Stinksauer war/ist das KG auf einen Richter am AG Tiergarten. Das kann man dem KG, Beschl. v. 03.03.2016 – 3 Ws (B) 108/16 – 122 Ss 33/16 – mehr als deutlich entnehmen. Es geht um die Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil des AG wegen Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO. Dafür hatte der Amtsrichter nicht die Regelgeldbuße von 60 € festgesetzt, sondern eine Geldbuße von 90 €. Das hatte er allerdings nicht näher/ausreichend begründet. Und da springt dem KG der sprichwörtliche „Draht aus der Mütze“, denn der Amtsrichter ist „Wiederholungstäter“. Das KG hatte ihn auf seinen Fehler schon mal hingewiesen, da aber die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, weil es davon ausgegangen war, dass der Fehler sich nicht wiederholt. Hat er dann aber doch, und das KG formuliert: „Hierin sieht sich der Senat getäuscht.“ Im Übrigen:
„2. Die allgemein erhobene Sachrüge offenbart, dass es das Amtsgericht versäumt hat zu begründen, warum es von der im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelgeldbuße von 60 Euro (Nr. 246.1) zum Nachteil des Betroffenen abgewichen ist. Grundlage der Bußgeldbemessung bleiben zwar auch unter dem Regime der BKatVO die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG. Eine Abweichung vom Bußgeldkatalog bedarf aber stets einer Begründung (vgl. Senat NZV 2015, 355; OLG Düsseldorf DAR 2002, 174 m. w. N.; Göhler/Gürtler, OWiG 16. Aufl., § 17 Rdn. 34; König in Hentschel/König/Dauer, StVG 43. Aufl., § 24 Rn. 64 a. E.).
a) Dass die im Urteil gewählte Floskel, die Geldbuße von 90 Euro sei „angemessen“ (UA S. 3), dem Begründungserfordernis nicht genügt, bedarf keiner Erläuterung. Auch die (vom Amtsgericht nicht herangezogene) Erwägung, die Geldbuße sei wegen der vorsätzlichen Tatbegehung zu erhöhen, könnte schon deshalb nicht tragen, weil der Bußgeldrichter zutreffend davon ausgeht, dass die vom Bußgeldkatalog vorgesehene Regelgeldbuße beim hier verwirklichten Tatbestand der Benutzung eines Mobiltelefons ausnahmsweise den Normalfall der vorsätzlichen Tatbegehung betrifft (UA S. 3). Auch ist der Abteilungsrichter bereits im Verfahren 290 Owi 2022/05 darauf hingewiesen worden, dass die Regelgeldbuße hier nicht unter dem Gesichtspunkt vorsätzlicher Tatbegehung erhöht werden kann (Senat NZV 2006, 609).
b) Bei dem auf die Sachrüge festgestellten Begründungsmangel handelt es sich gegen ersten Anschein nicht um einen Rechtsfehler im Einzelfall, so dass die sachlichen Voraussetzungen der Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vorliegen. Der Abteilungsrichter beim Amtsgericht Tiergarten ist nämlich zumindest in einem Verfahren (290 Owi 762/13) auf das Erfordernis, vom Bußgeldkatalog abweichende Geldbußen zu begründen, hingewiesen worden, wobei dort wegen des Anscheins eines lediglich im Einzelfall begangenen Rechtsfehlers von der Zulassung der Rechtsbeschwerde abgesehen worden war. Der Senat hatte ausgeführt, es könne offen bleiben, ob die unterbliebene Rechtsfolgenbegründung Ergebnis eines Versehens oder einer unzutreffenden Rechtsauffassung gewesen sei, denn „selbst im Falle einer bewussten Entscheidung wäre nicht zu besorgen, dass das Amtsgericht daran festhielte“ (vgl. Senat NZV 2015, 355). Hierin sieht sich der Senat getäuscht.
c) Der Zulassung der Rechtsbeschwerde steht allein § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nur zugelassen werden, wenn durch das angefochtene Urteil eine Geldbuße von mehr als 100 Euro festgesetzt worden ist. Dies ist hier nicht der Fall.“
Dass der Senat „not amused“ war, liest man deutlich: Er „sieht sich getäuscht„, „Floskel“, „gegen ersten Anschein„…
Der Richter hat doch nicht getäuscht. Die RiKG hatten keinerlei Veranlassung davon auszugehen, daß sich diese Entscheidungen nicht wiederholen werden.
Der Senat formuliert: „Hierin sieht sich der Senat getäuscht.“ Im Übrigen: Als Rechtsbeschwerderichter geht man schon davon aus, dass sich nach einem solchen Hinweis/einer solchen Entscheidung ein monierter Fehler nicht wiederholt….
