Familienrecht meets Strafrecht: BGH zur Entziehung Minderjähriger

© Dan Race - Fotolia.com

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„Entziehung Minderjähriger liegt auch dann vor, wenn ein sorgeberechtigter Elternteil zwangsweise für eine gewisse Dauer von seinem unter achtzehn-jährigen Kind entfernt wird.“ Den Leitsatz stellt der BGH seinem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten BGH, Beschl. v. 17.09.2014 – 1 StR 387/14 – voran, in dem er folgenden Sachverhalt zu entscheiden/beurteilen hatte:

„Der Angeklagte und seine Ehefrau haben zwei gemeinsame Kinder: die am 15. Dezember 2004 geborene M. und den am 14. April 2006 geborenen Y. Nach jahrelangen Ehestreitigkeiten ließ der Angeklagte, der eine neue Lebensgefährtin hat, im Januar 2012 beim Familiengericht in Istanbul eine Scheidungsschrift einreichen und beantragte die Übertragung der elterlichen Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder auf seine Ehefrau.

Er fasste dann den Entschluss, sich seiner Ehefrau „gänzlich zu entledigen“ (UA S. 35), indem er sie auf Dauer in die Türkei zu deren Familie zurück-schickte, während er die beiden Kinder bei sich in Deutschland behalten wollte.

Anfang 2012 eröffnete er seiner Ehefrau, dass er sie in die Türkei ab-schieben werde, die beiden Kinder aber bei sich behalten wolle. Als seine Frau erklärte, sie werde das nicht tun, drohte der Angeklagte ihr mit dem Tode, wenn sie nicht in die Türkei ginge. Die Geschädigte nahm die Drohung ernst und ließ sich vom Angeklagten gegen ihren Willen dazu zwingen, ein Flugzeug in die Türkei zu besteigen und ihre Kinder in Deutschland zu lassen. Erst im Dezember 2012 kehrte sie mit Hilfe Dritter nach Deutschland zurück.“

Und zur rechtlichen Beurteilung als einen Fall des § 235 StGB:

2. Die Verurteilung wegen Entziehung Minderjähriger (§ 235 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Angeklagte hat eine Person (hier sogar zwei) unter achtzehn Jahren durch Drohung mit einem empfindlichen Übel einem Elternteil entzogen (§ 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Den Eltern „entzogen“ ist der Minderjährige schon dann, wenn das Recht zur Erziehung, Beaufsichtigung und Aufenthaltsbestimmung durch räumliche Trennung für eine gewisse, nicht nur ganz vorübergehende Dauer so beeinträchtigt wird, dass es nicht ausgeübt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 1996 – 4 StR 35/96, NStZ 1996, 333, 334 mwN).

Eine Entziehung im Sinne dieser Vorschrift liegt nicht nur vor, wenn der Minderjährige unter den Voraussetzungen des § 235 Abs. 1 Nr. 1 StGB vom Elternteil entfernt wird, sondern auch, wenn der Elternteil unter diesen Voraussetzungen vom Minderjährigen entfernt und ferngehalten wird (vgl. hierzu auch Eser/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 235 Rn. 6; MüKo-StGB/Wieck-Noodt, 2. Aufl., § 235 Rn. 38; SK-StGB/Wolters, 8. Aufl., § 235 Rn. 4; LK-StGB/Gribbohm, 11. Aufl., § 235 Rn. 49 ff.). Denn das von § 235 StGB vorrangig geschützte Rechtsgut des Sorgerechts der für den jungen Men-schen verantwortlichen Personen und das daraus abgeleitete Obhuts- und Aufenthaltsbestimmungsrecht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 594/98, BGHSt 44, 355, 357) sind auch verletzt, wenn ein Elternteil selbst räumlich entfernt wird und seine Rechte deshalb nicht wahrnehmen kann.

Dass der Angeklagte selbst ebenfalls sorgeberechtigt war (das Ergebnis seiner Anträge vor dem Familiengericht in Istanbul ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen; ohnehin hätte die Ehefrau dann das alleinige Sorgerecht für beide Kinder), steht der Anwendung des § 235 StGB nicht entgegen. Grundsätzlich kann eine Kindesentziehung auch von einem Elternteil gegenüber dem anderen begangen werden, sofern jedem Elternteil das Personensorgerecht zumindest teilweise zusteht (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 – 4 StR 594/98, BGHSt 44, 355, 358). Die räumliche Trennung war im vorlie-genden Fall auch nicht von nur ganz vorübergehender Dauer.“

Ein Gedanke zu „Familienrecht meets Strafrecht: BGH zur Entziehung Minderjähriger

  1. Jenny Eckhardt

    Hallo,
    danke für den informativen Beitrag. Ich versuche solche Fälle so gut wie möglich zu verfolgen, da ich dies für mein Jura Studium als vorteilhaft empfinde, denn es gibt unendlich viele unterschiedliche Sachverhalte. Bei solch einem Fall würde ich direkt einen Anwalt für Familienrecht engagieren. Gut das man im Internet auf solche Artikel stößt.

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