Archiv für den Monat: März 2016

Ich habe da mal eine Frage: Warum müssen Amtsrichter mit uralten Kommentar-Auflagen über Gebühren entscheiden?

© AllebaziB - Fotolia

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Heute ist Freitag und damit an sich der Tag und die Zeit für ein Gebührenrätsel. Aber da heute Karfreitag und damit Feiertag ist, verzichte ich auf die Gebührenfrage – wer mag schon am Feiertag arbeiten? -; es gibt also am Montag auch keine Auflösung. Ich nehme den freien Platz allerdings zum Anlass, eine andere Frage zu stellen, die zumindest gebührenrechtlichen Einschlag hat.

Auslöser dafür ist der AG Heidelberg, Beschl. v. 22.03.2015 – 15 OWi 26/16. Der ist nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens im Kostenfestsetzungsverfahren ergangen. Der Verteidiger hatte die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG geltend gemacht. Die ist auch festgesetzt worden. Allerdings nur in Höhe der Mindestgebühr von 30 € und nicht – was richtig gewesen wäre – in Höhe der Rahmenmitte, also in Höhe von 160 €. Das AG meint – gegen die überwiegende Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass die zusätzliche Gebühr Nr. 5115 VV RVG (was dann auch für die Nr. 4141 VV RVG gilt) keine Festgebühr sei, sondern sich auch nach den Kriterien des § 14 RVG richte. Es sieht in Anm. 3 Satz 2 zu Nr. 5115 VV RVG eine „verstärkte Bemessungsgrundlage“. Das ist in meinen Augen falsch. Dafür ergibt sich nichts aus dem Gesetz. Und die Anm. 3 Satz 2 wäre überflüssig, wenn die Kriterien des § 14 RVG zur Anwendung kommen sollten. Denn die „Rahmenmitte“ ist, wenn man § 14 Abs. 1 RVG richtig anwendet, immer Ausgangspunkt der Bemessungsgrundlage.

So weit, so gut. Allein deshalb wäre der (falsche) AG-Beschluss allerdings kein Posting wert. Seine „Bedeutung“ bekommt er für mich erst durch folgende Passage: „Die Kommentarliteratur ist zu der Rechtsfrage uneinheitlich. Das Gericht schließt sich der Meinung von Hartmann, Kommentar zum Kostengesetz. 38. Aufl. 2008, Rn. 11 mit 13 zu VV 5115 an.“ Ja, richtig gelesen. „Hartmann, Kostengesetze [so lautet der Titel richtig], 38. Aufl., 2008“. Das ist also der Maßstab, den das AG zugrunde legt. Einen acht Jahre alten Kommentar – und nur den und nicht andere Kommentare, die die Frage alle anders sehen und auch nicht die weit gehend anders lautende Rechtsprechung; zitiert wird insoweit nur eine Entscheidung des LG Deggendorf aus dem Jahr 2005 (!).

Man fragt sich, warum und das führt für mich zu der Frage, warum die Justiz(verwaltung) eigentlich nicht mal ein paar Euro mehr locker macht und die Gerichte mit aktueller Literatur ausstattet? Man kann nun sicherlich darüber streiten, ob die Literatur jedes Jahr bzw. bei  jeder Neuerscheinung ausgetauscht werden muss (das würde die Verlage und Autoren freuen) oder, ob man auch mal eine Auflage überspringen kann. Aber die Frage stellt sich bei einem acht Jahre alten Kommentar m.E. nicht mehr? Denn in der Zeit sollte dann doch mal Geld für eine Neuanschaffung bereit gestellt worden sein. Und wenn man es getan hätte, dann hätte der entscheidende Amtsrichter (vielleicht) die aktuelle 46. Auflage (!!!) des Hartmann zur Verfügung gehabt und feststellen können, dass Hartmann seine vom AG zitierte/vertretene Auffassung schon in der 45. Auflage aufgegeben hat. Das AG hat sich also einer nicht (mehr) existierenden Auffassung/Meinung angeschlossen.