Und zum Schluss bleibt für den Verteidiger die unschöne Erläuterung an den Mandant, dass das amtsrichterliche Urteil falsch war, aber dennoch Bestand haben wird.
Stinksauer ist schön, für den Betroffenen als Justizopfer aber wertlos. Denn was bleibt ihm jetzt? Verfassungsbeschwerde? Argument Willkürentscheidung? Das Risiko, daß von dort die Subsidiaritätskeule kommt („die Argumente hätten auch schon in der Rechtsbeschwerde vorgebracht werden können und müssen“) ist erheblich, eine Rechtsschutz zahlt das und finde erstmal einen Kollegen, der sich mit VerfBeschwerden ausreichend auskennt und dann auch noch einen Betroffenen, der die in der Regel vierstelligen Gebühren für ein solches Abenteuer gerne investiert.
Es ist schon erstaunlich, erneut ein Fall, wo sich der Senat desKG in der Verpflichtung sieht, sehenden Auges erkanntes Unrecht durch ein Fehlurteil nicht zu beseitigen. Dann muß man halt das Ganze unter Grundsatzbedeutung subsummieren oder notfalls die Radbruch´sche Formel bemühen oder was auch immer und so ein Ding aufheben und anderweitig zurückverweisen.
Was bleibt denn jetzt? Ein Persilschein für den Amtsrichter allererster Güte, der sich amüsieren kann. Die Wiederholungsgefahr kennt zwar jetzt jeder bloglesende Verteidiger und kann sich bei Verfahren der Abt. 290 darauf berufen, bringt aber nix. Denn wenn die Geldbuße unter 100 Euro bleibt, sind ja die Grenzen des Rechtsbeschwerdeverfahrens scheinbar erreicht und der Amtsrichter hat den unbegrenzten Freifahrtschein für lächelnde Ignorierung seines hilflos wütenden Rechtsbeschwerdegerichts.
Wenn man am Kleistpark also stinksauer ist, aber Fehlurteile sehenden Auges hält, juckt dat in der Kirchstraße doch keenen.
korrigiere: KEINE Rechtsschutz zahlt das…. da fehlte leider der wichtigste Buchstabe…
Die RiKG waren nicht getäuscht. Weder vom RiAG K., noch hatten sie sich darum Gedanken gemacht, daß es künftig anders sein könnte. RiAG K. fällt seit Jahren mit derart ungewöhnlichen Gedanken auf. Das KG weist ihn dann daraufhin und er nimmt es nicht zur Kenntnis. Er hat beim LG und KG schon etliche derartige „Rüffel“ eingesteckt. Bleibt eigentlich nur noch der Vorwurf der Rechtsbeugung
Das KG macht dem Amtsrichter zum Vorwurf, rechtliche Hinweise in zwei früheren Entscheidungen nicht beachtet zu haben. Diese Entscheidungen waren aber jeweils solche, in denen das Rechtsmittel als unzulässig verworfen wurde und die Sache damit rechtskräftig abgeschlossen war. Hat ein Amtsrichter wirklich die Muße, solche Entscheidungen daraufhin durchzusehen, ob sich irgendwo ein nicht tragender Hinweis auf die abweichenden Rechtsansichten des Beschwerdegerichts findet?
@ Kroll: welcher Zulassungsgrund?
Zur Rechtsfortbildung. Dass bereits ein anderes OLG die Rechtsfrage im gleichen entschieden hat, wie es das zulassende OLG tun will, steht der Zulassung nicht entgegen (OLG HH MDR 70, 527), da dadurch ein aufgestellter Leitsatz gefestigt und eine einheitliche Rspr gesichert werden kann, so Göhler § 80 Rn 3.
Wo ein Wille ist, ein strafrechtliches Fehlurteil zu beseitigen, muß m.E. ein Weg sein und gefunden werden. Es geht nicht um Zivilrecht, wo sich gleichrangige Interessen von zwei Prozeßparteien gegenüber stehen, sondern um Bußgeld- und dogmatisch Strafrecht, also Staatsgewalt gegen Bürger.
Die den schlafenden Tyrannen zerhackende Ehefrau ist auch nicht als Mörderin zur lebenslagen Freiheitsstrafe verurteilt worden, obwohl das Gesetz dieses nach allen bis zu dieser Lehrbuchentscheidung bekannten Grundsätzen zwingend forderte. Ja, ich ziehe jetzt ein großen Bogen, aber ich kann mich nicht damit abfinden, daß ein Strafgericht keinen Weg finden will, vor Eintritt von materieller Rechtskraft ein erkanntes verurteilendes Fehlurteil zu beseitigen.
@ Vokuhila: Das meinen Sie jetzt nicht ernst? 🙁