„…Der hat ja schon meinen Lebensgefährten verurteilt und ist befangen…..“, ist etwas vereinfacht ausgedrückt ein Einwand, den die Angeklagte in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des Mordes gegen den Vorsitzenden Richter erhoben hatte (§§ 24, ff, 338 Nr. 3 StPO). Vorgeworfen wurde der Angeklagten die Ermordung ihres Ehemanns im Jahre 2009, der sich von ihr getrennt hatte und sie nicht mehr an dem wirtschaftlichen Erfolg der – zunächst gemeinsamen – geschäftlichen Unternehmungen teilhaben lassen wollte. Den Mord soll die Angeklagte gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten S. begangen haben. Der ist durch Urteil des LG Darmstadt vom 11.07.2011 unter Mitwirkung des Richters Mü. als Berichterstatter wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Richter am LG Mü. ist inzwischen befördert worden und hat im Verfahren gegen die Angeklagte als Vorsitzender mitgewirkt. Die Angeklagte hat ihn wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (§ 24 Abs. 2 StPO). Die Rüge hatte (auch) beim BGH im BGH, Urt. v. 10.02.2016 – 2 StR 533/14 – keinen Erfolg:
„a) Die Befangenheitsrüge (§ 338 Nr. 3 StPO) ist unbegründet. Dass der damalige Lebensgefährte der Angeklagten, S., durch Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 11. Juli 2011 unter Mitwirkung des Richters Mü. als Berichterstatter wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, begründete nicht die Besorgnis, Richter am Landgericht Mü. sei im vorliegenden Verfahren, in dem er als Vorsitzender mitgewirkt hat, voreingenommen (§ 24 Abs. 2 StPO).
Die Mitwirkung eines Richters an Vorentscheidungen ist regelmäßig kein Ablehnungsgrund. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters ist nicht gerechtfertigt, soweit er in einem früheren Strafverfahren mitgewirkt hat, in dem dieselben Vorgänge wie in dem jetzigen Verfahren eine Rolle spielten (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 24 Rn. 13). Dies gilt auch dann, wenn die Mitwirkung die Verurteilung eines Mittäters wegen derselben Straftat betraf (Senat, Urteil vom 30. Juni 2010 – 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46; BGH, Urteil vom 15. Mai 1997 – 1 StR 233/96, NJW 1997, 3034, 3036; Beschluss vom 3. Dezember 2015 – 1 StR 169/15). Eine andere Beurteilung ist nur dann angezeigt, wenn besondere Umstände hinzutreten. Dies kann etwa der Fall sein, wenn das frühere Urteil unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den jetzigen Angeklagten enthielt oder ein Richter sich in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (BGH, Beschluss vom 27. April 1972 – 4 StR 149/72, BGHSt 24, 336, 338; Urteil vom 29. Juni 2006 – 5 StR 485/05, NJW 2006, 2864, 2866; Beschluss vom 3. Dezember 2015 – 1 StR 169/15).
Solche Äußerungen und Wertungen enthält das Urteil vom 11. Juli 2011 indes nicht. Soweit in den Urteilsgründen ausgeführt ist, es sei „die Rücksichtslosigkeit zu berücksichtigen, mit welcher [S. und die Angeklagte] vor gingen und mit welcher sie durch die Ermordung M. M. s versuchten, statt diesem in dessen Geschäfte einzutreten und die hierbei entstehenden Gewinne selbst zu vereinnahmen“, entspricht diese Bewertung dem festgestellten Tatgeschehen und der Annahme eines aus Habgier begangenen Mordes. Auch im Übrigen enthält das Urteil vom 11. Juli 2011 keine Feststellungen und Wertungen, die geeignet waren, gegenüber Richter am Landgericht Mü. die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Da das Landgericht das Motiv der Habgier aus der gescheiterten Ehe der Angeklagten mit M. M. und ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von ihrem Ehemann abgeleitet und darüber hinaus die Überzeugung von der Täterschaft des S. maßgeblich auch auf Beweisanzeichen gestützt hat, die zugleich für eine Tatbeteiligung der Angeklagten sprachen, war die Darstellung der Beteiligung der Angeklagten an der von S. durchgeführten Tatbegehung bereits zur Vermeidung von Darstellungsmängeln geboten. Eine Befangenheitsrüge kann in diesem Fall nicht darauf gestützt werden, das Tatgericht sei aufgrund der in dem früheren Urteil festgestellten Tatbeteiligung voreingenommen (vgl. Senat, Urteil vom 5. Februar 1986 – 2 StR 653/85; BGH, Urteil vom 15. Mai 1997 – 1 StR 233/96, NJW 1997, 3034, 3036 [insoweit in BGHSt 43, 96 nicht abgedruckt]). Nichts anderes gilt im Hinblick auf die in den Urteilsgründen enthaltenen Hinweise auf die feste bzw. sichere Überzeugung des Gerichts von der Mittäterschaft der Angeklagten (UA S. 42 f./85 f./88). Ob entsprechende Formulierungen in einem früheren Urteil gegen einen Tatbeteiligten Anlass zu Missdeutungen geben können (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 9. März 2000 – 4 StR 513/99, NStZ-RR 2001, 129, 130 [Kusch]), kann dahinstehen. Denn die Fassung der Urteils-gründe, die lediglich das erforderliche Maß an Sicherheit zum Ausdruck bringen, das mit Blick auf § 261 StPO für eine Verurteilung erforderlich ist, bieten hier keine Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit.“
„Schwer zu vermitteln“ ist eine solche Konstellation immer und es ist mehr als verständlich, dass ein Angeklagter die Besorgnis der Befangenheit hat. Aber: Die Rechtsprechung sieht es nun mal anders, obwohl m.E. kein Grund dagegen spricht, den § 22 StPO zu erweitern. Das wäre doch mal eine (sinnvolle) Reform Herr Maas 🙂 .
