Für Aufsehen hat in den letzten Tagen ein Urteil des BayVGH gesorgt, nämlich das BayVGH, Urt .v 17.11.2015 – 11 BV 14.2738. Es behandelt die Frage der Anordnung einer MPU. Bisher war es ja so, dass diejenigen, die wegen einer Trunkenheitsfahrt pp. verurteilt worden waren, (auch in Bayern) i.d.R. erst ab 1,6 Promille zur MPU, dem viel gefürchteten „Idiotentest“ mussten. Das sieht der VFG – für Bayern – in dem Urt. v. 17.11.2015 jetzt anders. Der Leitsatz lautet:
„Nach strafgerichtlicher Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, ist im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der bei der Verkehrsteilnahme vorgelegenen Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen (Änderung der Rechtsprechung).“
Zu dem Urteil gibt es „Hinweise“ der Landesanwaltschaft Bayern, wie die Entscheidung zu verstehen/anzuwenden ist. Sie findet man vollständig hier; da steht auch eine PDF-Version des Urteils. Verkürzt sind danach folgende Punkte von Bedeutung:
- Das Urteil des BayVGH fußt auf der Anwendung des in Rechtsprechung und Praxis bis ins Jahr 2012 hinein weitgehend unbeachtet gebliebenen § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV.
- Da für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung die Vorschriften über die Ersterteilung – mithin auch § 13 FeV mit dem Vorrang des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV – bereits gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV gelten, kann ein eigenständiger Anwendungsbereich des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV nur darin bestehen, dass diese Norm sich vom Vorrang des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV gegenüber § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV löst und als eigenständigen Sachgrund für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung die vorangegangene strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung wegen Alkoholmissbrauchs genügen lässt (UA Rn. 40). Die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis stellt mithin einen eigenständigen Anlass für weiter bestehende Eignungszweifel dar.
- Der in § 69 Abs. 1 StGB verwendete Begriff der Ungeeignetheit stimmt inhaltlich mit dem in § 2 Abs. 4 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 3, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV enthaltenen, für die Fahrerlaubnisbehörden geltenden Maßstab überein (UA Rn. 48).
- Eine einmal wegen Alkoholmissbrauchs verloren gegangene Fahreignung kann innerhalb des Zeitraums, in dem die Tat noch im Fahreignungsregister eingetragen und daher berücksichtigungsfähig ist (vgl. § 29 StVG), nicht allein durch Zeitablauf zurückgewonnen werden (UA Rn. 42). Für die Wiedergewinnung bedarf es vielmehr einer nachgewiesenen Änderung des Trinkverhaltens (vgl. Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV), d.h. es ist durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu klären, ob – je nach den individuellen Erfordernissen – eine stabile Alkoholabstinenz vorliegt bzw. Prophylaxestrategien hinsichtlich des Trennungsvermögens entwickelt wurden und ob jeweils der Einstellungswandel stabil und motivational gefestigt ist (UA Rn. 42).
- Das Erfordernis einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV besteht nicht nur dann, wenn die strafgerichtliche Entziehung einer Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) wegen absoluter Fahrunsicherheit (ab einschließlich 1,1 Promille BAK) erfolgt ist, sondern auch im Falle der Entziehung wegen relativer Fahrunsicherheit (ab einschließlich 0,3 Promille BAK bis unter 1,1 Promille BAK verbunden mit alkoholbedingten Fahrfehlern).
- Das Urteil des BayVGH enthält auch ein beachtenswertes Hilfsargument, das eingreifen würde, wenn die Rechtsauffassung des Senats zu § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV nicht tragfähig sein sollte: Gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV kann eine Gutachtensanordnung im Falle einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit weniger als 1,6 Promille BAK bzw. 0,8 mg/l AAK zwar nur ergehen, wenn Zusatztatsachen vorliegen, denen eine zur Grenzwertüberschreitung annähernd gleiche Aussagekraft dafür zukommt, dass der Betroffene den Konsum von Alkohol und das Fahren nicht trennen kann (UA Rn. 23). Bei einer strafbewehrten Trunkenheitsfahrt unter 1,6 Promille BAK oder 0,8 mg/l AAK stellt aber die (durch die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis zum Ausdruck kommende) strafgerichtliche Feststellung der Nichteignung wegen fahrerlaubnisrechtlichen Alkoholmissbrauchs eine solche Zusatztatsache dar; eine solche gerichtlich ausgesprochene Feststellung wiegt gerade wegen ihres feststellenden Charakters schwerer als sonstige Zusatztatsachen, die lediglich die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, gleichwohl aber für eine Gutachtensanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a FeV ausreichen.
Besonders der letzte Punkt scheint mir „brandgefährlich“, obwohl an der Stelle m.E. ein Zirkelschluss erfolgt. Nun, wir werden sehen, wie die Sache weitergeht. Der BayVGH hat die Revision zugelassen. Wir werden dazu also demnächst dann was vom BVerwG hören.
Eine, höflich formuliert, wenig überzeugende Argumentation, die ganz offenkundig nicht im Sinne des Gesetzgebers sein dürfte und ganz die law and order Mentalität der Justiz eines südlichen Bundeslandes zu Tage treten lässt.
In der Tat ist die Argumentation zirkelschlüssig. Es macht ein wenig den Eindruck, als wollte man unbedingt zu einem bestimmten Ergebnis und musste dann irgendeinen Argumentationsstrang finden.
Ich denke und hoffe, dass Leipzig dieser Art der Rechtsauslegung einen Riegel vorschiebt.
Wenn nicht, die Vermittler von EU-Führerscheinen und die Anwälte, die sich mit diesem Bereich befassen, wird es freuen. 😉
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