Archiv für den Monat: Februar 2016

Mehrere Fahrverbote bei Tatmehrheit? Nein, nur eins, sagt jetzt der BGH

© MASP - Fotolia.com

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Das OLG Hamm hatte mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 30.04.2015 – 3 RBs 116/15 dem BGH die in Rechtsprechung und Literatur streitige Frage: Mehrere Fahrverbote bei Tatmehrheit?, vorgelegt (vgl. dazu Mehrere Fahrverbote bei Tatmehrheit? – das beantwortet demnächst der BGH).

Die Frage war:

„Kann bei zwei Ordnungswidrigkeiten, die in Tatmehrheit stehen, die jeweils mit einem Fahrverbot als Nebenfolge geahndet werden können und über die gleichzeitig zu urteilen ist, stets lediglich ein einheitliches Fahrverbot verhängt werden oder ist es möglich, hinsichtlich jeder Ordnungswidrigkeit gesondert ein Fahrverbot – mithin zwei Fahrverbote nebeneinander- zu verhängen?“

Jetzt ist die Antwort des BGH da. Der Kollege Türker aus Berlin hat mir den von seinem Kollegen RA Hizarci erstrittenen BGH, Beschl. v. 16.12.2015 – 4 StR 227/15 – übersandt (steht bzw. stand bis gestern noch nicht auf der HP des BGH). Und der BGH sieht es anders als das OLG Hamm. Er sagt:

„Wird über zwei Ordnungswidrigkeiten, die in Tatmehrheit stehen und jeweils mit einem Fahrverbot als Nebenfolge geahndet werden können, gleichzeitig entschieden, so ist nur ein einheitliches Fahrverbot zu verhängen.“

Es bleibt also bei der h.M. der Obergerichte.

Fleißkärtchen für den Pflichtverteidiger

FleisskaertchenEin Fleißkärtchen in Form von Euros/einer Pauschvergütung (§ 51 RVG) hat es für den Kollegen Siebers aus Braunschweig beim OLG Braunschweig gegeben. Der Kollege hatte in einem Verfahren wegen Urkundenfälschung als Pflichtverteidiger beim LG Braunschweig verteidigt und nach Abschluss des Verfahrens dann eine Pauschgebühr beantragt. Die hat das OLG dann im OLG Braunschweig, Beschl. v. 15.02.2016 – 1 AR 10/16 – bewilligt, und zwar anstelle der gesetzlichen Gebühren von 845,– € eine Aufstockung auf 1.485,– €. Begründung:

„Der Pflichtverteidiger, dem gesetzliche Gebühren i.H.v. 845,–€ zustehen, beantragt die Aufstockung dieser Gebühren um 640,–€. Der Bezirksrevisor bei dem Landge­richt Braunschweig unterstützt den Antrag.

Zur Begründung und Berechnung des vorstehenden Betrages nimmt der Senat zu­nächst auf den Antrag des Verteidigers vom 15.09.2015 Bezug. Danach war das Verfahren umfangreich und schwierig, konnte aber aufgrund der guten Vorbereitung durch den Verteidiger an nur einem Verhandlungstag letztlich ohne die andernfalls notwendig gewordene Vernehmung von weiteren Zeugen – was aber mehrere zu­sätzliche Verhandlungstage bedeutet hätte – beendet werden. Demgemäß hat auch der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Braunschweig gegen die beantragte Pausch­vergütung keine Einwände erhoben.“

Liest sich wirklich so wie ein „Fleißkärtchen“, das der Vorsitzende des Senats hier austeilt. Muss dann aber auch wohl berechtigt gewesen sein, wenn auch der Bezriksrevisor den Antrag unterstützt. 🙂

Die Entscheidung liegt übrigens auf der Linie der Rechtsprechung der OLG zur Pauschgebühr: Diese berücksichtigen prozessökonomische Tätigkeiten des Pflichtverteidigers, wenn der durch diese Tätigkeiten zur Abkürzung des Verfahrens beigetragen hat (OLG Hamm StraFo 2005, 173 = AGS 2005, 112; NJW 2006, 75 = JurBüro 2006, 138 = StV 2006, 203; JurBüro 2005, 535; OLG Hamm, Beschl. v. 27.03.2014 – 5 RVGs 8/14; OLG Karlsruhe, RVGreport 2005, 315= StV 2006, 205 = NStZ-RR 2005, 286).

