Immer Pflichtverteidiger, wenn ein gewählter Nebenklägerbeistand auftritt?

© pedrolieb -Fotolia.com

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Im Recht der Pflichtverteidigung wird – u.a. auch unter dem Stichwort „Waffengleichheit“ – in der Frage gestritten, ob einem Angeklagten immer dann – wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung (§ 140 Abs. 2 StPO) – ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn der Nebenkläger sich auf seine Kosten des Beistands eines Rechtsanwaltes bedient. Das ist nicht der Fall des im Jahr 2009 eingeführten § 140 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 2 Satz 1 StPO, da e da um den beigeordneten Beistand geht. M.E. wird man das bejahen müssen.

Einen anderen Weg geht aber das KG im KG, Beschl. v. 27.08.2015 – 4 Ws 81/15. Das KG hatte schon im alten Recht eine andere Auffassung vertreten, die m.E. von der h.M. abweicht, nämlich Einzelfallbetrachtung (das KG sieht das anders). Die Rechtsprechung aus StV 2012, 714 = 2012, 260) setzt das KG nun aber fort, wenn es ausführt:

e) Schließlich führt der Umstand, dass die drei Nebenkläger anwaltlich vertreten sind, nicht zur Annahme einer notwendigen Verteidigung. Der Senat hat mit ausführlicher Begründung entschieden, dass in dem Fall, in dem sich – wie hier – ein Nebenkläger auf eigene Kosten des Beistands eines Rechtsanwalts bedient, keine Vermutung für die Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung spricht, sondern vielmehr die Bestellung eines Pflichtverteidigers dann in Betracht kommt, wenn aufgrund einer Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles erhebliche Zweifel an der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung begründet sind (vgl. Senat StV 2012, 714 = OLGSt StPO § 140 Nr. 32; zustimmend Laufhütte/Willnow in KK-StPO 7. Aufl., § 140 Rn. 19). Daran hält er fest. Wie in der genannten Entscheidung näher ausgeführt, bildet seine Rechtsprechung entgegen anders lautender Darstellung in der Kommentarliteratur (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 140 Rn. 31) keinen Gegensatz zur herrschenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Sie steht auch mit der neuen Rechtslage in Einklang. Der Gesetzgeber hat durch Einführung des § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO mit Wirkung zum 1. September 2013 zu erkennen gegeben, dass er die Bestellung eines Pflichtverteidigers (nur) für den Fall der gerichtlichen Beiordnung eines Verletztenanwalts als zwingend erforderlich ansieht. Während der Wahlverteidiger des Beschwerdeführers, der seine Argumentation im Übrigen auch auf die nicht mehr geltende alte Fassung des § 140 Abs. 2 Hs. 2 StPO stützt, offenbar davon ausgehen will, damit sei auch in den übrigen Fällen einer „Beteiligung von Nebenklagevertretern“ die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, legt der Senat zugrunde, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung mit der Einführung des § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO bewusst in Kenntnis der rechtlichen Diskussion getroffen hat und die Gesetzesfassung nicht etwa auf einem Versehen beruht. Diese Ansicht wird durch die Materialien gestützt, denen zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass der Auffangtatbestand des § 140 Abs. 2 StPO (n.F.) erhalten bleibe und beispielsweise den Fall erfasse, dass ein vom Verletzten „selbst beauftragter Anwalt auftritt und dadurch im Einzelfall ein die Verteidigung beeinträchtigendes Ungleichgewicht entsteht“ (vgl. BTDrs. 17/6261 S. 11; BRDrs. 213/11 S. 13, jeweils unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Köln in NStZ 1989, 542 [kursive Hervorhebung durch den Senat]). Der hier vertretenen Auffassung kann man auch nicht mit dem Hinweis darauf entgegen treten, mit ihr werde ein (vermeintliches) „Regel-Ausnahmeverhältnis“ umgedreht (in diesem Sinne aber Meyer-Goßner StV 2012, 718); denn ein solches gibt es in dem hier interessierenden, gesetzlich nicht geregelten Fall nicht. Der Senatsrechtsprechung steht insbesondere nicht die für den deutschen Strafprozess fragwürdige Sichtweise, dass bereits die Staatsanwaltschaft und (vor allem auch) das Gericht generell die „Gegenseite“ oder gar die Gegnerschaft des Angeklagten darstellten (so Meyer-Goßner aaO, auch unter Bezugnahme auf persönliche Anschauungen nicht benannter Gesprächspartner), entgegen.

Also: es bleibt dabei, dass eine Einzelfallbetrachtung  erforderlich ist.

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