Ganz gut in die heutige Serie: „Manche lernen es nie …“, passt der OLG Naumburg, Beschl. v. 25.08.2016 – 1 RV 44/16 (zum ersten Teil dann hier der AG Prenzlau, Beschl. v. 22.08.2016 – 21 OWi 485/16 und dazu: Manche lernen es nie I, oder: Warum will die Zentrale Bußgeldstelle „angewiesen“ werden?), den mir die Kollegin Holstein aus Brandenburg zugesandt hat. Die Kollegin hat zum zweiten Mal Erfolg mit einer Revision gegen ein Urteil des LG Dessau-Roßlau. Es geht (mal wieder) um Strafzumessung. Das kann man dort offenbar nicht, oder eben: Manche lernen es nie, wenn man es liest – die Gründe sprechen für sich:
„Mit Urteil vom 18. April 2016 hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittenberg vom 17. September 2014 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Angeklagte wegen Diebstahls in sieben Fällen und Computerbetrugs in 31 Fällen, davon in zwei Fällen als Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht hinsichtlich der Tat Nr. 1 (Diebstahl während des Transports der Geschädigten P. im RTW) strafschärfend gewertet, „dass es sich hierbei um die erste Tat der Angeklagten handelte und sie mit der Tat zum ersten Mal die dabei gegebene Hemmschwelle überwinden musste“. Bezüglich der Tat Nr. 16 (Diebstahl von Schmuck und Bargeld in der Wohnung der Geschädigten S.) musste sich nach den Feststellungen des Landgerichts „erheblich strafschärfend auswirken, dass die Angeklagte mit besonders erheblicher krimineller Energie vorging, indem sie nicht nur den Rettungseinsatz zur Tatbegehung ausnutzte, sondern auch die Wohnung nach stehlenswerten Sachen und Geld durchsuchte“. Bei der Festsetzung der Einzelstrafen für die Taten Nr. 17 und 25 hat das Landgericht sich „davon leiten lassen, dass sich der schwer erkrankte Geschädigte in einer besonders erheblich hilflosen Lage befand“ bzw. „zu Lasten der Angeklagten die massive Hilfslosigkeit des schwer erkrankten Patienten ergänzend berücksichtigt“. Im Rahmen der Gesamtstrafenbildung hat das Landgericht schließlich berücksichtigt, „dass die Angeklagte sich trotz zuvor bereits bestehender Verdachtsmomente gegen sie bezüglich der ersten Tat und der Kenntnis der Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen der Taten zu 2. und 16., wenn auch nicht gegen sie, nicht davon abhalten ließ, ihr strafbares Verhalten fortzusetzen“.
Mit ihrer (zweiten) Revision rügt die Angeklagte insoweit Verstöße gegen das in § 46 Abs. 3 StGB normierte Doppelverwertungsverbot, wonach Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden dürfen.
II.
Die zulässige Revision der Angeklagten hat in der Sache Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer unrichtigen Anwendung des Gesetzes, weil der Rechtsfolgenausspruch in mehrfacher Weise gegen § 46 Abs. 3 StGB verstößt.
Hinsichtlich der Tat Nr. 1 wird der Angeklagten die für eine Ersttäterin besonders hohe Hemmschwelle angelastet. Im Ergebnis wird ihr damit vorgehalten, dass sie erstmals einen Diebstahl begangen hat, d.h. es wird die (erste) Tatbegehung als solche strafschärfend berücksichtigt (vgl. BGH, Beschl. v. 7. September 2015, 2 StR 124/15, Rn. 4; Münchener Kommentar-Mübeck, StGB, 2. Aufl., § 46, Rn. 190).
Bei der Tat Nr. 16 erfüllt das Durchsuchen der Wohnung nach stehlenswerten Sachen und Geld nicht das in § 243 Abs. 1 Nr. 1 StGB normierte Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Diebstahls und darf daher auch nicht wie die Verwirklichung eines weiteren Regelbeispiels neben dem hier bereits verwirklichten Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Nr. 6 StGB strafschärfend berücksichtigt werden (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 46, Rn. 47). Andernfalls würde der Angeklagten ein Verhalten, das sich im Hinblick auf die Analogie- und Gegenschlusswirkung von Regelbeispielen (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46, Rn. 94; § 243, Rn. 2) nach der gesetzgeberischen Wertung noch nicht wesentlich vom typischen Grundtatbestand des einfachen Diebstahls abhebt, und damit letztlich die Erfüllung des Grundtatbestandes als solche bei der Strafzumessung angelastet (vgl. hierzu Münchener Kommentar-Mübeck, StGB, 2. Aufl., § 46, Rn. 187, 188; Horn in: SK-StGB, 35. Lfg., 7. Aufl., § 46, Rn. 153).
Bezüglich der Taten Nr. 17 und 25 ergibt sich der Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot daraus, dass die Hilflosigkeit des Opfers bereits Merkmal des in § 243 Abs. 1 Nr. 6 StGB normierten Regelbeispiels ist (vgl. BGH, Beschl. v. 14. Juni 1993, 4 StR 302/93, Rn. 5, zitiert nach juris). Daran ändert aufgrund der Analogie- und Gegenschlusswirkung von Regelbeispielen auch das Abstellen auf die „besonders erhebliche“ bzw. „massive“ Hilflosigkeit nichts.
Dass im Rahmen der Gesamtstrafenbildung berücksichtigt worden ist, dass die Angeklagte sich auch durch die eingeleiteten Ermittlungen nicht von ihrem strafbaren Verhalten abhalten ließ, verstößt ebenfalls gegen § 46 Abs. 3 StGB, (vgl. BGH, Beschl. v. 7. September 2015, 2 StR 124/15, Rn. 3, zitiert nach juris).“
Bemerkenswert, und sowohl der zweimalige Erfolg der Kollegin mit ihren Revisionen als auch der viemalige Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB durch das LG Dessau-Roßlau – insoweit ohne weiteren Kommentar.
Könnte es nicht sein, dass der (überstimmte?) Vorsitzende nur die in der Beratung tatsächlich angeführten Gründe für eine Erhöhung des von ihm vorgeschlagenen Strafmaßes korrekt in die schriftlichen Gründe übernommen hat?
Es ehrt Sie, dass Sie Ihrem Kollegen beim LG Dessau-Roßlau die Stange halten wollen 🙂
Warum sind die Richter eigentlich mittlerweile so überfordert? Man liest ja nur noch von Fehlurteilen.
Nun, es gibt auch richtige :-). Ein Grund für „falsche“ Urteile ist sicherlich in vielen Fällen die erhebliche Arbeitsbelastung. Die Politik stattet die dritte Gewalt, die ihr ja auch auf die Finger schaut, ungern mit mehr Personal aus. Mehr Gesetze wohl, aber nicht mehr Personal….