Nur Auf- und Abstriche unter dem Urteil? – Das ist keine „Unterschrift“

© Gina Sanders Fotolia.com

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Ich vermute mal, dass der Verteidiger in einem beim AG Tiergarten in Berlin anhängigen Bußgeldverfahren über die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteilsüberrascht gewesen sein wird. Manche Aufhebungen überraschen aber eben bzw. mit ihnen kann man nicht rechnen. So m.E. im Zweifel eben die durch den KG, Beschl. v. 02.02.2016 – 3 Ws (B) 60/16 — 122 Ss 188/15. Der Verteidiger hatte in einem Verfahren wegen eines Rotlichtverstoßes nach der Verurteilung des Betroffenen die Sachrüge erhoben. Die führt dazu, dass das Rechtsbeschwerdegericht das amtsgerichtliche Urteil umfassend auf materiell-rechtliche Fehler überprüft. Voraussetzung ist aber, dass überhaupt ein Urteil vorliegt. Und das setzt dann wiederum eine ordnungsgemäße Unterschrift unter der Urteilsurkunde voraus. Die hat das KG in dem Fall aber vermisst:

„…..Eine fehlende oder unzureichende Unterschrift stellt einen sachlich-rechtlichen Fehler dar (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2011, 348, Senat zfs 2014, 349 und Beschluss vom 16. September 2013 – 3 Ss 82/13 -), der nur innerhalb der Frist des§ 275 Abs. 1 Satz 2 StPO berichtigt werden kann.

Zu den Anforderungen an die Unterschriftsleistung hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift Folgendes ausgeführt:

„Die Unterschrift der Tatrichterin unter dem Urteil (BI. 154 d. A) vermag den Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. KG Beschlüsse vom 16. September 2013 – (3) 161121/13 (82/13) -, vorn 7. März 2014 – (4) 161 Ss 45/14 (58/14) -, vom 27. November 2013 – 3 Ws (B) 535/13 – Juris — und vom 24. Oktober 2013 – 3 Ws (B) 534/13 -; OLG Köln NStZ-RR 2011, 348f.; Sander in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 275 Rdn. 37 m. w. N.) für eine wirksame Unterzeichnung im Sinne von § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht zu genügen. Erforderlich ist zur wirksamen Unterzeichnung ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug, der charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert. Dazu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann. Das setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt. Diese Grenze individueller Charakteristik ist insbesondere bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahezu gerader) Linien eindeutig überschritten (vgl. KG und OLG Köln jew. a.a.O). Nach diesen Maßstäben liegt hier auch bei wohlwollender Betrachtungsweise keine Unterschrift vor. Das Urteil zeigt an der für die richterliche Unterschrift vorgesehenen Stelle nur einen Aufstrich, dem ein linksgerichteter Abstrich folgt, der wiederum in einen annähernd waagerechten Strich übergeht. Weder sind Buchstaben oder Buchstabenfragmente erkennbar noch ist sonst ein Hinweis dahin ersichtlich, dass es sich um Schrift handelt.“

Dieser Einschätzung kann sich der Senat nicht verschließen. Auch wenn an die Unterschriftsleistung keine allzu großen Anforderungen gestellt werden dürfen, hat sich in der Rechtsprechung doch Übereinstimmung gebildet, dass einzelne Buchstaben erkennbar sein müssen. Daran fehlt es hier. Damit aber liegt kein vollständiges schriftliches Urteil, sondern lediglich ein Entwurf vor, weshalb der Senat die ihm mit der Rechtsbeschwerde angetragene sachlich-rechtliche Prüfung nicht vornehmen kann.“

Tja, Frau Tatrichterin: Gehe zurück auf Los….. So richtig glücklich ist der Senat mit der Entscheidung übrigens nicht. Kann man m.E. aus der Formulierung „…nicht verschließen“ entnehmnen. Aber an der Aufhebung ging dann doch kein Weg vorbei.

„Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA…“. oder: Das unfassbare Facebook-Profil eines StK-Vorsitzenden

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Es gibt Dinge, von denen ich immer gehofft habe, dass es sie nicht gibt. Dann wird man aber vom Gegenteil überzeugt, meist schmerzlich. So ist es mit dem BGH, Beschl. v. 12.01.2016 – 3 StR 482/15, den mir gestern einer der Verteidiger, der die beiden Angeklagten gegen den Vorwurf des erpresserischen Menschenraubes bei einer Strafkammer der LG Rostock verteidigt hat, zugesandt hat. „Schmerzlich“ ist allerdings nicht der – zutreffende – BGH, Beschl., sondern der ihm zugrunde liegende Sachverhalt.

Und zum Sachverhalt – es geht um Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden der großen Strafkammer (§§ 24 ff. StGBStPO) – stellt der BGH fest:

„Der Verteidiger des Angeklagten Y. nahm am Abend des 22. Januar 2015 erstmals von dem Facebook-Account des Vorsitzenden der Strafkammer Kenntnis. Im öffentlich zugänglichen Bereich war auf der Profilseite ein Lichtbild des Vorsitzenden zu sehen, auf dem dieser mit einem Bierglas in der Hand auf einer Terrasse sitzt und ein T-Shirt trägt, das mit der Aufschrift: „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA“ bedruckt ist. Auf derselben Seite war vermerkt: „2. Große Strafkammer bei Landgericht Rostock“. In der Zeile darunter hieß es: „1996 bis heute“. Im Kommentarbereich befand sich ein Eintrag des Vorsitzenden, der wie folgt lautete: „Das ist mein ‚Wenn du raus kommst, bin ich in Rente‘-Blick“. Dieser Eintrag wurde von einem Benutzer mit den Worten: „.,.sprach der schwedische Gardinen-Verkäufer! :-))“ kommentiert, was wiederum von zwei Personen, darunter der Vorsitzende, „geliked“ wurde. Zu Beginn des nächsten Hauptverhandlungstages lehnte der Angeklagte daraufhin den Vorsitzenden wegen des Inhalts der Facebook-Seite und weiterer Umstände wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Angeklagte E schloss sich diesem Gesuch an. In der Folgezeit äußerte sich der Vorsitzende dienstlich zu dem den Facebook-Account betreffenden Inhalt des Ablehnungsgesuches wie folgt: „Zum weiteren Vorbringen im Ablehnungsgesuch gebe ich keine Stellungnahme ab. Ich werde mich nicht zu meinen privaten Lebensverhältnissen äußern.“ Am 28. Januar 2015 wies die Strafkammer die Ablehnungsgesuche der Angeklagten als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Internetauftritt des Vorsitzenden betreffe ausschließlich dessen persönlichen Lebensbereich und sei offensichtlich humoristisch geprägt.“

Für mich einfach: Unfassbar. Oder? Ich muss ehrlich sagen: Mir fehlen die Worte. Dem BGH allerdings nicht, denn der hat das getan, woran m.E. kein Weg vorbei führte. Er hat das Ablehnungsgesuch als begründet angesehen und das Urteil des LG – ohne viel Worte – wegen eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 3 StPO aufgehoben:

„Die Ablehnung eines Richters ist nach § 24 Abs. 2 StPO gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann. Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein vernünftiger bzw. verständiger Angeklagter (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Mai 2014 – 1 StR 726/13, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 23; Urteil vom 12. November 2009 – 4 StR 275/09, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 21).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Inhalt der öffentlich und somit auch für jeden Verfahrensbeteiligten zugänglichen Facebook-Seite dokumentiert eindeutig eine innere Haltung des Vorsitzenden, die bei verständiger Betrachtung besorgen lässt, dieser beurteile die von ihm zu bearbeitenden Strafverfahren nicht objektiv, sondern habe Spaß an der Verhängung hoher Strafen und mache sich über die Angeklagten lustig. Die beschriebene Facebook-Seite enthält auch einen eindeutigen Hinweis auf die berufliche Tätigkeit des Vorsitzenden und betrifft deshalb nicht lediglich dessen persönliche Verhältnisse. Unter diesen Umständen war ein noch engerer Zusammenhang mit dem konkreten, die Angeklagten betreffenden Strafverfahren nicht erforderlich, um bei ihnen die berechtigte Befürchtung zu begründen, dem Vorsitzenden mangele es an der gebotenen Neutralität. Das in dem Ablehnungsgesuch dargelegte Misstrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden ist deshalb gerechtfertigt.“‚ Dessen Internetauftritt ist insgesamt mit der gebotenen Haltung der Unvorgenommenheit eines im Bereich des Strafrechts tätigen Richters nicht zu vereinbaren.“

Die Sache bedarf m.E. keiner weiteren Kommentierung. Aber zwei Anmerkungen will ich dann doch machen:

  1. Der BGH hat von der ihm in § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Verfahren an ein anderes LG, nämlich das LG Stralsund, zurückzuverweisen. Von der Möglichkeit macht er so häufig keinen Gebrauch. Dass er es hier tut, zeigt m.E., was er vom LG Rostock hält.
  2. Es handelte sich um die zweite Aufhebung einer Entscheidung des LG Rostock in diesem Verfahren. Das führt dazu, dass der BGH auf die Frage der Berücksichtigung des langen Zeitablaufs bei einer künftigen Strafzumessung hinweist. Wenn man diese Sache sieht, frage ich mich übrigens, warum Richter beklagen, dass Verfahren so lange dauern. Wie war das noch mit den Steinen und dem Glashaus….?

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: „Verwarngeldangebot“ angenommen – zusätzliche Gebühr Nr. 5115 VV RVG?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

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Die Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: „Verwarngeldangebot“ angenommen – zusätzliche Gebühr Nr. 5115 VV RVG?, ist in der Rechtsprechung bisher noch nicht behandelt; jedenfalls so weit ich das übersehe und ich habe einen m.E. guten Überblick. Und in dem Sinne habe ich dem Kollegen dann auch geschrieben:

„Die Frage ist bisher in der Rechtsprechung – so weit ich das sehe – noch nicht entschieden. M.E. lässt sich das nur über eine entsprechende Anwendung der Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 3 VV bzw. den Rechtsgedanken der Vorschrift lösen (vgl. Burhoff/Burhoff, RVG, 4. Aufl., 2014, Rn. 31 ff.).“

An der in Bezug genommen Stelle heißt es bei Rn. 36:

„Eine entsprechende Anwendung der Nr. 3 kommt auch dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde nach Einspruchseinlegung und Rücknahme des Einspruchs, keinen neuen Bußgeldbescheid erlässt, sondern die Festsetzung nur eines Verwarnungsgeldes »anbietet«, was vom Betroffenen/Verteidiger akzeptiert wird. Sinn und Zweck der Regelung in Nr. 3 gebieten diese entsprechende Anwendung. Erfasst werden sollen durch sie gerade die Fälle, in denen nach Einspruchseinlegung durch eine neue vom Betroffenen/Verteidiger akzeptierte Entscheidung der Verwaltungsbehörde das Bußgeldverfahren endgültig erledigt wird.“

Der Kollege wird es jedenfalls versuchen und berichten…