Also: Eine Pseudo-Begründung? Nun, ich habe dem Kollegen, der mir die Entscheidung geschickt hat, geraten, noch einmal Gegenvorstellung einzulegen. Was tut man nicht alles für 30 €? Vielleicht ändert das AG ja seine Meinung, wenn es sieht, dass der für das AG wohl maßgebliche Stützpfeiler nicht mehr steht. Er/ich werde berichten.

(Unmotivierter) Schuss aus Luftgewehr auf Schüler – „Fleppe“ weg

entnommen wikimedia.org Urheber Markscheider

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Der VG Neustadt, Beschl. v. 08.03.2016 – 3 L 168/2016 – 3 L 168/16.NW ist schon in verschiedenen anderen Blogs gelaufen. Ich will dann heute auf ihn mit dem Volltext der Entscheidung zurückkommen. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG. Der 1990 geborene Antragsteller ist wegen gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichen unerlaubten Besitzes und Führens einer Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte mit einem Luftgewehr auf einen Schüler auf dem Pausenhof einer Schule gezielt, geschossen und diesen verletzt. Im Beisein seines Cousins soll er beim Anlegen vor dem Schuss gesagt haben: „Das wäre ein guter Kopftreffer.“ Nach Rechtskraft des Strafbefehls hat die Fahrerlaubnisbehörde den Mann aufgefordert, zur Klärung seiner Fahreignung eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu absolvieren.

Der TÜV ist in seinem Gutachten dann zu dem Ergebnis gekommen, dass im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Auffälligkeit mit Anhaltspunkten für ein hohes Aggressionspotential zu erwarten sei, dass der Schütze zukünftig erheblich oder wiederholt auch gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Daraufhin ist dem Mann die Fahrerlaubnis entzogen worden. Dagegen der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Das VG hat die Entziehung der Fahrerlaubnis als (vorläufig) rechtmäßig angesehen. Das VG hat keine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Gutachtens. Der Gutachter habe ausgeführt, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse einen engen Zusammenhang zwischen allgemein-strafrechtlichen Delikten, Aggressivität und Verkehrsauffälligkeiten belegten. Personen, die außerhalb des Straßenverkehrs wenig Rücksicht auf Regeln und Gesetze nähmen, setzten sich auch beim Fahren leicht über die Verkehrsbestimmungen hinweg. Neben der Bedeutung der wissenschaftlichen Erkenntnisse sei der Gutachter zudem zu dem Schluss gelangt, dass das Gesprächsverhalten des Mannes bei dem psychologischen Untersuchungsgespräch von inneren Widersprüchen geprägt gewesen sei. Beispielsweise habe er die äußeren Umstände – das geladene Luftgewehr und den ungünstigen Einfluss seines Cousins – für sein Handeln verantwortlich gemacht. Insgesamt habe er die Verletzung eines Menschen durch den Schuss bagatellisierend dargestellt.

Ergebnis: „Fleppe“ weg.

Keine muslimische Beschneidungsfeier am Karfreitag

HagiaSchon etwas länger hängen in meinem Blogordner der VG Köln, Beschl. v. 08.01.2015 – 20 L 1916/14 -, der OVG Münster, Beschl. v. 23.03.2015 – 4 B 135/15 – und das VG Köln, Urt. v. 10.12.2015 – 20 K 5562/14, die ich mir allerdings wegen der thematischen Anbindung zum (heutigen) Karfreitag bewusst aufgespart habe. In den Verfahren ging es um die Rechtmäßigkeit einer Verfügung der Stadt Köln, die verboten hatte, am Karfreitag eine (muslimische) Beschneidungsfeier stattfinden zu lassen. Der Antragsteller des Verfahrens betreibt in Köln einen Festsaal. Er vermietet diesen Saal auch für islamische Beschneidungsfeiern mit einer Vielzahl von Gästen. Solche Feiern beinhalten unter anderem Lesungen aus dem Koran sowie Gesang, Tanz und ein Festmahl. Die Stadt Köln hat im April 2014 nach dem Feiertagsgesetz des Landes NRW die Durchführung derartiger und aller unterhaltenden Feiern am Karfreitag und an weiteren Feiertagen untersagt. Der Antragsteller war davon ausgegangen, dass das Verbot rechtswidrig ist. Er hatte das Feiertagsgesetz NRW als verfassungswidrig angesehen . Da die Zahl der Mitglieder der christlichen Kirchen zurückgehe und nur wenige Kirchenmitglieder den Glauben aktiv lebten, sei die Privilegierung christlicher Feiertage nicht mehr rechtens. Zudem handele es sich bei einer Beschneidungsfeier insgesamt um eine religiöse Veranstaltung, die den Zielen des Feiertagsgesetzes nicht zuwider laufe und für die im Rahmen einer Abwägung jedenfalls eine Ausnahme zugelassen werden müsse.

