Zu Beweiswürdigungsfragen einen Blogpost abzusetzen, ist nicht so ganz einfach. Das liegt vor allem daran, dass die entsprechenden Entscheidungen meist sehr lang sind und sich nur schwer darstellen lassen. Daher lasse ich i.d.R. die Finger von solchen Entscheidungen. Heute will ich dann aber doch mal eine Entscheidung vorstellen, und zwar den BGH, Beschl. v. 28.05.2015 – 3 StR 65/15. Und zwar deshalb, weil ich meine, dass der BGH, der die landgerichtliche Beweiswürdigung, die zum Freispruch geführt hat, zwar gehalten hat, aber doch mit Bauchschmerzen bzw. so gerade „noch“.
Im Verfahren wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, während seines Dienstes als Polizist den Nebenkläger in einer Polizeiwache anlässlich einer Anzeige wegen Fahrraddiebstahls durch (konkludente) Drohungen sowie unter Ausnutzung einer Lage, in der der Nebenkläger seiner Einwirkung schutzlos ausgesetzt gewesen sei (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB), genötigt zu haben, bei ihm den Oralverkehr auszuführen sowie zu dulden, dass der Angeklagte ihn danach über der Hose an dessen Penis gestreichelt hat. Bei dieser Tat habe der Angeklagte seine geladene Dienstwaffe am Hosenbund getragen.
Dazu hat das LG dann Folgendes festgestellt:
„Der Angeklagte hatte am 13. April 2013 ab 14:00 Uhr Dienst in einer „Ein-Mann-Wache“. Nach der Wachablösung begab er sich in die erste Etage zu den Umkleideräumen und zog seine Dienstuniform an. Entgegen seiner sonstigen Übung vergaß er an diesem Tag, seine Dienstwaffe anzulegen.
Der Nebenkläger begab sich zwischen 16:15 Uhr und 16:30 Uhr zu der allein mit dem Angeklagten besetzten Polizeiwache, um den Diebstahl seines Fahrrads anzuzeigen. Der Angeklagte bat den Nebenkläger unter anderem um die Vorlage seines Personalausweises und forderte ihn auf, an einem Schreibtisch Platz zu nehmen. Der Angeklagte rief im weiteren Verlauf das Computerprogramm zur Erstellung von Anzeigen auf und legte den Vorgang an. Kurz danach gab er den Namen des Nebenklägers mit Geburtsdatum ein. Einige Zeit später druckte der Angeklagte die Strafanzeige aus und überreichte sie dem Nebenkläger zur Durchsicht und Unterschrift. Dann begab er sich in die Toilettenräume der Wache. Der Nebenkläger folgte ihm und sah, dass der Angeklagte nach dem Urinieren seinen Penis durch den geöffneten Hosenschlitz in der Hand hielt. Der Nebenkläger kniete sich vor den ihm den Penis entgegenhaltenden Angeklagten, nahm dessen Glied in den Mund und bewegte sich mit geschlossenen Augen zweimal hin und her. Da der Nebenkläger sich ekelte und auch würgen musste, brach er den Verkehr ab, ohne dass es zum Samenerguss gekommen war. Diesen Abbruch nahm der Angeklagte hin und verschloss seine Hose. Anschließend rauchten beide vor der Wache gemeinsam Zigaretten.
Die Strafkammer hat den Angeklagten, der den Anklagevorwurf sowie jeglichen sexualbezogenen Kontakt mit dem Nebenkläger bestritten hat, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen; sie hat die Einlassung des Angeklagten, es sei zu einem „sexualbezogenen Körperkontakt“ nicht gekommen, zwar als widerlegt angesehen, hat sich aber nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der festgestellte Oralverkehr hinsichtlich der Art seiner Durchführung, insbesondere im Hinblick auf die Aspekte „Unfreiwilligkeit, Zwang, Druck und Bedro-hungscharakter“ wie vom Nebenkläger geschildert abgelaufen ist.
Der BGH hält die Beweiswürdigung. Ich will die Gründe jetzt hier nicht im Einzelnen wiederholen, das kann man in der BGH-Entscheidung nachlesen. Wie gesagt, m.E. aber „mit Bauchschmerzen“. Und dafür sprechen u.a. folgende Formulierungen in der BGH-Entscheidung:
- „Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – 3 StR 154/14, NStZ 2014, 507, 508 mwN).“
- „An diesen revisionsrechtlichen Maßstäben und Grundsätzen gemessen, zeigt die Revision der Staatsanwaltschaft keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist im Ergebnis weder lückenhaft noch widersprüchlich. Sie lässt insgesamt gesehen auch nicht besorgen, dass das Landgericht an seine Überzeugungsbildung überspannte Anforderungen gestellt hat.“
- Die Rüge, das Landgericht habe sich nicht mit der sich aufdrängenden Frage befasst, weshalb der Nebenkläger sich ohne den Einsatz von Nötigungsmitteln darauf eingelassen haben sollte, den Oralverkehr an dem Ange-klagten zu vollziehen, verkennt den Inhalt der Urteilsgründe: Durch welches konkrete Verhalten des Angeklagten das (sexualbezogene) Verhalten des Nebenklägers tatsächlich verursacht wurde, hat das Landgericht zwar nicht feststellen können. Insoweit hat es jedoch erwogen, es sei auch denkbar, dass der Angeklagte den Nebenkläger zwar durch sein Auftreten, seine Stim-me und die Uniform sowie seine Stellung als Polizist und seine Einmischung in das Privatleben des Nebenklägers verunsichert haben, nicht aber durch eine strafbare Handlung unter Druck gesetzt haben könnte und dieser sich aufgrund dessen dazu habe verleiten lassen, die sexuelle Handlung an dem Angeklagten vorzunehmen. Diese Erwägungen und Schlüsse sind noch möglich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.“
Mir wird insgesamt ein wenig viel mit „durchgreifend“ formuliert. Aber wie gesagt: Hat dann letztlich eben – weil die Beweiswürdigung dem Tatrichter „gehört“ – doch für eine Aufhebung nicht gereicht. Dass der Sachverhalt/die Feststellungen befremden reicht dann nicht.