Ein Richter, der in einem Urteil bereits ausdrücklich von der Mittäterschaft der Angeklagten ausgegangen war, soll also unbefangen genug sein, im Verfahren gegen sie zu einem anderen Ergebnis kommen zu können? Das würde ich doch sehr dem Reich der Phantasie zuordnen. Was verwundert, dass die Entscheidung ausgerechnet vom 2. Strafsenat stammt…
Das ist gängige Rechtsprechung sämtlicher Obergerichte, und zwar seit Jahrzehnten. Dass der BGH daran festhält, ist daher keineswegs verwunderlich.
Nichtsdestotrotz weiß jeder Richter, der einigermaßen ehrlich ist, dass die Neigung, sich selbst ein Fehlurteil zu attestieren, auch bei hohem Berufsethos gegen Null tendiert.
Gefordert wäre daher in der Tat der Gesetzgeber, m.E. durch eine Ergänzung des § 22 Nr. 4 StPO.
Bingo 🙂
Maas und sinnvolle Reformen passt allerdings so gut zusammen wie VfB Stuttgart und Champions League. 🙁
Als ich das ‚keinen‘ bei Erfolg las, fiel mir ehrlich gesagt die Kinnlade herunter … . Dadurch würde sich ein mögliches Fehlurteil fast zwangsläufig auf einen anderen Menschen auswirken.
Das darf aber nicht sein, jeder hat einen Anspruch auf ein rechtsstaatliches unbefangenes Verfahren.
Ich weiss nicht, ob eine Reform so zwingend ist. In Zilvilsachen gibt es ja auch zahlreiche Gerichte, die immer wieder mit derselben Partei zu tun haben (ich denke da an FFM wegen Reisesachen, diverse Kammern in Banken- und Versicherungssachen am Sitz der jeweiligen Bank/Versicherung) und an kleinen Amtsgerichten mit wenig Richterwechsel gibt es dann ja noch die Dauerkundschaft in Zivil- und Strafsachen. („Der hat mich schon mal verurteilt und mir attestiert, dass ich eine negative Kriminalprognose habe“) .
Und bei derselben Strafkammer besteht ja durchaus aufgrund zunehmender Tendenz zur Elternzeit durchaus die Chance auf Beisitzerwechsel, bei Schwurgerichten/Wirtschaftsstrafkammern mit mehr als 2 Beisitzern auf einen Besetzungswechsel und zudem die Chance auf andere Schoeffen.
„durchaus die Chance auf “ – eben… die „Chance“ 🙂
Gilt der Reformvorschlag auch für die Revisionsinstanz (Motto: Jedem gesondert verfolgten Mittäter seinen eigenen Strafsenat)?
„und zudem die Chance auf andere Schoeffen“
Da musste ich grinsen 🙂
@Schneidermeister:
Dieselbe „Partei“, wie Sie es audrücken, halte ich für wenig problematisch. Wirklich heikel wird es, wenn es um denselben Sachverhalt geht, den der Richter zuvor schon beurteilt hat. Zumal dies, wenn es nicht um eine Abtrennung sondern um einen Vorprozess geht, ohne rechtliches Gehör des jetzigen Angeklagten erfolgte.
„Chance auf andere Schöffen“ bedeutet, dass diese Symbole der Beteiligung des Volkes an der Strafjustiz in einer Schwurgerichtskammer nennenswerten Einfluss auf das Urteil hätten.
Mein Beweis: über neun Jahre Hauptschöffe am AG und LG.
Ein Jahr später und es kommt Bewegung in den Fall: Der EGMR fordert nun die Bundesregierung zur Stellungnahme auf: http://hudoc.echr.coe.int/eng#{%22tabview%22:[%22notice%22],%22itemid%22:[%22001-176048%22]}
Das ist ein Indiz dafür, daß nach vorläufiger Bewertung des EGMR die Beschwerde Erfolgsaussichten hat. Die Ergänzung des § 22 Nr. 4 StPO kommt vielleicht schneller als gedacht.