Das hat das VG im VG Köln, Beschl. v. 08.01.2015 – 20 L 1916/14 – und auch im VG Köln, Urt. v. 10.12.2015 – 20 K 5562/14 – anders gesehen. Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit des Feiertagsgesetzes bestanden nach Auffassung des VG nicht. Vielmehr sei der Schutz der Feiertage verfassungsrechtlich geboten. Die Feier falle unter die Verbote für den als stillen Feiertag besonders geschützten Karfreitag – einen der höchsten christlichen Feiertage. Denn wegen des Gesangs, des Tanzes und des Festmahls habe die Feier objektiv auch unterhaltenden Charakter. Auch dann, wenn die Feier insgesamt als religiöse Feier angesehen werde, könne sie nicht ausnahmsweise zugelassen werden. Bei der dann notwendigen Abwägung sei maßgeblich darauf abzustellen, dass das Beschneidungsfest nicht aus religiösen Gründen gerade am Karfreitag gefeiert werden müsse. Demgegenüber sei der Karfreitag kalendergebunden, weshalb ihm Vorrang einzuräumen sei.

Der im Eilverfahren ergangene VG-Beschluss ist dann vom OVG Münster im OVG Münster, Beschl. v. 23.03.2015 – 4 B 135/15 – bestätigt worden. Auch das OVG geht davon aus, dass eine Beschneidungsfeier  jedenfalls auch unterhaltenden Charakter habe und sie sei deshalb nach den Bestimmungen des Feiertagsgesetzes am Karfreitag grundsätzlich nicht zulässig. Diese unterhaltenden Elemente – Gesang, Tanz, Festmahl – widersprächen – zumal bei der hier in Rede stehenden Gästezahl von mindestens 400 – dem ernsten Charakter und besonderen Wesen des Karfreitags. Dass Beschneidungsfeiern religiös motiviert seien, sei angesichts der verfassungsrechtlich abgesicherten, gesetzlichen Zielsetzung, den Karfreitag als zentralen christlichen Feiertag mit seiner Eigenart als Tag der Trauer und der inneren Einkehr besonders zu schützen, als solches unerheblich.

Und: Für die Beschneidung komme im islamischen Kulturkreis eine Lebensspanne von der Geburt bis zum 14. Lebensjahr des Kindes in Betracht. Es bestehe kein schutzwürdiges Interesse, die Feierlichkeiten gerade am Karfreitag abzuhalten, zumal die eigentliche Beschneidung häufig bereits mehrere Wochen zuvor stattgefunden habe. Hinzu komme, dass sich der Antragsteller jedenfalls nicht selbst auf Art. 4 Abs. 2 GG berufen könne. Die Vermietung seiner Gaststätte habe keine religiösen Gründe, sondern gewerbliche.

Drogenabhängiger Angeklagter – nicht unbedingt ein Pflichtverteidiger

© MK-Photo - Fotolia.com

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Bevor es dann ins lange Osterwochenende geht, gibt es noch eine Entscheidung zur Pflichtverteidigung, und zwar den KG, Beschl. v. 23.02.2016 – 3 Ws 87/16. Das KG hat die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. In dem Verfahren ging es um eine Verfahren u.a. wegen des Vorwurfs der Körperverletzung. Der Angeklagte hatte selbst gegen die Verurteilung durch das AG Berufung eingelegt. In einer Stellungnahme in den Akten heißt es: „Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass Herr S. seit dem 29.9.2014 durch unsere Einrichtung beraten und vermittelt wird. Herr S. hält seine Termine in unserer Beratungsstelle zuverlässig ein und arbeitet mit, hinsichtlich seiner Abhängigkeit von Opiaten und Alkohol eine dauerhafte Abstinenz zu erreichen … Insgesamt zeigt Herr S. ein polytoxes Abhängigkeitsmuster, weshalb es zur Zeit auch schwer fällt, sich um relevante Belange seines täglichen Lebens zu kümmern.“ Der Angeklagte hat dann die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für das Berufungsverfahren beantragt. Das LG hat das abgelehnt. Dagegen die Beschwerde des mittlerweile verteidigten Angeklagte. Der Verteidiger führt noch aus, er habe den Angeklagten in einer Hilfseinrichtung für Drogenabhängige kennengelernt. Der Angeklagte mache den Eindruck eines „alten und schwer kranken Mannes … im Endstadium einer denkbar schweren multitoxischen Erkrankung“.

