren erfolgen (Burhoff, RVG Straf-und Bußgeldsachen, 4. Aufl., Nr. 4141 VV RVG Rn. 19). Unerheblich ist auch, ob die Staatsanwaltschaft oder das Gericht das Verfahren einstellt. Die Gebührenziffer Nr. 4141 VVRVG steht in Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses, der als „Strafsachen“ tituliert ist. In der Überschrift zur Nr. 4141 VV RVG wird ein Bezug zur Hauptverhandlung im Sinne von § 230 StPO hergestellt; es folgt in Abs. 1 Nr.1 die Bezugnahme auf ein „Verfahren“, das nicht nur „vorläufig eingestellt“ werden darf, sowie in Nr. 2 auf ein „Hauptverfahren“, das das Gericht nicht eröffnet. In Nr. 3 geht es um die Rücknahme von Rechtsmitteln, des Einspruchs gegen Strafbefehl, der Berufung und Revision. Die in Nr. 4141 W RVG mit einer Zusatzgebühr bedachten Situationen stehen begriffsnotwendig im Zusammenhang mit dem Strafverfahren; in Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG kann daher nur das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gemeint sein. Auch nach Sinn und Zweck ist diese Auslegung geboten, weil der Gesetzgeber einen Anreiz dafür schaffen wollte die Hauptverhandlung entbehrlich zu machen.“
Das LG hat es dann gerichtet und im LG Berlin, Beschl. v. 09.08.2016 – 510 AR 1/15 – nachfestgesetzt. Begründung:
„Aufgrund der Erinnerung und Prüfung wurde festgestellt, dass auch die geltend gemachte Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG im Ermittlungsverfahren entstehen kann. ….“
Ich frage mich: Wirklich Schuß noch gehört bzw. in welcher Kommentar oder an welcher Stelle hat der Kostenbeamte zur Begründung seiner Absetzung nachgelesen? Ich kenne keine, in der die (abwegige) Ansicht vertreten wird, dass die Gebühr Nr. 4141 VV RVG im Ermittlungsverfahren nicht entstehen kann. Besser und eher kann man doch auch eine Hauptverhandlung nicht verhindern, in dem man schon an der Einstellung des Verfahrens im Verfahrensstadium „Ermittlungsverfahren“ mitwirkt. Wäre die Auffassung des Kostenbeamten richtig, würde dieses Verfahrensstadium insgesamt aus dem Anwendungsbereich der Nr. 4141 VV RVG herausfallen. Mit Verlaub: Völliger Quatsch. Das hat dann ja auch das LG so gesehen und kurz und zackig nachfestgesetzt. Eine weitere Begründung gibt es in dem beschluss nicht. Warum auch, wenn die Fehlerhaftigkeit der Absetzung so auf der Hand liegt.
Sie sollten nicht so streng mit dem Kostenbeamten ins Gericht gehen. Das ist zwar in der Tat Quatsch. Wahrscheinlich ist der Mann aber noch nicht lange dabei und hat weder Berufs- noch Lebenserfahrung. Gerade deshalb denkt er aber noch, es verstehe sich irgendwie von selbst, dass der Verteidiger sich schon im Ermittlungsverfahren für seinen Mandanten einsetzt und in dessen Interesse eine Hauptverhandlung frühzeitig abbiegt. Der Realismus und die Menschenkenntnis des Gesetzgebers, der eine Extragebühr als Anreiz für notwendig hält, damit der Verteidiger sich nicht im Interesse des eigenen Geldbeutels dafür entscheidet, lieber die Hauptverhandlung noch mitzunehmen, geht ihm noch ab. Das gibt sich aber meist mit der Zeit.
Das meinen Sie aber nicht ernst?
Wird eigentlich das Treffen völlig abwegiger und gesetzwidriger Entscheidungen im Wege der Dienstaufsicht überprüft, wenn deshalb Beschwerde eingelegt wird?
Nein