Ich verstehe die Haltung des BGH, teile Sie aber nicht.
Gerade in solchen Fällen sollte aufgehoben werden.
Da findet sich schon mal ein StA der die Tat eines Polizisten verfolgt und dann wird mal wieder nach dem Motto „Polizisten können nicht lügen“ verfahren.
Manchmal muss ich auch würgen…
Hm,
befremdlich. Wobei 4te Zeile und hier das 4te Wort. Es soll glaube ich schwer statt scher heissen.
Nana, Miraculix. Wer weiß denn, ob der Polizist lügen kann oder nicht? Und sollte hier die Unschuldsvermutung für diesen Polizisten nicht gelten, weil andere mit Lügen davongekommen sind?
Was doch auffällt ist, dass die Anklageschrift noch davon ausgeht, der Beamte habe seine Waffe (sei sie nun geladen oder nicht) am Hosenbund getragen. Dieses Detail wird die Staatsanwaltschaft wohl vom Nebenkläger haben.
In den Feststellung des LG hingegen – die vom BGH ja wohl auch nicht in Zweifel gezogen wurden – heißt es, dass der Beamte seine Dienstwaffe nicht angelegt habe. Wenn sie nicht neuerdings in Hosentaschen aufbewahrt werden war die Dienstwaffe also noch im Waffenraum oder der Umkleide eingeschlossen.
Warum sich aus dieser, wohl – zutreffende Feststellung des LG unterstellt – nicht dem Angeklagten zuzuschreibenden, Unwahrheit keine Zweifel an der Aussage des Nebenklägers ergeben sollen sehe ich nicht. Der Fortgang erklärt sich von selbst..
@Luna. Danke
@Max
Ich weiß nicht wer die Unwahrheit sagt. Es ist die Aufgabe des Gerichts das herauszufinden.
Dieser Aufgabe hat sich das LG aber imho entzogen – deshalb wäre eine Aufhebung und
Zurückverweisung angemessen gewesen.
@Miraculix:
Aufgabe des Gerichts ist es, über den Tatvorwurf zu entscheiden. Nicht aber bei jeder einzelnen Aussage den Wahrheitsgehalt eingehend zu evaluieren.
Im übrigen finde ich den in der Anklage erhobenen Vorwurf der konkludenten Drohung und des Ausnutzens einer schutzlosen Lage auch nicht besonders naheliegend. Es muss auf der Polizeidienststelle zu einem ausgesprochen ungewöhnlichen Vorfall gekommen sein. Einverständliche sexuelle Handlungen erscheinen mir nicht ganz so fernliegend, wie es die (letztlich folgenlose) Mäkelei des 3. Senats vermuten lässt.
Einverständliche sexuelle Handlungen auf einer Polizeistation halte ich für so fernliegend wie Alpha Centauri. Richtig ist aber daß das Gericht das aufzuklären hat. Hat es aber imho nicht.
@Miraculix
Was hätte das LG ihrer Ansicht nach denn noch tun sollen, um den Sachverhalt „aufzuklären“? Den Lügendetektor durfte es ja nicht benutzen…
Die Kammer hat sich also in einer 1:1-Situation ohne weitere Beweismittel nicht von der Version des Nebenklägers zu überzeugen vermocht. Das geschieht oft und meist in Fällen ohne Polizeibeteiligung und ist daher im Ergebnis nicht verwunderlich. Ohne in der HV gewesen zu sein, wäre ich da (ebenso wie der BGH) vorsichtig mit Kritik, zumal es sich nicht um einen von den den skandalösen Fällen zu handeln scheint, bei dem sich Polizisten mit abgesprochenen Aussagen gegenseitig decken.
Ach ja, bei der Passage mit der „entgegen seiner sonstigen Übung“ vergessenen Dienstwaffe musste ich schon schmunzeln. So etwas läuft doch sonst gerne unter „Schutzbehauptung“, wenn es nicht gerade ein Polizist ist.
In der Regel ist es so, daß dem Beschuldigten – der ja lügen darf – nicht geglaubt wird und der Zeuge (das Opfer ist ja Zeuge) als einziger Beweis zur Verfügung steht. Diesen Zeugenbeweis zu erschüttern ist meist extrem schwierig. Hier ist es dem Gericht aber anscheinend nicht sehr schwer gefallen- so jedenfalls mein Eindruck.
Ich war auch nicht dabei und kann zu Aufklärung auch nichts beitragen. Aber eine etwas gründlichere Auseinandersetzung mit dem Fall wäre ganz sicher geboten. Deshalb meine ich immer noch daß eine Zurückverweisung angemessen wäre. Was immer dann dabei herauskommt.
Interessant ist dieser Teil:
Die Strafkammer … hat die Einlassung des Angeklagten, es sei zu einem „sexualbezogenen Körperkontakt“ nicht gekommen, zwar als widerlegt angesehen, …“
Also war man von einer Lüge des Beschuldigten bereits überzeugt.
Mir ist das zu dünn; und dem BGH wie unter 11 dokumentiert eigentlich auch.
@Miraculix:
Ihnen mangelt es defintiv an Phantasie:
„Einverständliche sexuelle Handlungen auf einer Polizeistation halte ich für so fernliegend wie Alpha Centauri“
Aber da sind Sie unter Juristen nicht allein.