Das KG lehnt die Beiordnung auch wegen Verteidigungsunfähigkeit ab:

c) Die Beschwerdeschrift behauptet zwar nicht ausdrücklich, dass der Angeklagte verteidigungsunfähig sei. Im Hinblick auf die Ausführungen zu seinem Erscheinungsbild ist aber ersichtlich, dass dies dargetan werden soll. Auch dieser Einwand gebietet die Beiordnung eines Verteidigers nicht.

aa) Die Verteidigungsfähigkeit eines Beschuldigten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falls (vgl. OLG Nürnberg StRR 2014, 242 [Volltext bei juris] mwN; KG StV 1985, 449). Bei körperlichen, geistigen und seelischen Gebrechen kommt es jeweils auf den Grad der Behinderung und die sonstigen Umstände des Falles an (vgl. KG StV 1985, 449; Senat, Beschluss vom 14. August 2006 – 3 Ws 416/06 -; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 140 Rn. 30, mwN). Als Indiz für eine mögliche Verteidigungsunfähigkeit ist es zu bewerten, wenn der Beschuldigte unter Betreuung steht (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 – 3 Ws 49/13 -; OLG Hamm, NJW 2003, 3286; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 140 Rn. 30 mwN).

bb) Nach dieser Maßgabe erscheint der Angeklagte – nach gegenwärtiger und auf Aktenlage basierender Einschätzung des Beschwerdegerichts – nicht unfähig, sich selbst zu verteidigen. Der drogenabhängige Angeklagte war im ersten Rechtsgang nicht verteidigt, ist aber zum Hautverhandlungstermin am 15. September 2015, zu dem er bereits mehr als zwei Monate zuvor geladen worden war, erschienen. Er hat binnen Wochenfrist und damit rechtzeitig schriftlich das zulässige Rechtsmittel, die Berufung, eingelegt. Zeitgleich hat er eingewandt, in erster Instanz sei ein wichtiger Zeuge übergangen worden. Er hat diesen sodann namentlich bezeichnet und beantragt, dass der Zeuge in der Berufungshauptverhandlung geladen werden solle. Die Drogenberatungseinrichtung „vista“ hat zwar bekundet, der Angeklagte zeige ein polytoxes Abhängigkeitsmuster, aber zugleich die hohe Abstinenzmotivation des Probanden und seine Zuverlässigkeit in der Zusammenarbeit dargetan.

Diesen insgesamt für die Verständigkeit und Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten streitenden Umständen steht zwar die nicht weniger als katastrophal zu bezeichnende Einschätzung des Verteidigers gegenüber, der u. a. erklärt, der Angeklagte sei „permanent umnachtet und auf Hilfe angewiesen“, er, der Verteidiger, habe „selten einen hilfsbedürftigeren Mandanten gesehen“, und der Angeklagte habe das Rechtsmittel nur durch fremde Hilfe einlegen können.

Die Einschätzung des Verteidigers, sein Mandant sei nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, findet aber im Tatsächlichen keine Bestätigung. Zwar ist es nachvollziehbar und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte glaubhaft, dass der Angeklagte in den Räumen der Drogenhilfstelle „Fixpunkt“ einen Ansprechpartner hat, der ihm auch bei der Abfassung der Berufungsschrift geholfen hat. Der Inhalt dieses Schriftstücks deutet aber zum einen gerade darauf hin, dass der Angeklagte der Hauptverhandlung folgen konnte. Zum anderen legt er nahe, dass es der Angeklagte selbst war, der einen tatsächlichen oder vermeintlichen Schwachpunkt des Urteilsspruchs erkannt und daraus gefolgert hat, seine Chancen stünden in nächster Instanz besser, wenn ein weiterer Zeuge geladen wird. Dass er diesen namentlich benannt und zu laden beantragt hat, stellt sich – allem Anschein nach – als vernünftiges Verteidigungshandeln dar, das auf den Angeklagten selbst zurückgeht.

