Recht streng ist m.E. das KG mit einem Betroffenen hinsichtlich des Absehens vom Fahrverbot gewesen. Das AG hatte bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung vom Fahrverbot abgesehen und ist den „auf ein verlesenes Schreiben des Arbeitgebers gestützten Angaben des Betroffenen gefolgt, wonach ihm, dem Betroffenen, bei Anordnung eines Fahrverbotes der Arbeitsplatzverlust infolge Kündigung drohe. Denn er sei als angestellter Physiotherapeut auf seinen Führerschein angewiesen, weil er laut Arbeitsvertrag ausschließlich Hausbesuche absolviere, zu denen er schwere Massagebänke sowie andere Hilfsmittel transportieren müsse. Diese auswärtigen Termine könnten weder sein Arbeitsgeber „aus privaten und beruflichen Gründen“ noch die anderen acht Angestellten „wegen fehlender Kenntnisse“ oder „fehlendem Führerschein“ wahrnehmen. Das Amtsgericht kommt daher zu dem Schluss, dass „die Vollstreckung des Fahrverbotes unverhältnismäßig sei und für den Betroffenen aus beruflichen Gründen eine unzumutbare Härte bedeuten würde“. Ergänzend sei der Zeitpunkt des Verstoßes „zur Nachtzeit bei üblicherweise sehr geringem Verkehrsaufkommen zu berücksichtigen.“
Dem KG reicht das so nicht. Es hat im KG, Beschl. v. 24.02.2016 – 3 Ws (B) 95/16 – aufgehoben:
„bb) Nach diesen Grundsätzen lassen die Urteilsgründe die erforderliche Abwägung vermissen und belegen nicht, dass das Fahrverbot für den Betroffenen eine ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde. Dies gilt sowohl für jeden einzelnen im Urteil niedergelegten Umstand als auch für eine Gesamtschau aller Umstände. Dass der unvorbelastete Betroffene aufgrund seines Arbeitsvertrages ausschließlich für Hausbesuche, die er allein mit dem PKW zu absolvieren hat, angestellt worden ist, zu denen er u.a. Massagebänke, Gewichte und andere Utensilien mitzunehmen hat, gibt keinen Anlass, ein einmonatiges Fahrverbot als unzumutbar anzusehen.
Zwar hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln wegen der Größe und des Umfanges der Utensilien nicht möglich sei, eine plausible Erklärung, warum die Inanspruchnahme eines Taxi als öffentliches Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, enthalten die Urteilsgründe jedoch nicht.
Auch fehlen Feststellungen dazu, ob diese Aufgabe während eines Fahrverbotes nicht durch eine Kombination von Urlaub und Hinzuziehen eines Fahrers zu bewältigen ist. Denn selbst wenn nur der Betroffene die Hausbesuche vornehmen kann, so muss der Arbeitgeber doch für den Fall des Urlaubes oder Erkrankung des Betroffenen Vorkehrungen für das Gewährleisten dieser Hausbesuche getroffen haben, die auch für die Zeit eines Fahrverbotes gelten könnten. Unter diesem Gesichtpunkt ist zu besorgen, dass das Amtsgericht die Angaben des Arbeitgebers unkritisch übernommenen hat.
Die ergänzende Überlegung des Amtsgerichts (UA S.2) zum Absehen vom Fahrverbot, der Verkehrsverstoß habe sich „zur Nachtzeit bei üblicherweise sehr geringem Verkehrsaufkommen zugetragen“ überzeugt nicht, da sich bereits andere Verkehrsteilnehmer erfahrungsgemäß nicht darauf einstellen müssen, dass die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von einem einzelnen Kraftfahrer, in einem derart hohen Maß – hier über 50% der zulässigen Höchstgeschwindigkeit – überschritten wird (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2015 – 3 Ws (B) 307/15 -). Die zulässige Höchstgeschwindigkeit darf grundsätzlich auch nicht zur Nachzeit bei geringem Verkehrsaufkommen überschritten werden.
Die Schlussfolgerung des Verteidigers, bereits aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen könne er, der Betroffene, sich weder Ersatzfahrer noch Taxifahrten leisten, ist urteilsfremd und daher vom Rechtsbeschwerdegericht nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Umstände des nicht wahrgenommenen Verkehrszeichens über die Geschwindigkeitsbeschränkung. Insoweit merkt der Senat an, dass die fehlenden Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen wegen der Höhe des verhängten Bußgeldes mit Blick auf § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG bedenklich sind.
Insgesamt stellen die durch das Amtsgericht bezeichneten Umstände allenfalls Unbequemlichkeiten dar, die als regelmäßige Folge eines Fahrverbots hinzunehmen sind.“
Nun, Probleme habe ich mit der Formulierung „ganz außergewöhnliche….“. Ist das bzw. soll das eine Steigerung sein und wird dadurch ggf. nicht ein zu strenger Maßstab angelegt? Und ob das alles nur Unbequemlichkeiten sind…..Die Berliner Taxifahrer werden sich freuen, wenn sie ggf. auch Massagebänke transportieren dürfen.
Da ist mal wieder jemand weit von der Realität entrückt.
Mir tut der Typ ja auch leid …
Aber wer das Absehen vom Fahrverbot im vorliegenden Fall verteidigt, mag mir eine Argumentation liefern, wie ich meinem fahrverbotsbetroffenen Berliner Taxifahrer erkläre, dass sein Arbeitsplatzverlust keine Rolle spielt (Kammergericht 3 Ws (B) 355/14 – 162 Ss 97/14 und nach meiner Kenntnis im Grundsatz die Berliner Linie).
Entweder man ist bei der Anerkennung beruflicher Nachteile großzügig(er) oder man ist (unverhältnismäßig?) streng – aber bitte nach einheitlichen Maßstäben.
@ G. Stuth: Die Richtung des Kommentars ist mir nicht ganz klar…..wer verteidigt den die Entscheidung des KG? – „ganz außergewöhnliche Härte “ ist m.E. ein zu strenger Maßstab.