Um ein obergerichtliches „Mantra“ handelt es sich m.E. bei der Frage nach der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger, eine für den Verteidiger für seine Gebühren ggf. wichtige Frage. Denn nur, wenn er bestellt worden ist, kann er nach § 45 RVG seine gesetzlichen Gebühren gegen die Staatskasse geltend machen. Nicht selten wird aber in der Hektik eines Verfahrens übersehen, dass zwar ein Beiordnungsantrag gestellt, dieser aber nicht beschieden worden ist. Häufig fällt das erst in Zusammenhang mit der Vergütungsfestsetzung auf, wenn der Kostenbeamte – mehr oder weniger freundlich/freudig – mitteilt: Keine Beiordnung, daher auch keine Vergütungsfestsetzung möglich. Und dann wird auf den Beiordnungsantrag hingewiesen. I.d.R. erhält der Verteidiger dann aber die Nachricht: Rückwirkende Beiordnung ist nicht zulässig, denn die Pflichtverteidigung dient nicht dem Kosteninteresse des Rechtsanwalts, sondern soll eine ordnungsgemäße Verteidigung sicherstellen. Dann ist Holland in Not und es stellt sich die Frage: Was tun bzw.: Wie kann man argumentieren?
M.E. bringt es in der Situation nicht (mehr) viel, gegen die Rechtsprechung der (Ober)Gerichte zur Unzulässigkeit der rückwirkenden Bestellung noch einmal Sturm zu laufen. Wie gesagt: Obergerichtliches Mantra, von dem die OLG kaum noch abweichen werden (vgl. dazu mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 2326 ff.). Es heißt also nach einem Ausweg suchen.
Und es gibt einen. Denn die obergerichtliche Rechtsprechung verneint zwar die Zulässigkeit der nachträglichen Bestellung, zeigt aber einen Auswegen´aus der misslichen Situation weist, den inzwischen auch der BGH immer wieder geht (vgl. u.a. BGH BGH NStZ-RR 2009, 348 und BGH NStZ 2008, 117; StraFo 2006, 456; 2015, 37). Nämlich die Frage/den Weg, ob der Rechtsanwalt nicht ggf. stillschweigend beigeordnet worden ist (s. auch BGH StRR 2010, 29). So jetzt vor kurzem auch noch einmal das OLG Stuttgart im OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.02.2015 – 1 ARs 1/15 in Zusammenhang mit der Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG. Denn:
Deshalb hält der Senat es in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem das Gericht die Mitwirkung des Verteidigers unter Übergehung seines deutlichen und unübersehbaren und nicht etwa versteckten Beiordnungsantrags für opportun hält, für zielführender, entsprechend der Rechtsprechung des BGH (aaO) eine schlüssige Bestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung anzunehmen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalles dies nahelegen. Solchermaßen kann dem Gedanken der unbilligen Vergütung bei vorangegangener Schaffung eines „Vertrauenstatbestands“ durch den Tatrichter in angemessener Weise Rechnung getragen werden.
Solches kann vorliegend angenommen werden, da die Strafvollstreckungskammer den Antragsteller am weiteren Verfahren beteiligt und nie zum Ausdruck gebracht hat, dass er seine weitere Tätigkeit auf eigenes Kostenrisiko erbringe.
Fazit: An dieser Möglichkeit/diesen Weg sollte der Verteidiger in diesen Fällen also immer denken, wenn seine Tätigkeiten als nicht bestellter Rechtsanwalt „widerspruchslos“ vom Gericht hingenommen werden/worden sind. Voraussetzung ist aber, dass der Bestellungantrag vor Abschluss des Verfahrens gestellt worden ist (LG Halle StV 2011, 667).
Unabhängig von dem (Aus)Weg über eine konkludente Bestellung: Jeder Rechtsanwalt sollte, wenn er seine Bestellung als Pflichtverteidiger beantragt hat, darauf achten, dass über den Antrag vor Abschluss des Verfahrens – also spätestens in der Hauptverhandlung – entschieden wird. Die bis dahin erbrachten Tätigkeiten gehen nicht verloren. Da hilft § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG, und zwar ggf. auch bei der Pauschgebühr (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 4 RVG).