Der Angeklagte steht auch nicht unter Betreuung, und der Verteidiger, der nach eigenem Bekunden in einer Drogenberatungsstelle Rechtsberatung betreibt und daher gleichermaßen über Erfahrung im Umgang mit Drogenabhängigen und Verantwortungsbewusstsein verfügen dürfte, hat nicht dargelegt, dass er eine Betreuungsanordnung veranlasst habe oder auch nur für angezeigt hielte. Eine ärztliche Bescheinigung, welche die Einschätzung des Verteidigers belegen könnte, ist nicht zu den Akten gereicht worden.“

Wenn überhaupt, klappt es in den Fällen dann wohl nur mit einer ärztlichen Bescheinigung.

Alle Jahre wieder: Der Pkw als Waffe, oder: Die Fahrt auf der Motorhaube

© vege - Fotolia.com

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Gefühlt einmal im Jahr (vielleicht auch öfter) gibt es (eine) BGH-Entscheidungen zur Frage des Vorliegens einer gefährlichen Körperverletzung i.S. des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen durch den Einsatz eines Pkw als (gefährliches) Werkzeug. Meist haben die entsprechenden Revisionen in dem Punkt Erfolg, weil die von den LG getroffenen Feststellungen nicht ausreichen. So auch im BGH, Beschl. v. 03.02.2016 – 4 StR 594/15 – der Sachverhalt erschließt sich aus dem nachfolgenden Zitat:

„2. Die (weitere) tateinheitliche Verurteilung beider Angeklagter wegen gefährlicher Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats erfordert eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass die Körperverletzung durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eingetreten ist. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss die körperliche Misshandlung also bereits durch den Anstoß selbst ausgelöst worden sein. Erst infolge eines anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen sind dagegen nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Fahrzeug und Körper zurückzuführen (Senatsbeschlüsse vom 14. Januar 2014 – 4 StR 453/13, VD 2014, 137; vom 25. April 2012 – 4 StR 30/12, NStZ 2012, 697; vom 12. Februar 2015 – 4 StR 551/14).

b) Gemessen daran sind die Voraussetzungen einer gefährlichen Körperverletzung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB im vorliegenden Fall nicht hinreichend belegt.

Nach den Feststellungen setzte sich der Geschädigte auf die Motorhaube des Kraftfahrzeugs der Angeklagten, nachdem die Angeklagte ihn im Einvernehmen mit dem Mitangeklagten, ihrem Ehemann, zunächst mit dem Pkw langsam nach vorn rollend, etwa einen Meter zurückgedrängt hatte, um mit dem Diebesgut, zwei Kisten Mineralwasser, vom Parkplatz des Getränkemarktes unentdeckt zu entkommen. Dann fuhr sie auf entsprechende Aufforderung ihres Ehemannes mit dem weiterhin auf der Motorhaube sitzenden Geschädigten mit mittlerer Geschwindigkeit über den Parkplatz in Richtung Ausfahrt. Sie vermochte den Geschädigten jedoch nicht abzuschütteln, da sich dieser an dem Spalt zwischen Motorhaube und Windschutzscheibe festhielt. Während der Fahrt rutschte der Geschädigte aber einmal nach vorn, „so dass sein linker Fuß kurzzeitig vorne unter die Motorhaube geriet, wodurch [er] nicht unerhebliche Schmerzen am Fuß erlitt.“ Danach ist die Tatmodalität des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht dargelegt; es bleibt offen, ob die körperliche Misshandlung auf einen unmittelbaren Kontakt zwischen dem Körper des Geschädigten und dem Fahrzeug zurückzuführen ist.“

Hätte man m.E. auch anders sehen können….